Sinnlose Indizierung. Dieser Kommentar ist kein Plädoyer, zukünftig die neue bundesdeutsche Lösch-Politik auf alle indizierten Internetseiten auszuweiten, aber gerade bei der Seite iShareGossip.com zeigt sich, wie sinnlos die Indizierungspraxis der Bundesprüfstelle für jugendgefährende Medien doch manchmal ist. Neben den bekannten Listen A und B für böse bzw. ganz böse Filme und Spiele führt die BPjM auch noch die Listen C und D.
Während Einträge in den Listen A und B im Bundesanzeiger monatlich bekannt gegeben werden, geschieht das bei den Listen C und D nicht. Die Inhalte der Listen, die prinzipiell der Einteilung in A und B entsprechen, bleiben geheim. Oder wie es das Jugendschutzgesetz formuliert:
Von der Bekanntmachung ist abzusehen, [...] wenn anzunehmen ist, dass die Bekanntmachung der Wahrung des Jugendschutzes schaden würde. § 24 Abs. 3 Satz 2
Und eben auf Liste C oder D (man weiß es nicht so genau) landete Ende März die Internetseite iShareGossip.com (wir berichteten). Ein Portal für unzensierte Beleidigungen und Verleumdungen, speziell ausgerichtet auf die Schüler Deutschlands und scheinbar betrieben aus dem fernen Lettland oder Neuseeland, vielleicht aber auch Schweden. Denn auch, wenn so mancher Politiker immer heult, dass das Internet auch in Deutschland ein rechtsfreier Raum sei, weil es keine Websperren oder VorratsMindestdatenspeicherung gibt, wäre so eine Seite in Deutschland nicht sehr lange am Leben zu erhalten.
Deutsche geraten auf den verschiedensten Wegen zu iShareGossip. Unter den Schülern dieses Landes dürfte sich der Link vor allem über Facebook, Studi/SchülerVZ, Twitter, SMS, E-Mail oder auch nur auf dem Schulhof verbreitet haben. Ältere wurden vielleicht erst nach den Berichten in Spiegel, FAZ & Co. darauf aufmerksam oder aufgrund der zahlreichen Internetseiten, die über die Indizierung berichtet haben.

Als ich persönlich davon erfuhr, wurde ich bei der unvermeidbaren Überprüfung der eigenen Schule aber enttäuscht. Mein ehemaliges Gymnasium im schönen Bayern hat keine Beleidigungen zu bieten. Auch bei anderen Schulen der Stadt herrscht fast überall gähnende Leere. Bei einer war aber zumindest dieser Kommentar zu lesen:
unsere schule is ja auch da!! D: dass die leute uns mit so anderen zusammentun...schon peinlich.
Das Epizentrum der Verleumdungen und Hasstriaden ist offensichtlich Berlin. Vielleicht können wir Ludwig Spaenle ja mal für ein Schuljahr an die Bundeshauptstadt ausleihen. Die weitreichendste Konsequenz der Indizierung einer Internetseite ist das Verschwinden aus denn Suchergebnissen von Google & Co. Zumindest beim deutschen Google. Schon bei den Österreichern sieht es ganz anders aus.
Im Kampf gegen Cyber-Mobbing: Damit iShareGossip aber auch ja nicht in Vergessenheit gerät, hat sich das ZDF dieser Seite mehr als 1 Woche nach der Indizierung noch einmal ausführlich mit einer einstündigen Sendung mit dem Titel ZDF log in: Im Kampf gegen Cyber-Mobbing gewidmet. Leider nur etwas versteckt im ZDFinfokanal. Beim Hauptsender lief das heute journal und Jörg Pilawa, davor wollte man vermutlich nicht die deprimierendste Quizshow des deutschen Fernsehens wegnehmen. Moderiert wurde die interaktive Sendung ZDF log in von Cherno Jobatey.
Sie können alle mitmachen. Sie müssen sich nur bei uns melden. Also twittert uns was, facebooked was. Geht in die VZ-Netzwerke. Alles erreicht uns. Und vergesst bitte nicht den Hash-Tag zdf.login mit einer Raute davor.
Bei einer ZDF-Sendung über Cybermobbing in sozialen Netzwerken ist scheinbar kein Platz für Meinungen von Leuten, die aus guten Gründen nicht in diesen vertreten sind. Ein Kontakt per E-Mail und Telefon wurden aus der Sendung gestrichen. Später kam dann aber wenigstens noch ein Chat dazu.

Nach einer kurzen Einleitung für das indizierte iShareGossip.com schnappt sich Cherno Jobatey erstmal zwei zufällige Jugendliche aus dem Publikum, die in der ersten Reihe links außen sitzen und fragt nach ihren Erfahrungen mit Cybermobbing. Der Junge hat Gewaltvideos gesehen und von den Therapeuten, die dann den Betroffenen geholfen haben. Das Mädchen daneben weiß von "einer Freundin" zu berichten, bei der "auch Nacktbilder herumgegangen" sind ("auch"!).
Politischer Gast ist dann Günter Krings, stellv. CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender. Der stellte fest, dass es bei iShareGossip.com zwar schon einen Eintrag für seine ehemalige Schule gibt, aber noch keine Kommentare. Sagt dann aber, dass seine Schule wohl davon auch nicht verschont bleiben wird, wenn man da nicht schnell dagegen steuert. (Bitte jetzt nicht über den Wikipedia-Eintrag von Günter Krings das Gymnasium in Erfahrung bringen und nachhelfen. Wir hier bei SB.com sind vernünftige Leute.)
Im Anschluss rückt man die Besonderheiten von iShareGossip.com erst noch einmal ins richtige Licht, insbesondere, dass den Verfassern 110% Anonymität garantiert wird, während die Opfer dagegen leicht identifiziert werden können. Für Cherno Jobatey klingt das alles "recht beeindruckend". Nachdem kurz weitere Fälle mit dem Publikum erläutert wurden und eine Zuschauerin per Internet die Möglichkeit der Zugangssperrung ins Spiel brachte, ist wieder Günte Krings an der Reihe. Der stellt erst einmal zurecht fest, dass es für eine Sperre der Seite keine Mehrheit in Deutschland gibt, wenn das sogar bei Kinderpornographie nicht der Fall war.
Im Anschluss weigert er sich auch noch, den Namen der Seite weiter iShareGossip.com auszusprechen, weil er nicht mehr Werbung für diese machen will. Die Internet-Expertin erläutert schließlich noch, dass die Seite zwar indiziert, aber die Indizierung praktisch wirkungslos ist, weil die Seite dann, wie oben bereits erläutert, z.B. nur über Google.de nicht mehr gefunden wird, aber über andere Google-Seiten schon. Exakte Beispiele gibt sie auch. Der weitere Teil der Sendung widmet sich weiter vor allem Meinungen zu den Themen "Löschen" oder "Sperren" von Internet-Seiten oder welche anderen Möglichkeiten es gibt. In die Tiefe geht man da nicht wirklich, auch wenn der Politiker und die Internet-Expertin ab und an Sachwissen mit einfließen lassen.
Der Moderator Cherno Jobatey aber läuft ständig zwischen den verschiedenen Gästen hin und her, die recht wild im Studio verteilt sind, und sammelt kurze Statements. Intelligente Kommentare wie vom Betreiber der Seite spickmich.de (auf der Schüler Lehrer bewerten können), der sagte, dass solche Seiten wie iShareGossip.com kommen und gehen und nur von den Medien öfter mal gepusht werden, werden von Cherno Jobatey ignoriert. Stattdessen fragt er den jungen Mann lieber, ob er sich nicht etwas mitschuldig fühlt, weil er mit seiner Seite spickmich.de ja mitverantwortlich ist. "Absolut nicht." ist die Antwort. Dass der Rechtsstreit um die Seite sogar bis zum Bundesgerichtshof ging und was die obersten Richter dazu zu sagen haben, ist für Cherno Jobatey auch keine Vertiefung wert.

Das Ärgerlichste an dieser Sendung bleibt aber wie so oft bei diesen Themen bei den Öffentlich-Rechtlichen, dass nur das Verbreitungsmedium selbst kritisch diskutiert wird, aber nicht die Ursachen. Obwohl es mehrfach selbst von ihnen angesprochen wurde, wird keine der jungen Damen im Publikum mal gefragt, warum sie überhaupt Nacktfotos von sich machen und die Jungs, warum Gewaltvideos gesehen werden. Beiträge von Gästen oder aus dem Internet, die auf die Ursachen eingehen wollen, bekommen von Cherno Jobatey keine Reaktion. Stattdessen fragt er den Betreiber von spickmich.de lieber noch ein zweites Mal, ob er sich nicht mitverantwortlich fühlt für Cybermobbing.
Wenn die Ursachen schwer in den Griff zu kriegen sind, wird das Verbreitungsmedium zum Problem erklärt. Für viele ist nicht Guttenberg der Böse, weil er bei seiner Doktorarbeit geschummelt hat, sondern das verrückte Internet, in dem sich so viele Menschen eingefunden haben, die seine Arbeit auf Betrügereien untersucht haben. Nicht vereinzelte amerikanische Soldaten sind die Bösen, weil sie Unschuldige töten, nein Wikileaks wird ins Visier genommen, weil es die geheimen Videobeweise liefert. Und auch nicht die Jugendlichen, die mobben, prügeln und Nacktbilder produzieren und verteilen, werden vom ZDF kritisch hinterfragt, nein, das Internet, welches die Verbreitung erleichtert, ist das Böse. Am Ende wird das Ergebnis einer Umfrage gezeigt, die während der Sendung im Internet mitlief. Auf die Frage, wie mit solchen Seiten wie iShareGossip.com umgegangen werden soll, sehen 49% nur eine Lösung: Löschen.
ZDF log in: Im Kampf gegen Cyber-Mobbing war eine unbefriedigende Sendung, in der Moderator ständig durch's Studio hin und her gewandert ist und von verschiedenen Menschen kurze Statements eingeholt hat. Der Gäste-Mix war zumindest gelungen. Jede mögliche Interessengruppe war vertreten. Aber jeder Versuch der Gäste, etwas Anspruch oder Tiefe in die Diskussion zu bringen, wurden von Cherno Jobatey ignoriert. Die Sendung blieb entsetzlich oberflächlich und beschränkte sich fast ausschließlich auf die Frage, wie die Verbreitung von Verleumdungen und Beleidigungen über das Netz verhindert werden kann, nicht, wie man Menschen dazu bewegen kann, es einfach sein zu lassen und wenn nicht, warum.