Der australische Drehbuchautor und Regisseur Andrew Dominik ist mit Sicherheit nicht jedem ein Begriff. Seine Beiträge erweisen sich i.d.R. als nicht sehr Massentauglich. Ich selber bin allerdings der Meinung das Filme wie „Killing Them Softly“ und „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ wahre Genre Beiträge mit Kultfaktor sind. Nur halt überhaupt nicht massentauglich. Aber nun gut, einen Tod muss man wohl sterben. Und Dominik hat echt Eier, dass er einfach so konsequent sein Ding durchzieht. Sein Debüt, wozu er das Drehbuch schrieb und selber Regie geführt hat ist „Chopper“ aus dem Jahr 2000, ein ultra-brutales Biopic, über die wandelnde Ein-Mann-Armee und Freakshow Marc Brandon „Chopper“ –FUCKING- Read. Obwohl Biopic eigentlich nicht ganz korrekt ist, denn der Film basierend auf dem Bestseller über Reads Leben, geschrieben von Read selbst.
Dieser Film ist eine Wucht, wie der überlebensgroße Hauptdarsteller des Chopper, Eric Bana (München) welcher sich als Chopper seinen Weg durch Australiens Knäste und Straßen berserkert. Chopper sieht sich dabei als Menschenmüllentsorger, denn der normale Bürger hat von ihm nichts zu befürchten. Chopper knöpft sich den Abschaum, die Drogendealer vor. Er ist dabei Straßenkämpfer Nr.1. Wer nicht zahlt wird von ihm zusammengeschlagen, verstümmelt oder umgebracht. Chopper ist eine gefürchtete Legende auf den Straßen, auch wenn nie jemand weiß, was genau noch der Wahrheit entspricht und was am Ende eine Lüge ist. Denn Chopper ist auch ein Geschichtenerzähler, der es liebt sich Selbst darzustellen. Kein Foto in der Zeitung kann groß genug sein, wenn er in all seiner Pracht, ein Packet aus Muskeln, Fett und Tattoos abgebildet wird, mit reißerischen Überschriften dazu. Die Presse liebt ihren dunklen Ritter. Andere Personen, insbesondere die sich durch Chopper bedroht fühlenden, bösen Jungs hassen ihn. Mit einer seltsamen Mischung aus Angst, erzwungener Gute Laune, Abscheu und Wut laufen solche Treffen bzw. Konfrontationen meistens ab. Selbst wenn man auf der Gegenseite Chopper nichts Böses will, Chopper ist wenn er auf Speed ist dermaßen Schizophren, das er egal wie die Situation ist, einfach mal aus dem nichts kommend überschnappt und dann wahlweise um sich schlägt, einsticht oder losfeuert. Und diese Gewaltexplosionen sind genau das, was das Wort bereits sagt. Explosionen. Chopper hält sich wenn er ausklinkt nicht einen Zentimeter zurück. Der Film hat hier seine FSK 18 (uncut) in jedem Fall verdient. Überdreht wirken diese fast schon Gewaltpornografischen Einstellungen dafür nie, denn dafür sind sie zu realistisch eingefangen. Die gesamte Inszenierung ist über den kompletten Film hinweg ein Traum. Wenn z.B. die Leute auf Speed sind und sich dann unterhalten. Alles läuft mit doppelter Geschwindigkeit ab, während die gesagten Worte in normaler Geschwindigkeit weiterlaufen. Der Drogenrausch auf Bild gebannt. Ein wahres Glanzstück. Und auch Choppers Hang zum Märchenerzählen wird so geschickt thematisiert, wenn gleich mehrere Versionen einer Geschichte dem Zuschauer gekonnt präsentiert werden. Dabei wirkt der Film bisweilen fast schon wie ein Theaterstück.
Der Zuschauer ist bei diesem Treiben ganz klar auf Choppers Seite. Denn neben dem kaltblütigen Psychopathen, der Gewalt zelebriert als wäre es eine verdammte Kunstform und sich anschließend in seinem Ruhm sonnt, ist Chopper auch ein echter Kumpeltyp, der für seine vermeintlichen Freunde bereit ist große Anstrengungen zu unternehmen. Jemand mit einem Codex. Der feixend und sehr feinsinnig fast schon einen brummbärartigen großen Bruder für Schwächere darzustellen weiß. Wenn du in Choppers Team bist, dann ist er auch jederzeit für dich da. Physisch ist Eric Bana bereits eine Idealbesetzung für den bulligen Chopper, aber was seine Performance besonders hervorhebt ist seine Gestik und Mimik, wenn er innerhalb einer Sekunde von lustig Späße machend auf todernst umschaltet. Ein stechender Blick dazu, wo sich auf der Gegenseite dann regelmäßig die Hose nass gemacht wird. Der unterschwellige, bedrohliche Score schwängert diese Momente im Film dermaßen unheilvoll, so dass der Zuschauer kerzengerade, in seinem Fernsehsessel sitzendend, instinktiv weiß: Gleich knallt es und zwar richtig heftig.
Aber der Film ist nicht nur eine verdammt lässige Fingerübung von Andrew Dominik, die den gefühlt coolsten Verbrecher Australiens im Rampenlicht erstrahlen lässt. Der Film ist auf der anderen Seite auch drogenverseuchte und hoffnungslose Milieustudie aus der Gosse. Die anderen Charaktere, meistens die Versagerwaschlappen von Möchtegerngangstern, die mehr durch Glück als Verstand an Geld gekommen sind, sind hier das negativ Aushängeschild, was Drogen mit Menschen anrichten können. Unten angekommen und quasi den Verstand verloren. Dazwischen Hochschwangere, drogensüchtige Mütter und Kinder ohne jede Art von Perspektive, in Abbruchreifen Wohnungen die laut Elend hinausschreien. Eine Parallelwelt, die dermaßen beschissen ist, das auch nur die Menschen die darin leben so beschissen sein können. Und eigentlich auch nichts vernünftig auf die Reihe bekommen. Was am Ende Choppers geheime Trumpfkarte ist. Denn nur weil auf der anderen Seite alle solche Versager sind, die zwar gerne wollten aber nicht können, kann Chopper so dreist und überlebensgroß durch deren Leben marodieren.
Ich vergebe 9/10 abgeschnittene Ohren (Chopper lässt sich in dem Film selber die Ohren abschneiden, NUR um mal wieder stoisch seinen Willen durchzusetzen. Total durchgeknallt, wie überhaupt der komplette Film.). Auch wenn über die 90 Minuten Laufzeit, ohne Längen, sich gar keine so dramatisch große Geschichte entwickelt, alles bleibt i.d.R. etwas kleiner aufgezogen, so ist der Zuschauer doch von der ersten Minute an gefangen in einem Sog aus Wut und Gewalt. Mann kann gar nicht anders als gebannt dieser Schneise der Zerstörung zu folgen.
P.S.
Auf der DVD ist einiges an interessantem Bonusmaterial enthalten, z.B. Interviews mit dem echten Chopper, der damals noch auf einer Farm lebte (mittlerweile leider verstorben, RIP 2013). Es sind teilweise unglaubliche Geschichten die dieser Gauner da zum Besten gibt. Bei Interesse am besten ebenfalls sichten, es lohnt sich.
9/10