Regiedebuts betreffen nicht selten deftige Schocker. So wundert es nicht, dass "Bone Tomahawk" die erste Arbeit S. Craig Zahlers ist. Das Subgenre des Neokannibalenfilms hat er clever gewählt, denn dort gibt es wenig Konkurrenz, erst recht wenn man die Landschaft nach Kreuzungen mit Western absucht. Nach der Freude über diesen riesigen Sonderlingsstatus, den sonst nur wenige Titel wie "Ravenous" haben, kann man sich hineinstürzen in das Geschehen um Wilde und Revolver.
Erste Sekunde, erster Kehlenschnitt. Sid Haig, besser bekannt als Captain Spaulding kratzt sich mit seinem Schießeisen im Genitalbereich. Mal wieder spielt er einen Gauner; David Arquette, der hier "Purvis" heißende Deputy aus "Scream", wird offenbar von ihm in das Outlaw-Dasein eingelernt. Diesen Azubi verschlägt es schließlich in das staubige Wüstenkaff "Bright Hope" - einen Ort, der immer noch einladender ist als die unwirtliche Beinahe-Wüste um ihn herum oder gar die knochenweiße Berghöhle der zotteligen Menschenfresser. Wo die Geschichte auch landet, ob öde Steppe oder karges Interieur, die Umgebung wirkt gleichzeitig imposant und unangenehm verlassen. Schon früh entsteht dadurch eine zunächst unterschwellige, sodann zunehmend eindeutige Melancholie, die erst gegen Ende durch die sensiblen Streicher veredelt wird. Von jenen hätte man gerne mehr gehört, die Musik aus dem Abspann wäre als maintheme optimal gewesen.
Auf diese Weise entsteht andererseits zusätzlicher Raum für die toxische Stille zwischen den Machos in der tollkühnen Gruppe auf dem Weg zum Himmelfahrtskommando. Der kriegserfahrene Witwer Deputy Chicory versucht deren schlimmste Auswirkungen durch harmlose Konversation und galligen Zweckoptimismus zu verhüten. Richard Jenkins ("Blue Steel", "Cabin in the Woods") füllt damit eine der sympatischen Rollen aus und sorgt für ein wenig Lachen, das einem aber nicht selten im Halse stecken bleibt (Humor 2/10). An seine Seite gesellen sich andere, sperrigere Charaktere. Besonders zwiespältig erscheint Arthur O'Dwyer, der sich durch leichtsinnig ungesicherte Arbeiten am Dach seines Hauses eine Beinverletzung zugezogen hat und es nicht mit seinem Stolz vereinbaren kann, dass so eine Wunde eben Heilung braucht. Wenigstens weicht seine verbissen unvernünftige Entschlossenheit nicht, wenn es um die Rettung seiner entführten Ehefrau geht. Mit ihr schafft er es zuvor trotz seines Ärger über sein Handycap noch zu scherzen - und intim zu werden, was in gewohnt kurzer US-Erotik zu sehen ist (Sex 3/10). Patrick Wilson ("Hard Candy", "The Conjuring") meistert die anspruchsvolle Figur vorbildlich. Noch mackerhafter als diese tritt der geschniegelte Single John Brooder (Matthew Fox) auf, ein arroganter Womenizer mit überlegenem Survival-Wissen und zugleich erschreckender Skrupellosigkeit. Die Stimme der Vernunft schließlich spricht Sheriff Franklin Hunt, gespielt von niemand geringerem als Kurt "Snake Plissken" Russel, der routiniert die Moderation der mehr oder weniger latenten Binnenaggressivität der Gruppe übernimmt.
Diese lässt nichts Gutes erahnen, die übel zugerichteten Leichen sowieso nicht. Dergleichen ist selten zu betrachten - wenn, dann aber wirkungsvoll (Horror 6/10). Insbesondere die Impressionen der "Mütter" an exponierter Stelle dürften so schnell nicht vergessen werden. Sie lassen erahnen, welches Schicksal Arthurs Frau Samantha ereilen könnte, so sie denn nicht aus den Fängen des unzivilisierten Stammes befreit wird. Lilli Simmons transportiert dabei ausreichend Sympathie, um nicht nur eine zu rettende Trophäe für die todesmutigen Haudegen darzustellen. Ohnehin baut "Bone Tomahawk" geschickt Kritik an einem Verständnis von Männlichkeit ein, das auf dem Willen zur Unbesiegbarkeit und zum Heldentum basiert. Ein tiefstapelnder alter Mann und eine vordergründig wehrlose weibliche Geisel sind dafür intelligent gewählte Sprachrohre, ohne dass dem Drehbuch dabei der Fehler unterläuft, den Zeigefinger allzu hoch zu erheben. Jenes bemüht sich sogar, den Kategorie-immanenten Rassismus durch einige Relativierungen abzumildern, was zu Lasten des Sleaze-Faktors geht, aber recht überzeugend gelingt.
Eine ambitionierte Charakterisierung und die Konstruktion beiläufigen Anspruchs brauchen Zeit. Diese vergeht gefühlt recht angenehm, was den schön treffsicher geschriebenen Dialogen zu verdanken ist. Allein das Verhör zwischen dem Sheriff und dem unter dem Aliasnamen "Buddy" auftretenden Purvis erweist sich als kleines Fest für die Ohren, woran die prima betonte Synchro einen nicht unerheblichen Anteil hat. Nachteil des Ganzen ist eine unleugbare Langatmigkeit, die auf die erste nennenswerte Goreszene mehr als 90 Minuten warten lässt. Sobald das Kunstblut allerdings zu fließen beginnt, sind die einschlägigen Passagen individuell gestaltet und ausgezeichnet ausgearbeitet. Was hier an drastischer Härte gezeigt wird, braucht sich hinter manch einem Exploiter aus den späten 1970ern nicht zu verstecken (Gewalt 7/10). Angesichts dessen hätte man die lange Wartezeit auf das Gekröse locker verziehen, wäre da nicht der viel zu abrupte Schluss. Dort entsteht der unangenehme Eindruck, nach dem ausgiebigen Getrödel würde nun die Zeit fehlen, die Story angemessen abzurunden. Im Anschluss an einen derart epischen Auftakt sieht das einfach nach Stilbruch aus.
Und was lernt man nun daraus? Nun ja, Chauvinisten sind ätzend, aber manchmal nützlich:
"Ein wirklich kluger Mann heiratet nicht."
Und die weite Prärie ist auch nicht besser als der Dschungel am Amazonas:
"Ich glaube ja, dass die Welt angeblich rund ist. Aber wenn ich mir das hier ansehe, habe ich so meine Zweifel."
Wer eine Antenne für ein nachdenklich-tristes Szenario auch in einem Kannibalenstreifen hat, wird wie der Autor den "Bone Tomahawk" als kleine Filmperle zu schätzen wissen (7/10 Punkten). Andere werden wie der Kollege JasonXtreme die dubiose Sprache des Deputys einfach nur als nervig und die ersten drei Viertel der Spielzeit als verschwendet empfinden, weshalb die genannte Kritik als Kontrastprogramm zu diesem Review hier empfohlen sei. Wen das nicht abschreckt, der kann sogar bei der Fassung mit dem roten FSK-Flatschen zugreifen. Wie schon bei "The Green Inferno" lassen die Prüfer dem Subgenre inzwischen einiges durchgehen.
7/10