Uff, hier wird einem wirklich eine Geschichte geboten, die noch tagelang unter der Haut brennt. Ich ziere mich bei manchen Filmen, wenn sie in der Presse so gelobt werden, vor allem dann, wenn ich mit dem Thema nicht so richtig was anfangen kann. Deshalb kurz: Missouri ist ein Staat im Mittleren Westen der USA, bei dem die Todesstrafe noch gilt und der Rassismus so weit geht, dass Reisewarnungen für Afroamerikaner ausgesprochen werden. Wir befinden uns im fiktiven Örtchen Ebbing, einer Kleinstadt, wo noch Gesetz, Recht und Ordnung zu herrschen scheint.
Unser Cowboy ist dieses Mal ein Cowgirl und heißt Mildred Hayes. Mildreds Tochter wurde auf bestialische Weise ermordet und der oder die Schuldigen wurden nach über einem halben Jahr noch immer nicht gefunden und die Polizei tut aus Mildreds Sicht auch nichts, um das zu ändern. Und wo die Not bekanntlich am höchsten, da wächst dann plötzlich eine Idee. Auf der abgelegenen Straße, bei der Mildreds Tochter ermordet wurde, sind drei große Reklametafeln, die nicht mehr in Gebrauch sind. Also geht Mildred zum ortsansässigen Reklameschilderbesitzer und mietet sie für ein Jahr. Auf ihnen steht juristisch einwandfrei, dass Sheriff Willoughby und die Polizei nichts tut und dass ihre Tochter vergewaltigt wurde, während sie starb.
Ganz schön harter Tobak, mag man sich denken, wenn in der Kleinstadt solche offenen Wahrheiten auch wirklich offen ausgesprochen werden, da man sowas ja bekanntlich nicht tut. Das ist nicht schön, das wirft ein schlechtes Licht auf uns, was sollen denn die Nachbarn denken, oh, mein Gott!
Sheriff Bill Willoughby ist jedenfalls genauso wenig begeistert wie seine Mannen, der Zahnarzt, der Pfarrer oder Mildreds Exmann. Dass der Sheriff nur noch wenige Monate zu leben hat, weil er an Krebs erkrankt ist, hilft da herzlich wenig. Mildred stört das in ihrem mitleidslosen Fatalismus nämlich kaum und sie zieht ihr Ding durch. Was dann passiert, steht außerhalb aller Möglichkeiten, welche die meisten Geschichten sonst so bringen. Wir haben hier absolut keinen, aber auch gar keinen positiven Hauptcharakter, dem man hundertpozentig zustimmen könnte. Um es drastischer zu sagen, sowohl Mildred, als auch Willoughby und vor allem Officer Jason Dixon sind einfach Arschlöcher vor dem Herrn, stur, rechthaberisch und gewalttätig, dass man selbst nur so reinschlagen möchte. Eine Spirale der Gewalt quasi.
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri erzählt eine extrem packende und durchdachte Geschichte, die wirklich einzigartig ist. Gerade die Verbeugung vor dem Genre des Western ist hier extrem wichtig, obwohl die gute Zeit des Wilden Westens und die ganze Lagerfeuerromantik längst vorbei sind. Das Cowgirl gegen den Sheriff ist dabei wiederum die uramerikanische Geschichte, zu der man sich am besten ein Happy End wünscht. Doch in diesem Film ist nichts sicher. Nicht einmal die Meinung des Zuschauers. Ich war ständig hin- und hergerissen, wie ich das alles nun finden sollte und wurde am Ende tatsächlich nochmal umgehauen. Insgesamt bewegt sich die Geschichte nämlich oft auf so dünnem Eis, was die Sympathie und das richtige oder falsche Verhalten anbelangt. Damit läuft so ein Film vielleicht sogar Gefahr, dass manche eine Meinung darin bestätigt finden, die ich beispielsweise so nicht unterstützen würde. Echt schwierig.
Gerade das Thema Selbstjustiz wird unter anderem als großes Thema hinterfragt. Aufgelöst wird das nicht ganz. Aber man muss schon sagen, dass sich die Zeiten geändert haben, wenn dieser Film eine FSK 12 hat und Ein Mann sieht rot von Michael Winner bis vor kurzem noch indiziert war. Würde Three Billboards die Tötungsszene von Mildreds Tochter vielleicht zu Beginn zeigen, würde man das anders betrachten. Trotzdem gibt es aber genug Blut und Gewalt, keine Angst. Vielleicht war ich auch deswegen so kritisch und dachte, dass der Film nichts für mich ist.
Regisseur Martin McDonaugh hat einen grandiosen Film gemacht, der die beiden ebenfalls guten Filme Brügge sehen... und sterben? und 7 Psychos bei weitem übertrifft und aussehen lässt, als wären es Fingerübungen. Trotzdem merkt man seine Handschrift im - wie ich finde - extrem unvorhersehbaren und aggressiven Verhalten seiner Figuren und diesem unglaublich düsteren schwarzen Humor, den ich eigentlich nur von Engländern kenne. McDonagh ist zwar nur irisch-britisch, aber da drücken wir mal ein Auge zu, bei uns in Missouri.
Schauspielkünstlerisch befinden wir uns schlichtweg auf dem Olymp. Frances McDormand (Fargo, Darkman, Moonrise Kingdom) läuft nicht nur wie John Wayne, sie ist die kühle und desillusionierte Pionierin des Wilden Westens, die wunderbar zeigt, dass es so in ihrer Stadt nicht weitergeht, obwohl ihr Mutterstatus ebenfalls nicht ganz strittig ist und ihre Filmfamilie offensichtlich dysfunktionaler nicht sein könnte. Eine Calamity Jane, wie sie im Buche steht.
Anders ist da auf den ersten Blick schon der integere Sheriff, der von Woody Harrelson mit einem dermaßen grundsoliden Patriotismus gespielt wird, dass die beiden Töchter, während Papa und Mama sich zum Beischlaf verziehen, schon mal für die Polizei-Academy der US of A üben können. Harrelsons Karriere ist sehr interessant, wenn man sich seinen Anfang als liebenswertes Dummchen in der Sitcom Cheers ansieht, seinen Charakterwechsel zum Durchbruch als ernsthafter Schauspieler in Natural Born Killers oder Larry Flint, bis hin zur ersten Riege Hollywoods. Wer ihn in True Detective mochte, wird Woody in Three Billboards lieben.
Zuletzt möchte ich noch auf Sam Rockwell (Moon) hinweisen, der den dümmlichen Officer mit Aggressionsproblem verkörpert, wie das kaum ein anderer besser machen könnte. Mutige, verabscheuungswürdige und doch letztlich herzliche Rolle. Ganz großes Schauspielkino! Für alle Freunde von Game of Thrones sei noch erwähnt, dass Peter Dinklage hier nicht nur trinkt und Dinge weiß, sondern ein Äuglein auf die gute Mildred geworfen hat.
Den Rest wird die Filmgeschichte erzählen, da Three Billboards dieses Jahr sicherlich den Hauptteil des beliebten Goldjungen der Filmbranche abstauben wird. Allein das Drehbuch hätte es mehr als verdient. Aber die Hauptdarsteller sind einfach so gut, dass bei ihnen kaum der ein oder andere Weg vorbeiführen wird.
Als letzte Bemerkung muss ich noch loswerden, dass ich während meines Kinobesuchs daran denken musste, dass mich Three Billboards ein bisschen an die düstere und ausweglose Stimmung in Friedrich Dürrenmatts Es geschah am hellichten Tag mit Heinz Rühmann erinnerte oder an das Remake Das Versprechen mit Jack Nicholson, der ebenfalls sehr gut ist. Ich meine damit die Suche nach dem Schuldigen, während man woanders über Leichen geht.
Zusammenfassend zeigt Three Billboards auf einer etwas anderen Ebene die politische Stimmung in den USA. Das Thema der Selbstjustiz und das Anprangern des Gesetzes machen die Geschichte aus, während sogar Hinweise auf von den USA geführte Kriege gegeben werden und die Traumata, die sie nicht erst seit John Rambo ins Land zurückbringen. Am Ende ertappt man sich selbst, dass man erschrickt, weil man sich anscheinend auf nichts verlassen kann, nicht einmal auf das Justizsystem. Und da fängt man an Mildred zu verstehen. Da einerseits meine Erfahrungen mit dem Gesetz bisher immer andere waren, kann ich das nicht so ganz nachvollziehen und am Ende stößt mir das ein bisschen auf. Da ich andererseits aber die Offenheit dieses Filmkunstwerks respektiere, kann ich nicht anders, als den Film mit allem Nachdruck zu empfehlen, für alle die auf Schemen jenseits von Gut und Böse stehen, gewürzt mit einem derart pechschwarzen Humor, dass einem das Lachen im Rachen stecken bleibt.
Jeder und jede sollten diesen Film gesehen haben!
10/10