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The Ravenous

Originaltitel: Les Affamés

Herstellungsland:Kanada (2017)
Genre:Horror, Drama
Alternativtitel:Hungrig
Bewertung unserer Besucher:
Note: 7,63 (8 Stimmen) Details

Inhaltsangabe:

In einem abgelegenen Dorf in der Nähe von Quebec brechen auf einmal reihenweise Menschen zusammen und richten sich anschließend gegen ihre Freunde und Verwandten. Die wenigen Überlebenden schlagen sich in die Wälder um weitere Menschen zu finden, die sich noch nicht verändert haben. Ein Kampf ums Überleben beginnt ()

Diese Kritik enthält Informationen über den späteren Handlungsverlauf der Geschichte.
eine kritik von therealash:

Ein Vorteil von Streamingdiensten ist, dass sie einem manchmal Stoffe liefern, auf die man nach einem langen Arbeitstag einfach Lust hat. Da ich gestern sehr spät nach Hause kam, weil es wieder mal eine Vampirinvasion im deutschen Bundestag gab und ich leider ohne Erfolg Salzstangen verteilt habe, war mir so richtig nach Zombies. Was sehen meine blutunterlaufenen Äuglein nach dem Einloggen beim beliebten Streamingdienst von nebenan?

Genau: Hungrig. Dazu kamen ein paar stilisierte Comic-Zombies, die mit ihren aufgesperrten Mäulern wirklich extrem einladend aussahen, aber überhaupt nichts mit dem Film zu tun haben. Da legte ich mich mit einem Orangenlimonade-Cola-Mischgetränk in die Hängematte und freute mich auf Blut, Gore und Splatter.

Was ich allerdings zu sehen bekam, war erst mal ein seltsames Filmformat, eher unüblich für meinen Streamingdienst. Nach circa fünf Minuten wusste ich, dass ich es hier entweder mit einem extrem schlechten Low-Budget-Film zu tun hatte, oder mit etwas sehr Interessantem. Letzteres trief zu.

Hungrig ist - wie ich finde - ein ziemlich nichtssagender und dümmlicher Titel. Auf Englisch heißt es recht griffig Ravenous, was mehr auf den Heißhunger anspielt und schon blutrünstiger klingt (nicht zu verwechseln mit dem Kannibalen-Horror Ravenous - Friss oder stirb von Antonia Bird). Da der kanadische Film allerdings die französische Originalsprache pflegt, heißt er eigentlich Les Affamés, was die Verhungerenden bedeutet und damit dem Kern dieses Films am nächsten kommt. Denn man verhungert manchmal ja auf halber Strecke und das Verhungern hat nicht immer nur mit Fressen und Gefressenwerden zu tun, sondern mit einer Art Alleingelassensein, einer Ausweglosigkeit und vielleicht ein wenig mit dem Ende der sonst bekannten Welt.

Les Affamés ist wieder mal ein Netflix-Produkt, über dessen Entstehung ich mir nicht so sicher bin. Kauft Netflix verhungernde Produktionen ein und peppelt sie dann auf, um sie letztlich wieder im Archiv verschwinden zu lassen? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht und das wird wohl erst der Lauf der Zeit zeigen. Les Affamés gehört jedenfalls wieder zu einer für mich herausragenden Veröffentlichung auf Netflix, die mich "völlig unerwartet trifft" (um mal einen von mir hochgeschätzten Wissenschaftler zu zitieren). Der Film steht in einer Linie mit den seltsamen und eigenwilligen Produktionen, die eher ins Arthouse-Kino gehören, das außer auf ein paar Filmfestivals eigentlich nirgends seinen Platz bekommt und nur ein paar Cinephiliacs aus den entlegendsten Winkeln der Welt importieren, um auf Salzstangen-Partys jemanden beeindrucken zu können, abseits des filmischen Mainstreams.

Ich muss sagen, dass mir Netflix so echt gefällt. Denn bei Les Affamés haben wir es kurz gesagt um einen Arthouse-Zombie-Film zu tun, der mir so auch noch nicht untergekommen ist und der vielen kaum gefallen dürfte. Regisseur Robin Aubert aus Kanada war mir bis dato völlig unbekannt, ist allerdings wohl seit einiger Zeit als Schauspieler tätig, hat einige Kurzfilme gedreht und sogar schon fünf Langfilme, die ich bis auf Les Affamés weder kenne, noch weiß, woher die zu holen sind. Von den Geschichten hören die sich jedenfalls sehr interessant an (Saints-Martyrs-des-Damnés, À quelle heure le train pour nulle part, À l'origine d'un cri, Tuktuq). Auch Hauptdarsteller Marc-André Grondin hat wohl einige Rollen als kanadischer Schauspieler gehabt, aber ich kenne ihn genausowenig wie seine Kollegin Monia Chokri oder den Rest der Darsteller.

Was also tun? Aubert gibt an, dass für sein Schaffen die Kunstfilmmeister Robert Bresson und Andrey Tarkovsky bestimmend oder zumindest prägend seien. Das ist nun ein guter Weg, sich Les Affamés zu nähern. Robert Bresson gehört wohl nicht nur zu den französischsprachig, sondern weltweit anerkanntesten Filmpoeten der Kinematographie, die es gab. Seine Filme sind völlig eigene Meditationen über das Leben, den Tod und den ganzen Rest. Ob in Pickpocket, wo er uns das harte Handwerk des Taschendiebs vorstellt, oder in Zum Beispiel Balthazar, in dem das Leben Jesu mit einem süßen kleinen Esel nacherzählt wird, Bresson hat einen ureigenen Blick auf die Dinge und zeigt sie uns im Film auf eine Art und Weise, die ziemlich entrückt und doch realistisch ist. Bressons schönster Film ist sicherlich Mouchette, den schon Bernardo Bertolucci in Die Träumer in seinem Filmkanon zitierte und in dem es um die Vergewaltigung eines vierzehnjährigen Mädchens geht.

Weshalb ich soviel zu Bresson sage, hat damit zu tun, dass seine Handschrift in Les Affamés unverkennbar ist. Das fängt bei diesem seltsamen Bildformat an und zieht sich weiter über Einstellungen, in denen man nicht die gesamte Person sieht, sondern nur ihren Arm oder Fuß, der Kopf nicht im Bild, die Quadrierung eher auf der Seite, als in der Mitte. Ganz klar also, Aubret ist großer Bresson-Fan und schafft mit Les Affamés den Sprung, etwas eigenes zu schaffen und das Zombie-Genre mit anderen Augen zu betrachten.

In der nicht vorhandenen Handlung geht es nämlich ebenfalls ziemlich Bresson-mäßig zu. Wir befinden uns in einer apokalyptischen Welt, die von Zombies heimgesucht wird und in der ein paar nicht Infizierte sich dem Kampf ums Überleben stellen. Es gibt einen Rennfahrer, der für ein kleines Mädchen wie ein Astronaut aussieht, ein älteres Damenpaar, einen älteren Mann und Bonin und Tania, die wohl die Hauptpersonen sind. In zwei oder drei Einstellungen sind kleine Würmchen zu sehen, von denen wir aber nur vermuten können, dass sie für die Zombie-Seuche verantwortlich sein könnten, bedenkt man Geschichten wie Finneys The Body Snatchers, Lovecrafts Die Farbe aus dem All oder überhaupt außerirdische Mikroben und sonstiges Gedöns, das sich der Menschen in dem Fall zombiehaft bemächtigt.

Außerdem pflegen die hier vorkommenden Zombies einen seltsamen Kult, oder ein Ritual, das daraus besteht, dass absurd viele Stühle unglaublich hoch übereinandergestapelt werden (wohl zur Erinnerung an das nicht mehr vorhandene Menschsein?). Vom Aufbau erinnerte mich das etwas an die Zombiemassen aus World War Z. Man sollte Les Affamés übrigens noch über den Abspann hinaus anschauen, da es eine völlig absurde Wendung bei diesem Thema gibt, das zwar nicht logisch ist, aber irgendwie cool und im allgemeinen die keksfressende und buntgefiederte Tierwelt betrifft. Hier finde ich übrigens die Anklänge Aubrets an Tarkovsky (Stalker, Solaris, Nostalghia), was die Überhöhung und damit natürlich auch wieder Poetisierung der dargestellten Welt betrifft. Was bei Bresson realistischer ist, wird bei Tarkovsky jenseitiger. Von daher verbinden sich diese beiden Pole bei Les Affamés recht gut. Die schönen im Nebel verhangenen Landschaften und Wälder passen ebenfalls gut zu Tarkovsky und seinen eindrucksvollen Landschaftsfotographien.

Der Dank an George A. Romero am Ende ist nicht zufällig, da Aubert es irgendwie hinkriegt die von der sogenannten Arthouse-Welt viel zu wenig betonten Leistungen von Romero für die Filmwelt insgesamt in Night of the Living Dead, Dawn of the Dead oder Day of the Dead zu würdigen. Damit wird Les Affamés nicht nur zu einer Verbeugung vor Bresson, sondern zu einem Denkmal für Romero. Ein Denkmal aus Stühlen ist zwar nicht ganz das, was man sich wünscht, aber ich denke, dass Romero der Film gefallen hätte, da er die politische, humanistische und gesellschaftliche Metapher des Zombies, die ihm so wichtig war, nicht vernachlässigt.

Mir kommen beim Stil von Aubret noch die seltsamen Filme von Bruno Dumont in den Sinn, wie Twentynine Palms oder Hors Satan. Aber das nur am Rande. 

Ich weiß, das ist alles mal wieder recht kryptisch, unlogisch, langweilig und wahrscheinlich sogar unmotiviert. Ja, stimmt und trotzdem hat mich dieser Film gebannt wie schon seit längerer Zeit kein Zombie-Film mehr, seit The Walking Dead in aller Munde sind und mittlerweile eher der Lindenstraße ähneln, als einem White Zombie. Ich finde, dass Aubret eine sehr eigene Filmsprache hat und dass Les Affamés ein hervorragender Film ist. Jeder, der auf Blut und Gore steht, sollte hierum einen weiten Bogen machen, auch wenn es durchaus blutig und ruppig zur Sache geht. Hier kommt es nämlich neben der blutigen Grütze auf überlebensnotwendige Gedanken an, die einen überkommen, wenn man sich vorstellt, was wäre wenn ich in einer von Zombies überfüllten Welt leben würde. Würde ich mich umbringen? Was wäre mit meinen Kindern? Könnte ich meine Frau erschießen, wenn sie infiziert ist? Macht es eigentlich Sinn zu überleben?

Aubret zeigt eine hoffnungslose Welt, in der es keine Erlösung gibt. Höchstens vielleicht die, sich dem Leben als Zombie zu beugen, sich in kruden Ritualen verlieren und überhaupt aufhören, ein Mensch zu sein.

Das reicht mir wie immer vollkommen aus und daher freue ich mich sehr, dass solche sperrigen Filme von einem Streamingdienst etwas gepusht werden, wo schon von Anfang an klar sein wird, dass das hier kein Erfolg wird (von Achtungserfolg sprechen wir ein anderes Mal).

Wer Lust auf seltsames Kino hat, das nicht mal im Kino kommt, der wird sich freuen. Ich hoffe, ihr verhungert nicht während des Schauens.

9/10
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Kommentare

06.03.2018 19:09 Uhr - Nubret
1x
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Wie immer glänzend veranschaulicht! Auch wenn ich persönlich mehr auf die Zombie-Klassiker stehe.

06.03.2018 19:59 Uhr - Knochentrocken
1x
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Ich schliesse mich ohne Weiteres Nubret an.

06.03.2018 20:21 Uhr - cecil b
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Die Werbung für Netflix kann man auch als einen guten Tipp verstehen, genauso wie deine Review, die wieder deine persönliche Note hat. ;)

06.03.2018 20:32 Uhr - naSum
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Bei Zombie, Drama, Verhungern und ruhigem Film musste ich zuerst an "Maggie" mit Schwarzenegger denken, der das Genre auf eine enorm trist-melancholische Weise gestreift hat.

Hier weiß ich durch deine Schreibe zwar weniger vom Film selbst oder was mich erwartet, aber die mannigfaltigen Namen drumherum... Heidewitzka... Allen voran Tarkowsky? Ehrlich? Da muss ich ja einfach reinschauen!

PS: Diese hier gelieferte Herangehensweise an den Film finde ich übrigens äußerst gelungen. Zumindest bei einem so arthousigen Titel, den du damit sehr spannend machst, aber auch vor hohe Erwartungen stellst.

06.03.2018 21:57 Uhr - dicker Hund
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Hört sich wirklich vielversprechend an. Allerdings bevorzuge ich Trägermedien klar vor Streamingdiensten. Man möge mich ruhig Technikzombie nennen;-)

06.03.2018 22:33 Uhr - TheRealAsh
2x
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vielen Dank, ihr Süßen!

das sollte jetzt keine reine Netflix-Werbung sein, ich finds nur gut, dass es solche Filme auch dort gibt. Manchmal komm ich spät heim und dann hab ich irgendwie keinen Kopf mir was aus dem Regal noch zu suchen und möchte bedient werden;-) Da lobe ich mir ja Mopsens alphabetisches vorgehen sehr, ich bin leider nich so ordentlich.

Die meisten werden den Film auf jeden Fall scheiße finden und ne 1 braucht hier sicher nicht mehr lange, aber für dich, nasum, könnte er diesmal was sein, da er durchaus sozialkritisch ist, was du ja gerne magst.

Für Bluthunde muss ich sagen, dass es ein paar sehr schöne onscreen-kills gibt, leider aber auch einen bösen offscreen, von daher;-)

Keep the faith!

06.03.2018 22:48 Uhr - Punisher77
1x
DB-Helfer
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Superbes, ausführliches und hochinteressantes Review, das keine Wünsche offen lässt!

Da ich selbst seit einigen Monaten "Netflix"-Kunde bin, bin ich Dir wegen Deiner "Netflix"-Tipps sehr dankbar ... man kann ja nicht immer nur "Designated Survivor" und "Marvel"-Serien gucken ;-)...

07.03.2018 00:17 Uhr - TheRealAsh
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Und auch hier ein Danke! Ich finde es ja gut, wenn wir uns gegenseitig bei dem ganzen Netflixfluten Tipps geben, manches geht voll unter sonst, ich mach mir mittlerweile ja schon Zettel, mit dem, was ich nicht vergessen darf. Blöd an einem Film wie dem hier oder "I am the pretty thing..." sind halt, dass ich die gerne auf Scheibe besitzen würde.

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