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Ganja & Hess

Herstellungsland:USA (1973)
Standard-Freigabe:FSK 16
Genre:Horror, Drama, Fantasy, Mystery
Alternativtitel:Blood Couple
Black Evil
Vampires of Harlem
Black Vampire
Double Possession
Black Evil
Blackout: The Moment of Terror
Bewertung unserer Besucher:
Note: 9,00 (2 Stimmen) Details

Inhaltsangabe:

Der Anthropologe Dr. Green wird von seinem Assistenten Meda, der sich selbst töten wollte, mit einem verfluchten afrikanischen Ritualmesser niedergestochen. Doch Green ist nicht tot, sondern hat von nun an ein unstillbares Verlangen nach Blut. Als Medas Ehefrau Ganja zu Dr. Green kommt, um nach ihrem Mann zu suchen, nehmen Entwicklungen ihren Lauf, die nicht mehr aufzuhalten sind. ()

Diese Kritik enthält Informationen über den späteren Handlungsverlauf der Geschichte.
eine kritik von therealash:

Der US-amerikanische Filmemacher, Dramatiker, Schriftsteller und Schauspieler Bill Gunn verstarb 1989 mit nur 55 Jahren an einer Gehirnhautentzündung. Sein bekanntester Film ist sicher der experimentelle Horror-Film Ganja & Hess von 1973, der bei den Filmfestspielen in Cannes damals zu einem der zehn besten amerikanischen Filme des Jahrzehnts gewählt wurde. Für sein Drehbuch zu seinem Theaterstück Johnnas von 1972 gewann er sogar den Emmy. Als Schauspieler trat Gunn in Fernsehserien wie Gnadenlose Stadt, Preston & Preston, The Outer Limits, Solo für O.N.C.E.L. oder auch in zwei Episoden der Cosby Show auf. Ein Mann also, wie man sehen kann, der sein Handwerk verstand.

Mit dem Experimentalfilm Ganja & Hess, der weitläufig im Vampir-Horror-Genre angesiedelt ist, war es nicht ganz einfach. Da der Film kommerziell nicht so gut ankam, wie das bei sperrigen Filmen oft so ist, wurde er von ein paar der Produzenten umgeschnitten und in einer über 30 Minuten kürzeren Fassung, die sich mehr auf die blutigen Szenen konzentrierte unter dem reißerischen Titel Blood Couple nochmal verwertet und eher in die Richtung Blaxploitation gewendet. Doch so wichtig und sympathisch (aber auch problematisch) ein Blacula aus einem ähnlichen Themenkreis sein mag, Ganja & Hess ist wirklich alles andere als vampirifizierte Blaxploitation, sondern ein schändlich behandelter Beweis der anspruchsvollen afroamerikanischen Subkultur, die sich nicht nur mit der Stellung afroamerikanischer Problematiken in der damaligen eigentlich ja offener werdenden US-amerikanischen Gesellschaft auseinandersetzte, sondern ein tief verwurzeltes Erbe, Fragen um die religiöse Zugehörigkeit, Mythologie und Identität behandelt.

Obwohl Gunn eigentlich keinen Vampirfilm drehen wollte und das wahrscheinlich eher aus Konvention gegenüber den Geldgebern machen musste, ist die Ansiedlung in die Welt der Vampire dabei so unterhaltsam, wie passend, da der Vampir sich nach seiner Verwandlung ja meist etwas deprimiert durch die nie endende Gegenwart schleppt, immer auf der Suche nach Blut und sich selbst. Den Einfluss, den Ganja & Hess auf den filmischen Vampir-Mythos hatte, darf man auch nicht als zu kurz betrachten und vor allem nicht verschweigen. Ich habe die Vermutung, dass George A. Romero mit seinem Vampirfilm Martin von 1978 durchaus einen Tribut an Ganja & Hess einarbeitete, wie Bill Gunn mit seinem Film und der Wahl seines Hauptdarstellers als Verbeugung vor Romeros Die Nacht der lebenden Toten von 1968 betrachtet werden kann. Sieht man sich die damalige Beschäftigung mit Zombies, Vampiren und der gesellschaftskritischen Perspektive an, wird hier definitiv mehr geboten, als nur ein Vehikel für Blood and Gore bereitzustellen.

Meiner Meinung nach finden sich hier aber auch Ursprünge für spätere Vampir-Reihen wie Twilight, was die Verwandlung der Liebsten in eine Vampirin angelangt, oder die Serie True Blood, was den afroamerikanischen Kontext betrifft. Dies nur, um zwei bekanntere Beispiele zu nennen, da die Vampir-Thematik einfach zu weitläufig ist und sich ingesamt zu zahlreich befruchtet hat. Von der Machart ist es etwas tragisch, da Bill Gunn wirklich ein Händchen fürs Filmemachen hatte und seine Art des Erzählens eine Stimmung hat, die in Frankreich sicher besser aufgehoben gewesen wäre. Käme da nicht der Fluch des Genres, den ja Jean Rollin ebenfalls spüren musste, obwohl seine Filme wie Die Folterkammer des Vampirs oder Dienerinnen des Satans dem Surrealismus eines Alain Robbe-Grillet (Letztes Jahr in Marienbad) durchaus ähnlich waren. Na ja, nicht ganz, aber die Richtung stimmte definitiv. Hätte Gunn im Frankreich der Nouvelle Vague solche Filme gemacht, wäre er sicher in einem Atemzug mit Jean-Luc Godard, Jacques Rivette oder François Truffaut genannt worden. Oder? Zumindest zeigt das ja unter anderem die Ehrerbietung, die ihm vom Filmfestival in Cannes zugesprochen wurde.

Die Handlung ist einerseits sowohl komplex, wie auch einfach. Nachdem George Meda, der Assistent des Anthropologen Dr. Green, Selbstmord begehen möchte, versucht Dr. Green ihn zurückzuhalten. Doch Meda sticht seinen Chef mit einem verfluchten Ritualdolch aus Afrika nieder und bringt sich schließlich um. Was mit Hess Green nun passiert, erschließt sich ihm selbst erst langsam. Sein Hunger nach Blut zeigt ihm aber bald, dass er eine Verwandlung vollzogen hat, die nicht mehr rückgängig zu machen ist. Von nun an muss er morden, um zu überleben. Als dann noch Georges Ehefrau Ganja bei Dr. Green nach ihrem Mann sucht, entdeckt sie ein Geheimnis, das ihr Leben für immer verändern wird.

Die Gliederung in eine dreiteilige Struktur ist Gunn dabei gut gelungen, um die persönliche Entwicklung eines frisch verwandelten Vampirs zu zeigen. Teil I unter dem Titel "Victim" zeigt, wie Dr. Hess zum Opfer wird, Teil II unter dem Titel "Survival", wie er als Vampir überleben und deshalb zum Mörder werden muss und der längste Teil III unter dem Titel "Letting go", wie er sich seinem neuen Leben fügt oder sich auch gegen sein Schicksal wehrt. Insgesamt also eine Vampir-Geschichte, wie sie im Handbuch der Entwicklungspsychologie des Hoch-Vampiristen steht.

Ganja & Hess ist jedenfalls ein sehr guter Surreal-Vampirific-Evil-Film, der mit Duane Jones einen hervorragenden und vor allem für Genre-Fans unverzichtbaren Hauptdarsteller hat. Duane Jones ist wohl der wichtigste Zombie-Survivor, der als Ben am Ende bei Night of the Living Dead ausgerechnet dem Hillbilly-Mob zum Opfer fällt, was wieder mal zeigt, worauf der Hinterwäldler seine Prioritäten bei der fröhlichen Hetzjagd legt. Leider verstarb auch Jones viel zu früh mit nur 51 Jahren, ein Jahr vor Bill Gunn. Seine Darstellung des Dr. Hess Green hat sowohl etwas zurückhaltend aristokratisches, als auch die Blutrünstigkeit, welche man sich von einem klassischen Vampir wünscht. Vor Louis de Pointe du Lac und Lestat de Lioncourt aus Interview mit einem Vampir braucht er sich da definitiv nicht zu verstecken.

Die attraktive Ganja wird von Marlene Clark gespielt, die nicht nur enorm attraktiv ist, sondern einen sehr nachdenklichen und starken weiblichen Charakter spielt, bei dem es am Ende um mehr geht als nur Vampirismus. Neben ihrer Model-Karriere kennt man Clark aus kleineren Rollen wie in Der Mann mit der Todeskralle, Black Mamba oder als Muff aus Die Bronx-Katzen von Jack Hill.

Man darf sich natürlich nicht täuschen lassen. Ganja & Hess ist ein Low-Budget-Film mit sehr langen und ruhigen Passagen. Das Blut sieht aus wie Tomatensaft und die Bildqualität bewegt sich (wohl auch aufgrund des noch erhaltenen Filmmaterials) auf niedrigem Niveau. Diese Mängel verschwinden aber vor dem ungewöhnlichen Drehbuch, den tollen Dialogen und einer anspruchsvollen Regie, deren Qualität von vielen heute gar nicht mehr so geschätzt werden wird und man muss sagen, dass Ganja & Hess zum Glück und mit Recht eine hervorragende Restaurierung vom Museum of Modern Art bekommen hat. Da Gunn viel im Theater tätig war, würde ich hier beispielsweise auf einen Kollegen von ihm verweisen, da mich manche Dialoge und Monologe an diesen erinnert haben. Gerade das Drama Dutchman von Amiri Baraka, das den Mythos des fliegenden Holländers aus der Perspektive der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung neu erzählt, hat mich manchmal an Ganja & Hess erinnert, da auch hier die Fragen nach Identität, Erbe und Gesellschaft unter durchaus mehr als tragischen Umständen gestellt werden. Der Monolog von Ganja über eine Kindheitserinnerung mit einer Schneeballschlacht und eine Traumatisierung durch ihre Mutter, gehört für mich zu einer der mitreißendsten Szenen, die meiner Ansicht nach in der Recut-Version geschnitten wurde, da sie letztlich kaum herkömmliche Genrekost bietet, sondern vielmehr die Last der Vergangenheit in Hinblick auf gegenwärtige Probleme verdeutlicht.

Der Soundtrack von Sam Waymon klingt ebenfalls sehr experimentell im besten Sinne des Wortes und wird im Score  mit traditionellen Spirituals, Ethnosounds, elektronischen Disharmonien und treibenden Rhythmen aufgepeppt, die den Konflikt mit der Kirche verdeutlichen, dem sich Dr. Green trotz oder gerade wegen seines Vampirismus nicht entziehen kann. Waymon ist übrigens der Bruder der großen Nina Simone, deren Version des Spirituals "Sinner Man" am Ende von David Lynchs Inland Empire für mich zum besten gehört, was es im breiten filmischen Lynch-Kosmos gibt. Und da gibt es viel. Eine Schallplatte von Nina Simone liegt dann in Ganja & Hess ganz passend bei Dr. Green in der Wohnung rum. Spike Lee hat Gunns Werk über 50 Jahre später sogar ein ziemlich werkgetreues Remake unter dem Titel Da Sweet Blood of Jesus im Jahr 2014 spendiert, um diesen besonderen Film noch einmal in Erinnerung zu bringen und den Fokus noch mehr auf den religiös-vampirischen Kontext zu legen.

Alles in allem ist Ganja & Hess ein anspruchsvoller Vampir-Horror-Experimental-Film, der meines Wissens nie in Deutschland veröffentlicht wurde und neben einem durchaus blutigen Überlebenskampf den Vampirmythos mit einem afrikanischen Erbe verbindet, in dem sich auf vielen verschiedenen Ebenen ein Kampf zwischen der Gesellschaft und dem Individuum, der Religion und dem Übernatürlichem, sowie zwischen Mann und Frau zeigt.

8/10
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Kommentare

11.03.2018 17:06 Uhr - Nubret
1x
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Den kenn ich jetzt nicht. Aber ich denke, ich sollte mich auf die Suche machen. Wieder mal bombig vorgestellt!

11.03.2018 17:29 Uhr - Intofilms
1x
Überragend - Film wie auch Rezi. Da bebt die Waldhütte! :))
Was ist das eigentlich für ein Film? Den Begriff 'Blaxploitation' kann man hier sicherlich ins Feld führen. Ebenso natürlich 'Horrorfilm'. Aber vor allem ist das doch ziemlich radikales Arthouse-Kino (im Exploitation-Tarnanzug) mit politisch-sozialkritischer Agenda! Unter der gefälligen, scheinbar harmlosen Genre-Oberfläche brodelt und gärt es also gewaltig. Da lässt sich mit Sicherheit so einiges herauslesen... Fazit: Schwer fassbarer, komplexer und hochinteressanter Indepedent-Beitrag, der meiner Meinung nach künstlerisch wie auch ideell bedeutsam herausragt, irgendwie etwas Einzigartiges hat und deshalb auch die aufgerundete Höchstpunktzahl von mir erhält. (Ich finde ja, deine Rezi liest sich auch eher wie eine 09/10 mit Tendenz nach oben...^^)
Duane Jones: Sehr richtig, ganz toller Schauspieler!

11.03.2018 19:38 Uhr - NoCutsPlease
1x
DB-Helfer
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Experimenteller Horror mit kulturellen, dramatischen, rituellen und surrealen Elementen klingt hochgradig interessant.
Ist vorgemerkt! Danke an unseren Waldi! :)

11.03.2018 22:52 Uhr - cecil b
1x
Moderator
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Erfahrungspunkte von cecil b 8.062
Der Film gehört ja in meinen Schrank! Der ist offensichtlich genau mein Ding!

Danke für diese Rarität!

Ein Film-Lexikon und ein Review zusammen, da ist für jeden was dabei. :)

Kleine Anmerkung: Ob MARTIN ein Vampirfilm ist, das liegt im Auge des Betrachters. ;)

12.03.2018 00:15 Uhr - TheRealAsh
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Vielen Dank!

Into, schön, dass dir der Film gefällt, ich habe ja auch gezögert, ob ich nicht die Höchstwertung gebe, oder zumindest die 9, bin dann aber etwas zurückgerudert, da es ja letztlich keine wirklich abgenommene Version von Gunn gibt.

Cecil, der wird dir sicher sehr munden, das mit dem Vampirstatus kann man bei Ganja & Hess durchaus auch anders sehen, von daher passt das zu Martin ganz gut. Interessant finde ich auch die Kreuze im Schriftzug der beiden Filme, die meiner Meinung nach durchaus eine gewisse Ähnlichkeit haben. Aber das kann auch Einbildung sein;-)

Mit freundlichen Grüßen
Waldi Waldemar (halb Mensch, halb Köter...)

12.03.2018 08:41 Uhr - dicker Hund
1x
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12.03.2018 00:15 Uhr schrieb TheRealAsh

Mit freundlichen Grüßen
Waldi Waldemar (halb Mensch, halb Köter...)


Solche Einschätzungen solltest Du vielleicht lieber den diesbezüglichen Profis überlassen;-)

Aber tolle Rezi, keine Frage.

12.03.2018 10:51 Uhr - TheRealAsh
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entschuldige, heiliger Waldmops, die Canidenprüfung überlasse ich natürlich dir;-)

12.03.2018 15:46 Uhr - Horace Pinker
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Wow ein echtes Monsterreview geliefert Ash, diese gekonnte und wunderbar ausformilierte Mischung aus stimmiger Subtextinterpretation, Aufzeigen der Hintergründe und Schilderung der filmischen Qualitäten hat mir sehr gut gefallen. Von dem Film habe ich noch nie gehört (und hätte hinter dem Titel wegen dem Wort Ganja auch eher eine Kifferkomödie erwartet) und auch mit Duane Jones Rollen außerhalb von Night habe ich mich bisher nicht weiter auseinandergesetzt. Hier scheint sich das nachholen allerdings klar zu lohnen, insbesondere da ich sowohl Vampire als auch Romero mag und auch win derartiger kritischer Subtext oftmals reizvoll ist.

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