Alberto De Martino (1929 - 2015) war einer jener unzähligen italienischen Filmemacher, die als routinierte Handwerker bezeichnet werden können... wenn man im Fall De Martinos mal von einer ultramegaschundigen Abstrusität namens „Der Puma-Man“ (sic!) absieht. Ab 1937 als Kinderdarsteller beim Film tätig, kehrte er nach einem Jurastudium Anfang der 50er ins Metier der bewegten Bilder zurück, diesmal hinter die Kamera als Editor, Drehbuchautor und Regieassistent, bevor er 1961 mit „Der unbesiegbare Gladiator“ sein erstes eigenes Werk als Regisseur inszenieren sollte. In den nächsten Jahrzehnten arbeitete er in allen möglichen Genres, von Peplum und Italowestern über Eurospy-Reißer, Horror, Komödie, Gangsterfilm bis hin zum Krimi und Kriegsabenteuer. 1970 wurde er als 2nd-Unit-Director für Sergio Leones „Todesmelodie“ engagiert. Nebenbei war er in den 50ern und 60ern als Synchronregisseur für die italienische Vertonung von über 1500 Filmen verantwortlich.
1975 drehte er unter seinem des Öfteren genutzten Pseudonym Martin Herbert den im März 1976 uraufgeführten „Feuerstoß“ (im Original: „Una Magnum Special per Tony Saitta“), in dem sich die Genres des Polizeithrillers, sowohl US-amerikanischer als auch italienischer Prägung, und des Giallo freundschaftlich die Hand gaben. Spiel- und Drehort war dabei keine Metropole des europäischen Südens, sondern das kanadische Montreal (ein weiterer Drehort stellte Ottawa dar). De Martino fängt die Millionenstadt in Québec durchaus reizvoll zu Lande und aus der Luft ein.
An einer Montrealer Universität stirbt die Schwester des hartgesottenen Ottawa-Cops Tony Saitta (Stuart Whitman) unter mysteriösen Umständen. Bei den Nachforschungen wird Saitta von seinem Kollegen Ned Matthews (John Saxon) unterstützt. Gemeinsam stechen sie in ein Nest aus Affären und Intrigen. Es kommt zu weiteren Morden. Unter den Verdächtigen befindet sich unter anderem Dr. George Tracer (Martin Landau)…
Die Story und das Drehbuch von Vincent Mann (alias Vincenzo Mannino, „The House on the Edge of the Park“, „Monster Shark“) und Frank Clark (alias Gianfranco Clerici, “Cannibal Holocaust”, “New York Ripper”) ist keineswegs über Gebühr originell, die ein oder andere überraschende Wendung enthält das Skript trotz alledem. Die Dialoge sind dabei nicht ganz so kreuzdämlich wie in vielen anderen Italo-Produkten der Spät-70er / Früh-80er, preiswürdig geht dennoch ganz anders. Der Plot ist klarerweise nur das Mittel zum Zweck, ein Whodunit-Mysterium mit Actionszenen zu verbinden. Dies gelingt dann auch auf unterhaltsame Art und Weise. So schmunzelt der geneigte Zuschauer bei der Prügelei zwischen dem Protagonisten und mehreren Transvestiten oder hält den Atem bei waghalsigen Autojagden an. Davon gibt es zwei zu bestaunen: Eine sehr kurze zu Beginn des Streifens und eine in der Mitte, die mit gut acht Minuten keine Wünsche offenlässt (Achtung! Der deutschen Fassung fehlen hier leider etwa drei Minuten). Gerade letztere Blechschadenorgie ist exzellent und überschaubar gefilmt und muss sich selbst vor bekannten Hollywood-Aushängeschildern in diesem Bereich wie „Bullitt“, „French Connection“ oder „Die Seven-Ups“ nicht verstecken. Auch das fiese Spiel des Killers mit einem blinden Charakter ist nicht langweilig geraten. Man kann es als Reminiszenz an Henry Hathaways „23 Schritte zum Abgrund“ sehen (pun intended). Blut suppt nicht allzu viel über die Mattscheibe, gänzlich ohne rote Soße und Leichenteile kommt „Feuerstoß“ (zum Glück?) dennoch nicht aus. Den Beweis hierfür liefern einige saftige Einschüsse, eine Sequenz, in der ein Körper mittels Steinbrechanlage entsorgt und zerkleinert wird sowie andere stichhaltige Nettigkeiten.
Die Giallo-Anteile treten gegenüber denen des Poliziesco etwas in den Hintergrund. Außerdem sind sie weit weniger rauschhaft farbenfroh kredenzt als in Referenzwerken von Bava oder Argento. Nüchternheit ist die Devise. Trotzdem ist das Geschehen natürlich professionell, gerne auch mal in ausgiebiger Zeitlupe eingefangen worden. Verantwortlich hierfür war Chef-Kameramann Antony Ford, ein, ähem, Nom de Plume hinter dem sich unser allerwertester Schmuddelonkel Nummero Uno Aristide Massaccesi aka Joe D'Amato („Nackt unter Kannibalen“, „Man Eater - Der Menschenfresser“, „Sado - Stoß das Tor zur Hölle auf“, „Caligula - Der Anal-Tyrann von Rom“) versteckelt. Der Score, komponiert von Armando Trovajoli („Boccaccio 70“, „Casanova `70“, „Frankenstein 90“ - und „Dante 87 1/9“[kleiner Scherz]), ist zum größten Teil gefällig, teils jedoch leider auch unpassend und repetitiv. Den Schnitt besorgte Vincenzo Tomassi unter dem Pseudonym Vincent P. Thomas (in editierender Funktion beispielsweise verantwortlich für „Cannibal Holocaust“ und die maßgebenden Fulci-Gore-Sauereien „Woodoo – Schreckensinsel der Zombies“, „Ein Zombie hing am Glockenseil“, „Geisterstadt der Zombies“ und „New York Ripper“). Seine Arbeit ist routiniert, eine gewisse Holprigkeit dann und wann kann ich allerdings nicht negieren.
Vor der Kamera hauchen den Figuren unter anderem Leben ein: Stuart Whitman, ein US-amerikanischer Darsteller, der in der ersten Hälfte der 60er in einigen Hollywood-Großproduktionen wie „Die Comancheros“, „Der längste Tag“ oder „Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“ agierte und später hauptsächlich mit Serien sowie B- und C-Streifen sein täglich Brot verdiente; John Saxon, seines Zeichens B-Movie-Legende, bekannt aus „Südwest nach Sonora“, Bavas „The Girl Who Knew Too Much“, Argentos „Tenebrae“ oder Cravens „A Nightmare on Elm Street“; der 2017 verstorbene Martin Landau, zuvor ebenfalls in großen Hollywood-Werken („Der unsichtbare Dritte“, „Cleopatra“, „Vierzig Wagen westwärts“) zu sehen, um anschließend in B-Untiefen zu versinken und um dann ab 1994 mit „Ed Wood“ sowie seinem dazugehörenden Oscar-Gewinn im Jahr darauf einen zweiten Karrierefrühling zu erleben; Tisa Farrow, Schwester von Mia, und als markant-attraktive Leading Lady im italienischen Exploitationzirkus („Woodoo – Schreckensinsel der Zombies“, „Man Eater“, „Jäger der Apocalypse“) keine Unbekannte, in der Rolle der Julie Foster; die Texanerin Gayle Hunnicutt (Roger Cormans „Die wilden Engel“, „Der Dritte im Hinterhalt“, „Tanz der Totenköpfe“) als promiske Margie Cohn; sowie die bildhübsche Kanadierin Carole Laure („Flucht oder Sieg“, „Sweet Movie“, „Für die Hölle geboren“) als des knallharten Cops jüngere Schwester Louise.
Die Leistung der Genannten ist zwar diskutabel, als bodenlos grottig würde ich sie allerdings nie bezeichnen. Da war ich schon Augenzeuge viel, viel schlimmerer Schandtaten. Whitman stapft sauertöpfig mit nur anderthalb Gesichtsausdrücken durch die Walachei und ist damit immer noch um einiges variabler als schauspielerische Rohrkrepierer bzw. mimische Holzklötze der Marke Seagal und Norris. Wäre meine Schwester getötet worden, ich würde vermutlich nicht anders aus der schmutzigen Wäsche schauen. Charisma kann ich dem guten Herrn Whitman jedenfalls nicht grundlegend absprechen. Dafür ist Mr. Saxon seltsam blass. Nichtsdestotrotz darf er sich den ein oder anderen Spruch aus dem Schlappmaul leiern. Landau und Farrow sind durchaus überzeugend. Bei Mademoiselle Laure schaut man(n) gerne hin, ebenso bei Mrs. Hunnicutt, wobei sich diese Dame schauspielerisch letztendlich nicht wirklich in die Hirnwindungen brennt. Alles in allem kann man trotz etwaiger Schwächen noch von gut annehmbaren Ergebnissen sprechen.
Die verschiedenen Alternativtitelverwurstungen zeigen die diversen Vermarktungsstrategien auf. Um auf der Poliziesco-/“Dirty Harry“-Schiene punkten und ein paar Penunsen extra einfahren zu können, wurde „Feuerstoß“ unter anderem als „.44 Special“, „Blazing Magnum“, „Special Magnum“ und „Tough Tony Saitta“ verkloppt. Um Giallo-Aficionados zu locken, dichtete man sich das poetische Banner „Strange Shadows in an Empty Room“ zurecht. Auf Deutsch kam „Feuerstoß“ auch als „Tod im College“ und reißerischer als „Autopsie im College“ auf den Markt (nee, mit brachialen Autopsiebildern is hier nüscht). Die deutschen Versionen sind um gut 10 Minuten gekürzt (vornehmlich Handlungsszenen, doch - wie bereits erwähnt - wurde die Schere blöderweise ebenfalls in einer ausgiebigen Verfolgungsjagd angesetzt). Die 2016er US-BD von Kino Lorber (Titel: „Shadows in an Empty Room“) ist übrigens uncut.
Fazit:
Dirty Harry trifft auf Giallo. Der grimmige Großstadt-Cop Tony Saitta tritt mit Verve Scheißhaustüren ein, prügelt und schießt, bevor er fragt. Politische Korrektheit ist nicht seine oberste Priorität. Ja, meine Rezension mag sich vielleicht arg kritisch lesen, aaaber: Die Chose macht Spaß. Langweile kommt beim „Feuerstoß“ nicht auf. Alberto De Martino ist eine solide, unterhaltsame Melange aus Cop-Action (mehr) und Murder-Mystery/Giallo (etwas weniger) gelungen. Also: Ein kleiner Tipp für Freunde des gepflegten Italo-Reißers, selbst wenn das Ganze in vorliegendem Fall eher amerikanisch anmutet und mit einer kanadischen Firma co-produziert wurde. 7,5 Fanboy-Punkte... und jep, ich runde auf, weil ich mir das Teil immer wieder geben kann. User mit gutem Geschmack dürfen vom Endergebnis gerne 2 Pünktchen abziehen!
8/10