Brian De Palma ist Freunden der rauheren Mainstreamkost in der Regel wegen "Teufelskreis Alpha" und "Scarface" ein Begriff, wenn nicht ohnehin wegen dem hier zu besprechenden Thrillerdrama "Carrie", dem Original von 1976 wohlgemerkt. Es handelt sich um die Verfilmung eines Romans von Stephen King, und zwar zu einer Zeit, als das noch nicht bedeutete, Gras auf eine bereits grüne Wiese zu kippen. So vergingen sogar bis zur immer noch als früh durchgehenden Umsetzung von "Shining" durch Stanley Kubrick weitere vier Jahre.
Der zeitlupendurchsetzte Beginn ist nicht nur intensiv inszeniert, sondern für nordamerikanische Sehgewohnheiten auch überraschend schlüpfrig. In der Schulmädchenumkleide ist jede Menge nackte Haut zu erblicken, auch jene von Hauptdarstellerin Sissy Spacek unter der Dusche. Dass diese im grob unpassenden Alter von 27 Jahren ihr Talent für eine jugendliche Rolle einsetzen musste, hat sie zum Glück nicht demotiviert. Im Gegenteil haucht sie ihrer "Carrie" die schüchtern-ungeschliffene Aura einer Außenseiterin ein, die trotz oder gerade wegen ihrer sozialen Randständigkeit in manchen Situationen reflektierter und emotional intelligenter wirkt als ihre oberflächlichen Mitschülerinnen. Naturgemäß kann sie jedoch die gravierenden Defizite aus dem alleinerziehenden Elternhaus nicht alleine kompensieren. Dort herrscht im Kontrast zur erotischen Zeigefreude der Schüler einschließlich eines Blowjobs im Off (Sex 4/10) eine unendlich verklemmte Grundstimmung, die von Seiten der despotischen Mutter Margaret (Piper Laurie in ihrer 29. Rolle) religiös verbrämt wird:
"Wir wollen beten!"
Diese Ansage ist angesichts des Schreiens und Flehens der hierzu unwilligen Tochter als pluralis majestatis zu verstehen. Angesichts der überzeugend unausstehlich gespielten Erzeugerin kann der Plot als Sinnbild für den sozialen Zwei-Fronten-Krieg herhalten, den Jugendliche aus instabilen Verhältnissen zu führen haben, wenn ihnen die peergroup in der Schule ebensowenig Halt gibt, sondern durch Mobbing noch Öl ins Feuer gießt. Die eitlen Quälgeister unter der Wortführerschaft von Chris (Nancy "Robocop"-Anne-Lewis Allen) machen dem schlecht aufgeklärten Mädchen das Leben zur sprichwörtlichen Hölle. Interessanterweise verkommen die Jungs (u. a. John Travolta, der mittlerweile zuvörderst mit "Pulp Fiction" assoziiert wird, und William Katt, Paul Drake Jr. aus diversen "Perry Masons") in diesem Spiel zu bloß optisch begehrenswerten Statisten, die rasch um den Finger gewickelt sind, um sich für die Intrigen der Grazien einspannen zu lassen.
"Macht schon, Ihr eingebildeten Puten!"
Selbst die Lehrerschaft tut sich schwer mit den pubertierenden Schönheiten, für die Carrie als Fußabtreter herhalten muss. Mit ihr sollte man sich eigentlich nicht anlegen, denn sie hat die Gabe der Telekinese. Dieses für Freunde des Phantastischen erfreuliche Motiv lässt leider lange auf sich warten, erst recht tun das die wenigen damit einhergehenden grafischen Momente (Gewalt 3/10), die zwischen moderat explizit und total verhüllend umgesetzt sind. Das außergewöhnlich eingesetzte Blut kommt im vorgezogenen Finale nach einer guten Stunde zur visuell beeindruckenden Geltung, ohne allzusehr zu erschrecken (Horror 5/10). Dafür weiß die berüchtigte Sequenz auf dem Abschlussball aber mit Splitscreen-Tricks und wahrlich diabolischen Blicken zu gefallen. Die dortige Demütigung gleicht eher einem Attentat als einem Streich und wurde absichtlich lange vorhersehbar gehalten. Dennoch erscheint die Publikumsreaktion fernliegend: Wenn die blöde Feier den Gören doch ach so wichtig ist, warum sollten sie sich freuen, wenn ein dermaßen ekliges Ereignis die Stimmung versaut? Durch die eitle Definition des Abschlussballs als Zugehörigkeitsritual entsteht sowieso schon eine gewisse Distanz des Zuschauers, die durch solche Widersprüche nicht verringert wird. Die altbacken spießige Institution der "Prom Night" ist in hinterfragenden Darstellungen wie in "The Loved Ones" inzwischen zum Glück besser aufgehoben als in dem überkommenen, ernst gehaltenen Psychospuk. Mangels Humors (1/10) hebt sich an mancher Stelle hier die Augenbraue noch recht hoch.
Die engagierten Schauspieler wenden so manch eine vor diesem Hintergrund drohende erzählerische Peinlichkeit ab. Würdige Kulissen stehen ihnen als Rahmen hierfür zur Verfügung, wobei insbesondere die unwirklich bunt gehaltene Fassade des Tiergeheges und der reichlich geschmückte Ballsaal zu gefallen wissen. Der Score unterstützt die vor allem in den durchdachten Dialogen authentisch wirkenden Konflikte mit einer Grundstimmung aus verträumter Atmosphäre und undurchsichtigem Grollen. So wird retuschiert, dass der Hokus Pokus um wie von Geisterhand bewegte Gegenstände ähnlich an der Grenze zur Albernheit schrammt wie die überdimensionalen Fliegen der jungen Herren und Tommys "Thomas Gottschalk"-Frisur. Diese kleine Perle (7/10 Punkten) von einem angestaubten Schocker lebt von ihrer zeitlosen Thematik um schlimme Ausgrenzung an Schulen und noch schlimmere Opferreaktionen, die sich in den gerade wieder aktuellen Amokläufen an nordamerikanischen Bildungsstätten zeigt. Audiovisuell und in Sachen Schauspielkunst hat sie einiges zu bieten. Mitfiebern oder -leiden mag man mit den unsympathischen Figuren indes nicht - und auch die provokative Wirkung der recht geizig eingesetzten Horrorelemente hält sich in Grenzen. Die eingeschränkte Jugendfreigabe erscheint wiederum angemessen.
7/10