Die Entfesselten
Originaltitel: L'Agression
Herstellungsland: | Frankreich, Italien (1975) |
Standard-Freigabe: | FSK keine Jugendfreigabe |
Genre: | Drama, Krimi |
Bewertung unserer Besucher: |
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Note: 6,83 (6 Stimmen) Details |
Inhaltsangabe:
Paul Varlin ist mit seiner Frau Hélène und seiner Tochter Patty auf dem Weg in die Ferien.
Nach einer Pause auf einer Autobahnraststätte geht die Fahrt weiter, doch der entspannte Trip in den Urlaub endet, als 3 Motorradfahrer im Rückspiegel auftauchen und Jagd auf die Familie machen. Der Wagen kommt von der Straße ab und Paul Varlin wird von den Bikern brutal zusammengeschlagen. Als er mitten in der Nacht wieder zu Bewusstsein kommt, findet er seine geliebte Familie neben dem Auto. Vergewaltigt und ermordet! Gemeinsam mit seiner Schwägerin Sarah und der Polizei versucht er, die 3 Biker zu finden. Als die Ermittlungen ins Leere führen, schlägt Varlins Trauer in blinden Hass um und im Wahn der Selbstjustiz startet er einen unbarmherzigen Rachefeldzug gegen die Mörder seiner Familie! (Subkultur)
Gerard Pires Filme sind außerhalb seiner Heimat Frankreich nur wenig bekannt. Einzig die von Luc Besson (NIKITA) produzierte Action-Komödie TAXI (1998) schaffte es, auch hierzulande einen kleinen Erfolg zu verbuchen.
Sein 1975 entstandener Streifen DIE ENTFESSELTEN ist ein eigenwilliger Genremix aus Drama, Selbstjustiz-Thriller und Motiven des Biker-Films. Die Figurenzeichnung ist in dieser französisch-italienischen Co-Produktion, im Vergleich zu amerikanischen Titeln ähnlichen Zuschnitts, durchaus ungewöhnlich. Zudem ist Pires Werk mit Jean-Louis-Trintignant (9 IM FADENKREUZ), Catherine Deneuve (BELLE DE JOUR) und Claude Brasseur (LA BOUM, ABSTIEG ZUR HÖLLE) bestechend gut besetzt und wird somit fast zum Pflichtprogramm für Freunde des europäischen Kinos.
Die Story, auf die ich jetzt kurz eingehen werde, beruht auf der Geschichte THE SHREWSDALE EXIT von John Buell:
Paul Varlin (Jean-Louis Trintignant), ein erfolgreicher Geschäftsmann, ist mit seiner Frau und der zehnjährigen Tochter unterwegs in den Urlaub. Auf der Autobahn wird die Familie von einer Gruppe Motorradfahrern bedrängt, die es scheinbar auf die hübsche Mme. Varlin (Michele Grellier) abgesehen haben. Der Vater verliert schließlich die Kontrolle über den Wagen und rast eine Böschung hinab. Die Biker verprügeln den wehrhaften Varlin, der nach dieser Attacke das Bewusstsein verliert. Als er wieder zu sich kommt, ist seine Familie tot. Ehefrau Helene wurde zudem bestialisch vergewaltigt. Da die Angreifer Helme trugen, ist eine Überführung durch die Behörden letztendlich nicht möglich.
Verlin beginnt schließlich, auf eigene Faust zu ermitteln. Unterstützung erhält er dabei von seiner Schwägerin Sarah (Catherine Deneuve), mit der er schon bald eine Affäre beginnt. Auch Andre Ducatel (Claude Brasseur), ein Kellner der Autobahnraststätte, in der die Familie an jenem Schicksalstag eingekehrt ist, erweist sich als sehr hilfreich.
Letztendlich besorgt sich Paul ein Gewehr. Im Alleingang rechnet er mit den Bikern ab. Aber sind sie wirklich die wahren Schuldigen?
Mit DIE ENTFESSELTEN ist Gerard Pires tatsächlich ein Film gelungen, der mit einigen Konventionen des Mainstream-Kinos bricht. Am interessantesten ist dabei die Figur des Paul Valin, der von dem grandiosen Jean-Louis Trintignant gnadenlos genial verkörpert wird. Sein Verhalten nach dem Verlust der Familie ist kaum nachvollziehbar, aber dennoch (wahrscheinlich dank Trintignants großer Schauspielkunst) niemals unglaubwürdig. Statt zu trauern legt er bereits beim ersten Polizeiverhör eine ungeheure Ruppigkeit an den Tag, die dem Zuschauer doch erstmal etwas ungewöhnlich erscheint. Kurz darauf vergewaltigt er fast seine schöne Schwägerin Sarah (Deneuve), die trotz dieses Übergriffs keineswegs erzürnt ist, sondern sogleich eine Liebesbeziehung mit unserem zweifelhaften Helden beginnt. Auch bei ihr ist keine Spur von Traurigkeit zu verspüren, ganz im Gegenteil. Sie gesteht ihm sogar, schon früher großes Interesse an ihm gehabt zu haben. Für Sarah ist diese neue Situation, trotz dem Verlust der Schwester, eine Art Ausbruch aus ihrem bisherigen, spießigen Leben. Sie blüht regelrecht auf, was man an ständig wechselnden Frisuren und sehr ansehnlichen, ebenso oft wechselnden Klamotten, sehen kann.
Auch bei seinen Ermittlungen und der Vorbereitung seiner Rache wirkt Varlin sehr emotionslos, fast stoisch. Unsicher wirkt er eigentlich nur (genau wie der Zuschauer) bei der Frage, ob die Biker wirklich verantwortlich für den Tod seiner Familie sind. Tatsächlich scheint er nur in Sarahs Nähe zu stärkeren Gefühlen fähig zu sein. Vor allem diese ungewöhnliche Charakterzeichnung wird Pires Film häufig negativ angekreidet. Ich hingegen sehe sie als großen Pluspunkt. Tatsächlich ist es doch in der Wirklichkeit so, daß jeder mit Extremsituationen, in diesem Fall dem Verlust der Familie, anders umgeht. Ebenso trifft das auf den Zustand der Trauer zu. Wenn er überhaupt vorhanden ist. Warum muß alles immer so einfach und durchschaubar sein wie in Hollywoods Traumfabrik? Und wer das wahre Leben ein bisschen kennt, der weiß, daß es nichts gibt, was es nicht gibt.
Auf schauspielerischer Seite hat man schon mal alles richtig gemacht. Ebenso brillant wie das Duo Deneuve/Trintignant agiert einmal mehr Claude Brasseur, der einen herrlich freakigen Kellner abgibt, der gerne Tonbänder von kopulierenden Tieren anfertigt und auch sonst alles auf Magnetband festzuhalten scheint. Auch hier eine ansprechende Leistung, die nicht alltäglich ist.
Besonders erwähnenswert ist der hervorragende Soundtrack von Robert Charlebois, der mal rockig, mal dramatisch, aber immer äußerst einprägsam ist. Die Kamera durfte Silvano Ippoliti schwingen, der schon ein paar Bud-Spencer-Streifen bebildert hat. Dabei überzeugt er bei den tollen Actionszenen, die zwar rar gesät, aber handwerklich ansprechend gemacht sind. Bei den ruhigeren Sequenzen gelingt es ihm, ein typisch französisches Flair heraufzubeschwören, durchzogen von Zigarettenrauch und Rotweinduft.
Die am Ende erfolgende Rache fällt für einen Film dieser Art dann relativ zahm aus, was dem positiven Gesamtbild dieses durchaus spannenden Streifens keinen Abbruch tut. Und der Zuschauer wird am Ende noch mit einem Plot-Twist belohnt, der einen fast in seelige Giallo-Zeiten zurückversetzt.
Gerard Pires DIE ENTFESSELTEN ist ein spannender Rache-Thriller mit Anleihen beim Biker-Film. Die Inszenierung ist dabei eher unaufgeregt, dafür mit einer Charakterzeichnung ausgestattet, die die üblichen Sehgewohnheiten gehörig auf den Kopf stellt. Zudem ist Pires Film eine interessante Parabel über die Macht der Vorurteile und ein Beleg dafür, daß die Wahrheit oft nur das ist, was sich in unseren Köpfen manifestiert hat. Freunde des euopäischen Kinos jener Jahre können jedenfalls bedenkenlos zugreifen.
Ungekürzt erschienen bei Subkultur.
Kommentare
15.08.2018 00:16 Uhr - TheRealAsh |
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Rotweinduft find ich super. Den Film kenne ich noch nicht, scheint mir aber wieder ein franko(Italienisches) Schätzchen aus dem Hause nubret zu sein. Sounds good!
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15.08.2018 06:24 Uhr - Nubret |
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Yes, Sir!
Und die Blu-Ray-Auswertung scheint in Sachen Qualität gegenüber der schon tollen DVD noch ein Schippchen draufzulegen. Denke selbst über ein Upgrade nach. |
15.08.2018 14:38 Uhr - dicker Hund |
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Tonbänder von kopulierenden Tieren? Unerhört!
Angenehm lesbare Kritik indes, wie gewohnt. |
15.08.2018 17:35 Uhr - Nubret |
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Danke Hundchen..
Ja, dieser Strolch! |
17.08.2018 11:11 Uhr - cecil b |
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![]() Moderator ![]() ![]() |
Hui, der Film scheint echt mal ein heißes Eisen zu sein. Nichts für Zartbesaitete. Danke für die gelungene Vorstellung!
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17.08.2018 13:57 Uhr - Nubret |
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Immer wieder gerne, Cecil!
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