Hell's Kitchen in den 60er Jahren ist alles andere, als ein perfekter New Yorker Stadtteil. Gelegen in Manhattan, leben dort vorwiegend arme Familien arbeitsloser Einwanderer aus Irland und Italien. Mittellosigkeit und verwahrloste Straßenzüge sind kennzeichnend für ein schwieriges, raues Leben, aber trotz aller Trostlosigkeit kann man in dem von Prohibition, Straßenkämpfen und Mafia gezeichneten Viertel einen gewissen Charme erkennen. Hier verbringen die vier Freunde Shakes, Tommy, Michael und John ihre Kindheit. Zuerst unbeschwert, trotzen sie aller Armut und finden immer wieder schöne Zeiten am Baggersee, beim Beobachten junger Tänzerinnen beim Umziehen oder in der Kirche bei ihrem väterlichen Freund Pater Bobby (Kongenial gespielt von Schauspiel-Gigant Robert DeNiro). Das beste aus einer Situation machen ist das Lebensmotto der Freunde, häusliche Gewalt und der leichte Verfall in Kriminalität nehmen nur am Rande Einfluss auf die eingeschworene Bande, bis ein eigentlicher Jungenstreich alles aprupt unterbricht und sich mit voller Wucht auf das zukünftige Leben der Jungen auswirken wird. Als
SLEEPERS
werden im Slang Personen genannt, die in eine Jugendstrafanstalt gekommen sind. Der gleichnamige Film ist ein Mix aus Coming-Of-Age-Drama und Justiz- und Rachethriller, der in zwei Zeitzonen zuerst das Schicksal der vier Jungen im Gefängnis, danach die Auswirkungen auf die bereits herangewachsenen Männer beleuchtet. Um es kurz vorwegzunehmen, beide Abschnitte haben wirklich viel zu bieten, aber dazu später näheres.
"Niemand hier soll ins Gefängnis müssen, ich hab schon genug für uns alle gebrummt", ein Satz, den Shakes Vater aus sich heraus brüllt, während er aus Zorn über die Gegebenheiten die halbe Einrichtung zertrümmert. Die Szene zeigt besonders gut, dass hier wirklich raue Sitten herrschen. Sein Sohn hat mit seinen Mitstreitern durch Fahrlässigkeit einen Mann schwerst verletzt, wodurch allen zusammen nur der Weg in den Jugendknast bleibt. Dort geht es nicht nur streng, sondern regelrecht barbarisch zu. Die Kinder werden von Aufseher Nokes und seinen Kollegen ständig körperlich gezüchtigt und sogar mehrfach vergewaltigt. Das Martyrium nimmt ständig zu und der zu Beginn sympathische, teils witzige Ton des Films schlägt schlagartig um in ein düsteres Drama, in dem man Beklemmung, Angst und Verzweiflung der Jungen regelrecht selbst spüren kann. Nach einem knallharten Footballspiel im Knast führt die eskalierende Gewalt durch die Wärter letztendlich sogar zu einem Todesopfer. Erst die Entlassung beendet die grausamen Misshandlungen, doch der seelische Schaden ist längst angerichtet und lässt sich mit der zurückgewonnenen Freiheit nicht mehr bei allen beheben.
Kevin Bacon ("Hollow Man", "Echoes"), nur ein Teil eines grandiosen Ensembles, spielt den perversen Aufseher Nokes eindringlich realistisch und widerlich, man hasst ihn förmlich von Beginn an und freut sich über jede auch noch so kleine Niederlage, die er im Verlauf des Films hinnehmen muss. Hut ab auch vor den Jungdarstellern, von denen der leider viel zu früh verstorbene Brad Renfro ("Der Musterschüler") sicherlich der bekannteste ist. Alle machen ihre Sache hervorragend und spielen ihre Rollen mit einer wirklich beeindruckenden Realitätsnähe. Gleiches gilt auch für die übrigen Wärter, die zwischen Perversion und Gewissensbissen schwanken und ihre Sache ebenfalls ordentlich erledigen.
Der zweite Teil des Films beginnt viele Jahre später. Tommy (Billy Crudup, "Alien: Covenant") und John (Ron Eldard, "Super 8") sind mittlerweile Gangmitglieder der berüchtigten West Side Boys geworden und erleben am eigenen Leibe, dass man sich immer zweimal im Leben trifft. Aus reinem Zufall sehen sie sich plötzlich ihrem Peiniger Nokes gegenüber, der dieses Treffen allerdings nicht unbeschadet übersteht. Michael (Brad Pitt, "Sieben") als Ankläger, und Shakes (Jason Patric, "Speed 2") als ermittelnder Helfer, versuchen mit Hilfe des versoffenen Verteidigers Snyder (Dustin Hoffman, "Der Marathon-Mann"), den Prozess gegen die beiden in die richtige Richtung zu lenken, ohne dabei Befangenheit zu demonstrieren. Zusätzliche Hilfe bekommt das Team durch Carol (Minnie Driver, "Hard Rain"), einer Jugendfreundin der vier Jungs. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten, jeder sollte sich selbst ein Bild machen und das außergewöhnlich intensive und harte Drama ansehen.
Pitt, Renfro, DeNiro, Hoffman, Patric, Driver, Bacon, eine wahrlich fast unglaubliche Ansammlung an Spitzendarstellern, wie man sie nur selten in ein und demselben Film zu sehen bekommt. Die brisante Handlung von "Sleepers", der übrigens nach dem gleichnamigen Roman von Lorenzo Carcaterra inszeniert wurde, verlangt aber auch Fingerspitzengefühl und gleichzeitig große Schauspielleistungen. In der Tat liefern auch alle Stars angemessen ab, besonders muss man wieder einmal Robert DeNiro hervorheben, der als humorvoller, einfühlsamer Pater Bobby wie so oft allen die Show stiehlt.
Inszeniert wurde der packende Film von niemand geringerem als Barry Levinson, der sich bereits vorher mit "Good Morning Vietnam", "Bugsy" und "Rain Man" seinen Eintrag in die Filmgeschichte gesichert hat. Auch der Michael-Douglas-Thriller "Enthüllung" und der Sci-Fi-Film "Sphere", der bei Publikum und Kritikern allerdings gemischte Gefühle auslöste, sind erwähnenswert. Interessanterweise konnte Levinson danach allerdings nicht mehr an seine anspruchsvollen und spannungsgeladenen Meisterwerke anschließen, zu denen ohne Zweifel auch "Sleepers" zählt.
Die Kameraarbeit übernahm Routinier Michael Ballhaus ("Gangs of New York", "Departed"), in der Filmbranche sowieso ein Meister seines Faches. Vollkommen abgerundet wird das filmische Kunstwerk von John Williams ("Star Wars", "Harry Potter", "Indiana Jones"), der wie immer eine beeindruckende Soundkulisse erschaffen konnte, aber auch der OST mit vielen vielen Klassikern und Evergreens ist eine Empfehlung wert und sollte bei Sichtung besonderer Aufmerksamkeit unterzogen werden.
Die FSK vergab eine durchaus berechtigte 16er Freigabe, die einerseits durch den doch düsteren und intensiven Gefängnisabschnitt, andererseits durch eine äußerst harte, blutige Exekution zustande gekommen sein dürfte. Außer zweier Primetime-Ausstrahlungen sind gekürzte Fassungen nicht bekannt, alle Interessierten dürfen also jederzeit zum Medium ihrer Wahl greifen, was hier auch uneingeschränkt zu empfehlen ist.
"Sleepers" bietet ein packendes Thema, tolle Schauspieler und eine perfekte Inszenierung, im Gegensatz dazu allerdings kaum Schwächen. Manche mögen die Laufzeit von 2 1/2 Stunden als zu lang empfinden, mich persönlich hat die Länge nie gestört. Bei den gängigen Preisverleihungen ist der Film verwunderlicherweise kaum berücksichtigt worden, eine Oscarnominierung gab es nur für John Williams Score. Auch das Einspielergebnis kann mit weltweit ca. 165 Mio. US $ nur als durchschnittlich bezeichnet werden, vor allem in Anbetracht der vielen Top-Schauspieler. Für mich gehört der Film zu den besten Dramen überhaupt, weswegen ich hier ohne schlechtes Gewissen zur Höchstwertung gelange.
10/10