Da ist er also, der zweite Film von Ari Aster, der mit seinem Debut Hereditary ein wirklich beeindruckendes Erstlingswerk abgeliefert hat. Umso schwieriger sind Nachfolgeprojekte und die Anspruchshaltung enorm. Während der Starttermin für diesen lange ersehnten Film in Deutschland erst nach dem Sommer im September ist, habe ich mich kurzerhand entschieden in das europäische Umland zu reisen und mich dort delektabel dem ersehnten Filmvergnügen hinzugeben.
Erzählt wird die Geschichte der traumatisierten US-Amerikanerin Dani, die durch gewaltsames Einwirken ihre Familie verlor und nun als Vollwaise dasteht. Ihr etwas gehemmter, aber oberflächlich fürsorglicher Freund scheint selbst in einem Schuldkomplex verstrickt und kann sich von Dani nicht distanzieren. Deshalb schleust sich Dani zu Christians Freundesgruppe ein, die mitunter Anthropologie studieren und für ihre Doktorarbeiten in Schweden recherchieren möchten. Zu dieser Gruppe gehört auch Pelle, der die Gruppe zu seiner ursprünglichen Eingeborenengemeinde ins schwedische Idyll mitnimmt und dort unter seinesgleichen willkommen heißt. Was dann unter psychoaktiven Substanzen und archaischen Riten vonstatten geht, lässt die Vergangenheit wie einen Traum erscheinen, der sich dem inzestuösen Horror und der Brutalität rigider ethnischer Volksgruppen unterwerfen muss.
Ursprünglich als Slasher konzipiert, hat Aster wohl nach persönlichen Partnerproblemen seinen Fokus weg vom reinen Slashfest hin zu einer beziehungsbasierten Konzeption geführt, die dem Film wirklich gut steht. Die Logik hinter mancher Entwicklung ist allerdings nicht immer ganz schlüssig und so kann man mutmaßen, dass ein von Aster avisierter Extended Cut in seinen 30 Minuten wohl ein paar Szenen enthalten wird, durch die manche Schlüsse und Wendungen besser nachvollziehbar werden.
Stilistisch bewegt sich Midsommar auf höchstem Niveau. Der Score von Bobby Krlic, der mit seinem Electronic-Projekt The Haxan Cloak schon die Klänge zu einem fiktiven Horrorfilm lieferte, bringt auch in Midsommar einen eisigkalten Soundteppich zwischen Dark Ambient, Drone und Experimental, welcher der ultraschwülen Atmosphäre einen passenden Kontrapunkt setzt. Florence Pugh als Hauptrolle bringt eine überzeugende Leistung, in der man ihr die zunächst beobachtende Ausländerin, die bald selbst Teil der Gemeinde wird, vollends abnimmt. Lediglich Jack Reynor (Transfomers: Ära des Untergangs) bliebtmir als durchaus biographisch zu verstehendes Alter Ego Asters etwas zu blaß, was sicher so konzipiert scheint, letztlich aber nicht gänzlich trägt. Pawel Pogorzelski an der Kamera wertet die eher einfach gestrickte Handlung schließlich bis ins hyperrealistisch Halluzinierte auf, dass Asters neues Werk nicht nur die Location mit den Filmen von Regieriese Ingmar Bergman teilt.
Vom Genre würde ich den offenkundigen Arthousecharakter von Midsommar letzten Endes im Backwood-Film verorten, der die skandinavische Ethno-Folk-Variante von The Hills Have Eyes oder The Texas Chain Saw Massacre bietet, mit dem Unterschied, dass die Ureinwohner zunächst eher gesittet und unbedrohlich erscheinen, sogar Studienobjekte der Anthropologiestudenten sind. Der oft gemachte Vergleich zu The Wicker Man ist zwar nicht von der Hand zu weisen, aus meiner Sicht jedoch nicht besonders hilfreich, da The Wicker Man die heidnische Naturreligion viel tiefer im Glauben verwurzelte, während dies in Midsommar eher eine sehr hermetische fiktive ethnische Volksgruppe mit fraglichem Hintergrund ist. Die Frage hierzu wäre auch, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn die Studenten Ethnologie studiert hätten. Aber das bleibt sicher Definitionssache.
Bleibt zu schließen, dass Midsommar ein stellenweise zwar brutales, aber nie selbstzweckhaftes Gorefest ist, das mit seinen zweieinhalb Stunden zwar nicht langweilig, aber schon etwas längenhaft ist. Die atmosphärischen Längen wiederum entbehren stellenweise dann wieder storyfüllenden Inhalts, den ein Extended Cut möglicherweise füllt. Freunde von Hereditary und Backwood-Slashern mit Folk-Ethno-Kalkül, gemischt mit einem stilistischen Arthousetouch, werden definitiv ihre Freude haben, da gerade die Rolle der Dani unglaublich gut konzipiert wurde und eigentlich noch mehr psychischen Raum verdient hätte, als sie eh schon hat.
Man kann Ari Asters neuen Film jetzt kritisieren, dass er nicht die Dichte von Hereditary hat und wie ein in die Länge gezogener Schnellschuss mit Ästhetikbonus erscheint, betrachtet man allerdings das fulminante Ende, muss zumindest ich schon wieder zugeben, dass dieser Regisseur wirklich Visionen hat und diese persönliche Welt des Horrors aufs Zelluloid bannt, die man so noch nicht gesehen hat.
Außergewöhnlich!
10/10