Die vergessene Perle
"Made in Germany" gilt ja schon seit ewigen Zeiten als Garant für Qualität. In der Filmwelt wird aber im allgemeinen ein großer Bogen um unser Land gemacht, was man auch gut verstehen kann wenn ich an Til Schweiger und Konsorten denke... Nein, viel mehr geht es um die, seit dem zweiten Weltkrieg verlorene Identität einer Filmindustrie. Wo Murnau und Lang mit "Nosferatu" und "Metropolis" Maßstäbe in Sachen Film setzten, ist Deutschland seit der Nazi-Diktatur stumm geblieben. Zugegeben: Ausnahmen gab es, allerdings mehr im Neuen Deutschen Film der 70er, als Regisseure wie Fassbender und Co. einen neuen Stil schufen. Dieser war weit entfernt vom miefigen 50er Jahre Heimatschinken, und packte Gesellschaftsrelevante Brennpunkte an: Unbequem, schmerzhaft und entlarvend.
Während uns Spielberg, Scorsese und Lucas im New Hollywood mit bösen Haien, verspannten Taxifahrern und Sternenkriegen bekannt machten, wurde in Deutschland nach wie vor mit kleinen Brötchen gebacken. Erst im Jahr 1981 erschuf Wolfgang Petersen nach Jahrzehnten wieder mal eine große Produktion, die sich hinter der Traumfabrik nicht verstecken musste. "Das Boot" ließ in der Kinofassung zwar einiges an Klasse auf dem Grund des Ozeans zurück, doch war als großes Ganzes ein Paradebeispiel für Filmkunst. Zwar hatte es mit der "Blechtrommel" bereits zwei Jahre zuvor einen Achtungserfolg aus deutschen Landen gegeben aber dieser war vom Aufwand her kein Vergleich zur Geschichte der U96.
Ihr merkt schon, ich hole weit aus ;-) Kommen wir nun zum eigentlichen Thema dieser Review: ABWÄRTS. Regie: Carl Schenkel, ausgestattet mit minimalster Handlung und dennoch...eine Offenbarung. Trotz Stereotypen und dem Umstand, das sich die Geschichte zu 90 Prozent in einem Fahrstuhl abspielt, kann ich diese Perle immer wieder sehen. Natürlich profitiert der Film von den Schauspielern und ich möchte mir erst garnicht vorstellen, wie ein Remake mit Til Schweiger in Jörgs (Götz George) Rolle aussehen würde :-(
George spielt hier fantastisch das arrogante Arschloch. Dennoch ertappe ich mich immer wieder dabei, wie mir diese Figur sympathisch ist. Sie steht irgendwie für zwei Seiten: Einerseits der eingebildete Fatzke und andererseits das arme Würstchen, welches von Kontrahent Pit und seiner Ex Marion ein ums andere Mal rund gemacht wird. Hannes Jaenicke ist der junge dynamische Heißsporn Pit, außen cool und abgeklärt doch beim Anblick von Marion wird auch er schwach. Renée Soutendijk spielt den Vamp durchaus gut und ansehnlich, wobei ihre Rolle wohl eher zur Rivalität der beiden "Kerle" vorgesehen war. Daneben Wolfgang Kieling als nervös schwitzender Buchhalter, dessen Anspannung man quasi fühlen kann. Apropos Spannung: Wenn man bedenkt, das die Story mehr als einfach ist, umso erstaunlicher ist die Leistung Schenkels, hier so viel mehr rauszuholen. Die knapp 90 Minuten vergehen wie im Flug und während man Zeuge von Faustkämpfen in luftiger Höhe wird und sich fragt, ob ein gewisser Koffer den Besitzer wechselt, ist der Film auch schon zu Ende.
Die lange Einleitung diente mir als Denkanstoß dafür, weshalb ich ABWÄRTS als einen wahren Thriller Deutschlands betrachte. Er bringt alles mit, was in Hollywood keine große Herausforderung wäre, muß dabei jedoch mit minimalsten Mitteln auskommen. Egal ob Kamera, Schnitt, Musik oder Darsteller: Hier wurde im Jahr 1984 ein mitreißendes Werk kreiert, das für lange Zeit eine Sonderstellung in Sachen Thriller inne hatte. Erst im Jahr 2000 konnte mit "Das Experiment" ein weiterer Film in diesen Bereich vorstoßen. Ich liebe zwar auch "Bang Boom Bang" von 1999, aber dieser Film ist zum einen mehr als Gangsterkomödie einzustufen und lebt vor allem vom typisch deutschen, was auf internationaler Ebene wohl nur schwer funktionieren würde.
Ich finde es sehr Schade das ABWÄRTS heutzutage in den Archiven verstaubt und praktisch nicht mehr im TV gezeigt wird. Er bekam seinerzeit zwar durchaus Lob und wurde mit diversen Filmpreisen ausgezeichnet, doch letztlich blieb er eine vergessene Perle im Einheitsbrei der deutschen Filmlandschaft. Weit entfernt von den Millionen an Fördergeldern, welche heutigen Produktionen zugestanden werden, macht er aus der Not eine Tugend und spielt seine Trümpfe gekonnt aus. Abzüge in der B-Note gibt es von mir lediglich für die etwas stereotype Zeichnung der Charaktere. Schauspielerisch wurde jedoch alles herausgeholt was möglich war, und am Ende gibt es gar ein Wiedersehen mit Kalle Grabowski und dem Fahnder...
9/10