Leichen pflastern seinen Weg
Originaltitel: Il grande Silenzio
Herstellungsland: | Italien, Frankreich (1968) |
Standard-Freigabe: | FSK 18 |
Genre: | Western |
Alternativtitel: | The Big Silence Le Grand silence The Great Silence |
Bewertung unserer Besucher: |
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Note: 8,89 (40 Stimmen) Details |
Inhaltsangabe:
Utah 1898: In den verschneiten Bergen an der mexikanischen Grenze übt Loco (Klaus Kinski), ein kaltblütiger und gefürchteter Kopfgeldjäger, gnadenlos seine Terrorherrschaft aus. Von den Angehörigen und Freunden der hingerichteten Outlaws wird der stumme Revolverheld Silenzio (Jean-Louis Trintignant) engagiert, um Loco zu töten. Doch dieser ist zu clever und lockt seinen Gegenspieler in eine Falle, aus der er sich nicht mehr befreien kann. (Kinowelt)
Ich denke, es ist erstmal Zeit für einen kleinen Rückblick. In den letzten Tagen habe ich einige Reviews verfasst und es kristallisiert sich inzwischen ein Stil heraus, eine Linie, die ich hier vertrete, die ich doch einmal ausformulieren möchte. Was ich versuche ist eine, ich will es so nennen, psychologische Herangehensweise. Das meint zum einen die tiefegehenden Symboliken eines Films und damit die erweitererte Botschaftsebene, aber auch mein eigenes subjektives Empfinden eines Films. Bei Subjektivität wird mancher jetzt einwerfen, dass Kritiken immer subjektiv seien, doch das will ich verneinen. Die Qualität eines Films lässt sich anhand on objektiven, subjektiven und Mischkriterie bewerten. Ein guter Film ist unabhängig davon ein guter Film, ob er mir gefällt. "Sehnsucht" und "Mutter" sind objektiv die besten Rammstein-Alben, obwohl "Reise, Reise" mein Lieblingsalbum ist.
Ein guter Film ist auch unabhängig von der Relation, unabhängig von der Zeit. Soll heißen, dass die Gegenwart schlechter Filme einen mittelmäßigen nicht zu einem guten macht, auch wenn uns vielleicht unser Empfinden das vormachen wird. Und ein guter Film weiß den Zuschauer auch hundert Jahre später noch zu fesseln. Ich halte die Güte eines Films dementsprechend für einen Teil der Essenz und gemäß meiner eigenen Weltanschuung hat das seinen Wahrheitsanspruch.
Das subjektive Empfinden will ich nochmal unterteilen in das individuelle Empfinden und das generelle Empfinden. Das individuelle Empfinden bedeutet, dass wir auch Versatzstücke reagieren, die mit eigenen Traumata, Erfahrungen, Herausforderungen oder unserer Situation in Zusammenhang stehen. Als generelles Empfinden will ich tiefenpsychologische Anteile bezeichnen, welche sich auf größere Personengruppen (kulturelles Empfinden bishin zur Menschheit) beziehen. Bspw der Archetypus des alten Weisen (der Weihnachtsmann, Gandalf, Dumbledore und und und). Die beiden Anteile des subjektiven Empfindens sind nicht eindeutig voneinander abzutrennen, sondern bedingen einander.
Die Güte eines Films bemisst sich wie bei fast jedem Kunstwerk auch darin, wie der Erschaffer des Werks derartige subjektive Motive und Eindrücke in sein Werk miteinbindet und damit eine Wirkung auf den Zuschauer erzeugen kann, die über die Effekte hinausgehen.
Was ich nun hier beschrieben habe ist kein vorgefertigter Plan, sondern Teil eines organischen Erkenntniswachstums, welches ich versuche in diesen Kritiken zu verarbeiten. Ich sehe den von mir beanspruchten Erkenntnisgewinn und Unterhaltungsaspekt in dieser Betrachtung, statt der objektiven Werksbeschau. Das können Andere sowieso besser. Das alles bildet auch nur einen Teil des gesamten Spektrums ab und es wird interessant für micht mitanzuschauen, wie diese Erkenntnis im Laufe weiterer Filmbewertungen wachsen wird.
Nach dieser pseudowissenschaftlichen Abhandlung wird es nun Zeit in den eigentlichen Gegenstand der Kritik einzusteigen: THE GREAT SILENCE bzw LEICHEN PFLASTERN SEINEN WEG.
SERGIO CORBUCCI macht seinen Einstieg mit der wunderschönen Landschaft der Dolomiten unterlegt mit einem träumerischen Stück von ENNIO MORRICONE. In der Musik schwingt die Gefahr mit, das, was verdeutlicht, dass wir es doch nicht mit einem alpinenhaften Heimatfilm, sondern mit einem brutalen Western zu tun haben. Die Methode, Reminiszenzen an den Heimatfilm zu setzen, um diese dann in den Kontrast zur Handlung und dem Film an sich zu setzen, kennen wir aus verschiedenen Beispielen der Zeit. Da wäre einmal der Italowestern an sich, der ja ein boshafter Kommentar auf den Western als amerikanischer Heimatfilm ist, aber auch Adrian Hovens HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT.
Ein Grundbegriff des Drehbuchschreibens ist das Prinzip "Zwei Hunde und ein Knochen", ein zugrundeliegender Konflikt zwischen Protagonist und Antagonist verbunden mit einem Ziel. Die zwei Hunde sind einmal KLAUS KINSKI als Loco und JEAN-LOUIS TRINTIGNANT als Silence. Der Knochen ist gar nicht mal so einfach auszumachen. Es mag ein Revierkampf sein, den sich die Beiden liefern, oder das Überleben an sich, um das es geht.
Trotz ihrer gezeigten Schönheit ist die Welt in LPSW grausam. Kälte menschlicher und natürlicher Art machen alles zu einer Aufgabe des Überlebens und da steht das Grundmotiv. Die Bauern hatten keine andere Wahl als kriminell zu werden, sodass auf ihre Köpfe ein Kopfgeld ausgesetzt wurde. Da es viel zu aufwendig ist, einen Lebenden zu transportieren, tötet man sie, um in Massen ihre Köpfe abzuliefern. In erster Linie dient die Maßnahme der Strafverfolgung der Aufrechterhaltung der Ordnung, schließlich werden Organisation und Ordnung in lebensfeindlicher Umgebung umso bedeutender. Die Maßnahme hier nun hat die Ordnung vergiftet und wie der Film zeigen wird, zerstört es sie.
Die Regierung, hier gezeigt durch den Gouverneur wird sich der Lage bewusst und so entsendet man mit FRANK WOLFF einen neuen Sheriff, der dem Treiben ein Ende bereiten soll. Man ist sich im Klaren darüber, dass die jeweiligen Kriminellen Menschen sind, denen man schlicht keine andere Möglichkeit gelassen hat, zu überleben.
Die Maßnahme des Sheriffs zeigt Grundzüge sozialpolitischen Verständnisses. Die Ordnung kann nur bestehen, wenn sie ihren Mitgliedern auch das Überleben garantiert, denn dafür ist die Ordnung überhaupt da.
Loco und seine Kollegen sind hier die Schädlinge, das Chaos. Sie haben erkannt, wie sie die Regeln der Ordnung gegen die Ordnung einsetzen können und so sind sie Menschen mit der Lust an Gewalt. So will ich es mir mal erklären, denn zwar die Masse der Kopfgelder macht ihre Arbeit lukrativ, aber sie würden wohl den Staat verlassen, wäre Geld ihr eigentlicher Antrieb.
Silence ist ebenfalls ein Element des Chaos, das sich aber im gleichen Prinzip bewegt wie die Kopfgeldjäger, aber nicht auf die Vernichtung der Ordnung auf ist, sondern auf die der Schädlinge. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass auch Silence kein altruistisch handelnder Menschenfreund ist, sondern ein Anti-Kopfgeldjäger, der sich von den verarmten (!) Witwen der Toten fürd as Töten von Kopfgeldjägern bezahlen lässt. In seinem Dasein als Auftragsmörder ist es aber die Tat an sich, die ihn antreibt, eine andere Form der Mordlust. Wie die Kopfgeldjäger handelt er im Rahmen der Gesetze, geschickt umgesetzt.
Loco und Silence bieten einen Gegenpol, den ihre Namen bereits zeigen sollen. Loco als die Vollendung des Chaos verbunden mit Lust und Wahnsinn. Sein Hut ist der eines Predigers zur Unterstreichung. Silence ist als Stummer die Karikatur des wortkargen Westernhelden, doch er steht für Kühle und durchdachtes Denken. Was sie ebenbürtig macht ist die beidseitige Fähigkeit der Impulskontrolle.
Die weiteren Begliter Silence sind vor allem die ortsansässigen Huren, ein Motiv seiner "Rächtertrilogie" aus DJANGO, NAVAJO JOE und LPSW. Und dann ist da noch Vanetta McGee als Witwe.
Ähnlich wie in DJANGO setzt Corbucci auch hier wieder auf antisemitische Motive, in diesem Fall durch die Rolle des Pollicuts. Anders als in DJANGO wird dieser zwar nicht direkt als Jude bezeichnet, ist jedoch als Shylock-Remineszenz klar zu erkennen. Dabei ist der Film letztlich auch ein Kind seiner Zeit, als diese Darstellung weitaus verbreiteter war. Ein nachträgliches Empören über Corbucci ist da heuchlerisch und wer sein Menschenbild von diesem Film abhängig macht, dem ist sowieso nicht zu helfen.
Bei Pollicut handelt es sich um den lokalen Friedensrichter, Kaufmann und Geldverleiher, der am Elend der Anderen verdient und sie in es hinetreibt. Sein Handeln ist dabei ein weiteres Kannibalisieren der bestehenden Ordnung, denn die Zahl der Bewohner, die daher überleben können, nimmt stetig ab.
Die Inszenierung des Films macht sich den Effekt winterlicher Bilder zunutze. Winterdarstellungen sorgen mehr dafür, dass wir uns behaglich und warm fühlen, da die Situation, in der wir Filme schauen, in der Wärme zu finden ist und die Bilder dies nochmal hervorheben. Dies wird gepaart mit der menschlichen Kälte, der Grausamkeit und verstärkt durch die Musik Morricones. Durch den gesamten Film gelingt es der Musik den Zuschauer in seiner Stimmung zu beeinflussen und weiter an den Bildschirm zu fesseln. Die Waschszene zwischen Silence und der Witwe schafft es auf diese Weise mit der gegebenen Dramatik eine pure Erotik zu entfalten und dabei auf explizite Hautbeschau zu verzichten.
Nachdem nun die Wege der Ordnung gescheitert sind, Loco nicht erfolgreich verhaftet werden konnte und die Sozialpolitik zur Falle wird, gibt es nur noch das Chaos als Antwort. Silence begibt sich auf den Kreuzweg, bereit zur Vollfüllung seines Schicksals zu sterben. Dieses Stück der christlichen Mythologie dürfte wohl auch zu den stärksten Emotionen gehören, die wir erleben können. Die Akzeptanz des Ausgeliefertseins an das Schicksal gepaart mit dem tiefempfunden Wahrhaftigwerden des eigenen Todes. Corbucci schenkt uns immer weiter die Möglichkeit eines glücklichen Endes und wir hoffen auch, dass es kommen mag. Doch Corbucci bricht damit, der feige Niederschuss von Silence bricht mit dem erneuten Westernklischee des aufrichtigen Kampfes. Silence kontne es also nicht verhindern, dass er sterben wird. Auch die Witwe erliegt im Kugelhagel. Die Leute, die zu retten Silence sich aufmachte werden nicht errettet, sondern an Ort und Stelle hingerichtet.
Und so scheint es, als sei das Opfer Silence' sinnlos gewesen, womit Corbucci auf die christliche Fragestellung zum Kreuztod verweist. Es scheint, als habe das Böse gewonnen, doch diese Frage will ich verneinen. Es gibt in diesem Spiel keinen Gewinner. Als Loco dem Toten die Waffe entreißt, ist es kein Triumph für ihn. Er lebt weiter, aber für was? Der Virus, in diesem Fall die Kopfgeldjäger, hat seinen Wirt getötet. Niemand ist mehr da, das System, aus dem er lebte, ist zerstört. Corbucci vollendet das mit seinem, übrigens frei erfundenen, Abspann.
Und da ist er nun vorbei, ein großartiger, intensiver Film. Ein wahrhaft guter Film, der es auch nach mehr als 50 Jahren nich weiß zu fesseln. Corbucci erschuf die Antiversion zu SERGIO LEONES Kopfgeldjägerromantik FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR und seinen eigenen besten Film.
Leider störend sind da, es geht aber halt nicht anders, die falsche Synchronstimme für Kinski und als Kind seiner Zeit die etwas seltsam fallenden Kugeltoten. Nichtsdesottrotz bleibt für LPSW schlichtweg die bestmögliche Bewertung.
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Kommentare
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