"Laboe is' fällich!"
Im November 2017 verstarb der Kieler "Kneipenterrorist" Bernd Knauer im Alter von 52 Jahren. Kein allzu hohes Alter, allerdings: Dass er nicht sonderlich alt werden würde, daran bestand eigentlich nie ein Zweifel, war er doch einer der dauerbetrunkenen, kettenrauchenden und prügel-affinen Protagonisten der Doku Youth Wars – Beobachtungen in der deutschen Provinz von Regisseur Karl Siebig.
Der Filmemacher versuchte anno 1991, die Jugendgang-Szene auf dem Kieler Ostufer zu portraitieren, da er zu dieser Zeit öfters Berichte von Schlägereien, aber auch von Messerstechereien und Schießereien in den Stadtteilen Gaarden, Wellingdorf, Dietrichsdorf und Elmschenhagen sowie im Vorort Laboe vernahm, für die sich offenbar von behördlicher Seite niemand zu interessieren schien. Die genannten Stadtteile sind seit jeher als Arbeiterviertel bekannt, verzeichnen aber seit Mitte der 80er Jahre bis heute einen gewissen Grad der Ghettoisierung und gelten mithin als soziale Brennpunkte der norddeutschen Landeshauptstadt. Siebigs Ziel war es, mit dieser Dokumentation auf die Zustände auf dem Kieler Ostufer aufmerksam zu machen.
Der Hauptfokus des Films liegt auf der Gang "Kneipenterroristen", benannt nach dem gleichnamigen Onkelz-Song. Entsprechend ist der Name der Gruppe Programm: Die meisten Szenen spielen sich zwischen Sozialwohnung und Kneipe ab, immer dabei: Bier, Kippen und Baseball-Keule. Hin und wieder ist man auf der Straße oder am Hafen unterwegs und sucht Streit (Anm.: welchen man manchmal findet, manchmal allerdings auch nicht), oder man steht im Waffengeschäft und will einen scharfen Revolver kaufen (Anm.: was aus Mangel an finanziellen Mitteln scheitert, und das aus zweierlei Hinsicht zum Glück: erstens möchte wohl niemand allzumeist alkoholisierte, gewaltbereite junge Männer mit scharfen Schusswaffen ausgerüstet wissen, und zweitens sind sie, wie in einer Szene der Doku sehr deutlich wird, z.T. schon im Umgang mit Gaswaffen überfordert und würden sich wohl eher selbst verletzen oder schlimmeres). Der Grund für den potenziellen Schusswaffengebrauch: Man will aufrüsten gegen die rivalisierende Laboer Gruppierung "Blue Brothers", mit der es regelmäßig Auseinandersetzungen gibt. Warum man rivalisiert? Keiner vermag es zu sagen, es ist einfach so. Hierbei tut sich Bernd Knauer als zentrale Figur der Doku hervor, weniger allerdings durch besonders krasse Aktionen vor laufender Kamera als vielmehr durch seine markigen Sprüche, mit denen er den Alltag der Kneipenterroristen beleuchtet und zusammenfasst, sowie als fürsorglicher Halter seiner Vogelspinne "Herr Fugbaum".
"Auf Frauen geben wir nich' so viel. Wir geben lieber auf die Freundschaft mehr."
Neben den Kneipenterroristen werden auch andere Gangs vorgestellt. Manche von ihnen sind Verbündete, andere Supporter, aber auch die Gegenseite "Blue Brothers" kommt zu Wort. Hervor tun sich außerdem die Members der türkischen Gang "Tigers" (Anm.: eine der wenigen Gruppen aus er Doku, die auch heute noch besteht) sowie die einer namenlosen Truppe von Nazi-Skinheads. Die "Tigers" sehen sich als Schutztruppe für türkische Jugendliche gegen die Übergriffe deutscher Gangs, während die Skinheads das gleiche, nur halt umgekehrt, für sich beanspruchen. Tumbe Sprüche von Ehre, Kameradschaft und dem Willen, auch füreinander sterben zu wollen, wohlgemerkt auf beiden Seiten (Anm.: man unterscheidet sich möglicherweise deutlich weniger voneinander als man wahrhaben möchte), sind zu sehen im Wechsel mit im Krankenhaus liegenden Opfern der Gewaltspirale.
Das BKA nutze Liebigs Doku alsbald als Lehrfilm über Gang-Strukturen im Kieler Stadtgebiet und lobte die aufklärerische Arbeit, die hier geleistet wurde. Darüber hinaus verleiht das Auftreten der Gangs mit Pseudo-Rocker-Kutten, Bomberjacken und in den Spät-80ern/Früh-90ern in gewissen Kreisen angesagtem Vokuhila-Haarschnitt dem Film eine gewisse unfreiwillige Komik, genauso wie die Ausführungen Bernd Knauers, der nie um einen peinlichen Fremdschämspruch verlegen ist. Dieserlei Aspekte bescherten der Doku in der Zwischenzeit einen gewissen Kultstatus und sorgen seit einigen Jahren gar für regelrechte "Youth-Wars"-Partys in der norddeutschen Landeshauptstadt, währendderer der Film bei reichlich Alkoholausschank gezeigt wird. Das Highlight ist jedes Mal das Aufeinandertreffen der Kneipenterroristen mit den Blue Brothers, das in einer Schlägerei auf offener Straße gipfelt.
"Du musst ein' so lang auf die Ohr'n haun, bis er nich wieder aufsteht!"
Fazit:
Wenn man wie ich in den 80ern auf dem Kieler Ostufer im Stadtteil Gaarden geboren ist, hat diese Krawall-Doku natürlich eine ganz besondere persönliche Bedeutung. So kann es beim Ansehen passieren, dass einem der eine oder andere Charakter durchaus bekannt vorkommt, wie etwa in meinem Fall der Kollege in der knall-orangen Bomberjacke bei den Tigers oder der Kneipenterrorist mit der Jacke in Woodland-Camo u.a., genauso wie gewisse Lokalitäten, in denen sich die Herrschaften aufhalten, die es jedoch heute weitgehend nicht mehr gibt. Zudem sorgt die "Kielä Schnauzee" der Kleinganoven für entsprechendes Lokalkolorit, das beinahe schon vergleichbar ist mit dem der "Werner"-Filme - wenngleich auch die Komik hier absolut unfreiwillig entsteht. Die Szene mit dem Restaurant-Schiff im Laboer Hafen, bei dem ein Kneipenterrorist versehentlich einen Verbündeten mit CS-Gas abschießt, ist eine der Schlüsselszenen für die gesamte Idiotie, die hier an den Tag gelegt wird. Außerdem darf man, wenn man sich die Members der jeweiligen Gangs anschaut, gerne hinterfragen, inwiefern es sich bei diesen überhaupt noch um "Jugendgangs" (Anm.: s. Titel) handelt, da die meisten Jungs sich hier doch schon (Anm.: mindestens!) anscheinend in den Mitt-Zwanzigern bewegen.
Karl Siebig lächelt heute selbst darüber, wenn er hört, dass mit diesem Film Partys gefeiert werden, und kurz vor seinem Tod sagte der aus der Anonymität wieder aufgetauchte Bernd Knauer (Anm.: er war nach Erscheinen der Doku abgetaucht, da er plötzlich "Fans" hatte) in einer "Spiegel-TV"-Reportage, er hätte sich damals selbst "zum Blödmann gemacht". Die Gewalt, die hier dokumentiert wurde, mag real gewesen sein, die Beweggründe aber ließen sich damals und lassen sich auch heute schlicht nicht (mehr) erkennen. Insofern ist dies eine Dokumentation sich verselbständigender Brutaltäten und bloßen Stumpfsinns. Eine Bewertung ist daher schwierig: Intention lobenswert, Wirkung tendenziell fragwürdig, Unterhaltungswert ungewollt volle 10... darum heute mal ganz neutral und drückebergerisch ohne Wertung, darf gerne jeder für sich selbst herausfinden.
"Eigelbs!"