Der südkoreanische Horrorfilm "Into The Mirror" aus dem Jahr 2003 ist die Vorlage für die Hollywoodproduktion "Mirrors" mit Kiefer Sutherland und deren Fortsetzung mit Nick Stahl. Und verglichen mit diesen beiden Werken auch der bessere Film. Legten die amerikanische Version und ihr Sequel ihren Fokus nämlich auf derbes Gesplatter und vernachlässigten dafür Spannungsaufbau und Atmosphäre, so ist "Into The Mirror" ein Beispiel für wirklich gelungenen psychologischen Horror.
Die Szenen, in denen sich Spiegelbilder selbstständig machen, sind hier am unheimlichsten inszeniert, da sie ihre Wirkung durch langsamen und subtilen Aufbau anstatt durch laute Jumpscares erzielen, die im modernen Horrorkino leider so häufig geworden sind. Blut fließt in den Mordszenen zwar durchaus ebenfalls, allerdings hält sich die Menge doch sehr in Grenzen. Abgesehen vom Showdown, der dann tatsächlich in einem recht drastischen, im wahrsten Sinne des Wortes "einschneidenden", Splatterausbruch gipfelt. Der restliche Film ist jedoch weniger zeigefreudig, arbeitet mehr mit Andeutungen und verbreitet durch effektive Lichtsetzung und den unheilvollen Score eine düstere und zuweilen auch sehr trostlose Atmosphäre.
In visueller Hinsicht kann der Film besonders glänzen. Die Computereffekte, mit denen die Illusion lebendiger Spiegelbilder geschaffen wird, sind sehr überzeugend. Darüber hinaus bietet "Into The Mirror" zahlreiche optische Spielereien wie aufwendige Kamerafahrten durch Glasscheiben hindurch oder eine pendelnde Kamerabewegung bei einer blaustichigen Rückblende. Regisseur und Kameramann führen die Zuschauer zudem mehrmals aufs Glatteis, indem sie bei vielen Einstellungen den Anschein erwecken, diese wären normale Aufnahmen, um dann zu enthüllen, dass sie nur Spiegelungen sind. So wird ein ständiges Unbehagen verbreitet, da man sich als Zuschauer nie sicher sein kann, welche Version der Realität man gerade sieht. Man mag kaum glauben, dass "Into The Mirror" das Regiedebüt des Filmemachers Sung-ho Kim ist (der auch in den folgenden Jahren hauptsächlich Horrorfilme inszenieren sollte), so souverän ist der Film inszeniert.
Spiegel sind hier wirklich das Hauptmotiv, da sie nicht nur in der Handlung eine wichtige Rolle spielen, sondern auch in fast sämtlichen Szenen im Bild auftauchen. Die Erklärung für die übernatürlichen Geschehnisse ist hier dabei weniger mythologischer Natur, sondern greift zurück auf psychoanalytische Theorien Carl Gustav Jungs und Jacques Lacans, die in einer visuell beeindruckenden Sequenz in der Mitte des Films der Hauptfigur erklärt werden. In dieser Sequenz sind dabei zahlreiche berühmte Werke der Kunstgeschichte zu sehen, in denen Spiegel auftauchen, wie beispielsweise die "Arnolfini-Hochzeit" von Jan van Eyck oder der "Zauberspiegel" von M.C. Escher. Auch das überraschende Ende bietet ein beeindruckendes Schlussbild, ist dabei jedoch weniger eindeutig als das Remake und lässt mehrere Interpretationen zu, sowohl in die übernatürliche als auch die psychologische Richtung.
Zuletzt profitiert der Film auch von einem hervorragenden Cast. Yoo Ji-Tae, der im selben Jahr dank seiner Rolle in Park Chan-wooks "Oldboy" international zu zu Ruhm gelangen sollte, überzeugt als Hauptfigur Woo Yeong-min, ein ehemaliger Polizist, der als Nachtwächter in einem Kaufhaus arbeitet und mit einer rätselhaften Selbstmordserie konfrontiert wird. Wie Kiefer Sutherland in "Mirrors" ist er mehr ein gebrochener Antiheld als ein aufrechter Sympathieträger, wird hier jedoch glücklicherweise nicht zum übermenschlichen Actionhelden stilisiert wie letzterer im Remake. Eine eher reduzierte, aber auch sehr überzeugende Leistung zeigt die eher unbekannte Darstellerin Kim Hye-na als geheimnisvolle Frau, die ins Visier der Polizei gerät und deren untote Zwillingsschwester, die durch Spiegelbilder für ihre Ermordung Rache übt. Mit am besten ist der mittlerweile in Südkorea sehr bekannte Method-Actor Kim Myeong-min, der den aufbrausenden und zunächst skeptischen ermittelnden Kommissar und ehemaligen Kollegen Woo Yeong-mins spielt. Auch der restliche Cast ist nur zu loben.
Kritisieren kann man an dem Film nur, dass er etwas zu lang geraten ist. Einige Szenen sind eher redundant, da in ihnen nur Sachen wiederholt werden, auf die schon früher hingewiesen wurde. Auch hat der Film im Mittelteil einen kleinen Durchhänger, wenn die Horrorelemente zugunsten der Detektivgeschichte um die Suche nach der Wahrheit über die übernatürliche Mordserie etwas in den Hintergrund treten. Teilweise zieht er sich so etwas. Aber durch die erwähnte hervorragende visuelle Inszenierung, die atmosphärische Filmmusik von Il Won (vertonte u.a. auch den Animationsfilm "Wonderful Days"), die überzeugenden Darsteller und den psychologischen und philosophischen Unterbau, der viele Deutungen der Geschichte ermöglicht, werden diese Schwächen mehr als aufgewogen. Insgesamt ist das hier ein sehr origineller und mehr als sehenswerter Beitrag zum Horrorgenre, der hierzulande leider immer noch viel zu unbekannt ist
8/10