SCHNITTBERICHTE | # | A | B | C | D | E | F | G | H | I | J | K | L | M | N | O | P | Q | R | S | T | U | V | W | X | Y | Z
Titel suchen:
Star Wars Jedi: Survivor · Die Geschichte von Cal Kestis geht weiter · ab 69,99 € bei gameware Dead Space Remake · der Sci-Fi-Survival-Horrorklassiker · ab 59,99 € bei gameware
Baby Assassins - Ab 29.09.2023 als DVD, Blu-ray und VOD

Es war einmal in Amerika

Originaltitel: Once Upon a Time in America

Herstellungsland:USA, Italien (1984)
Standard-Freigabe:FSK 16
Genre:Drama, Thriller
Alternativtitel:C'era una volta in America
Era uma vez na América
Il était une fois en Amérique
Bewertung unserer Besucher:
Note: 9,06 (38 Stimmen) Details

Inhaltsangabe:

New York zur Zeit der Prohibition. Max (James Wood), Noodles (Robert De Niro) und ihre Freunde verdienen sich bereits als Kinder mit Erpressungen und Schmuggeleien den einen oder anderen Dollar dazu. Jahre später, Noodles wird nach einer langen Haftstrafe für einen Mord aus dem Gefängnis entlassen, haben es die Freunde von damals unter Max zu einem skrupellosen Gangstersyndikat gebracht. Doch Ehrgeiz und Habgier zerstört die jahrzehntelange Freundschaft, und am Ende steht ein entsetzlicher Verrat... (Warner Bros.)

Diese Kritik enthält Informationen über den späteren Handlungsverlauf der Geschichte.
eine kritik von lappi:

Mit Es war einmal in Amerika hat Sergio Leone 1984 sein Magnus Opus geschaffen. Nicht nur die phänomenale Laufzeit von bis zu 251 Minuten, Leones längster Film, zeugt davon, sondern auch inhaltlich und handwerklich haben wir es mit einem filmischen Meisterwerk zu tun. Und die Bezeichnung Meisterwerk ist hier wahrlich gerechtfertigt. 

Das Märchen handelt von den Jugendfreunden Noodles, Max, Patsy und Cockeye, die in einem jüdischen Viertel New Yorks leben und dort als kleinkriminelle Bande ihr Unwesen treiben. Im Verlauf der Geschichte entwickeln sie sich zu einflussreichen Gangstern, die durch die Prohibition reich geworden sind und immer mehr an politischen Einfluss gewinnen. Doch Verrat spaltet die Freundschaft und führt zum Tod. Noodles als einzig Überlebender möchte nun das angesparte Vermögen nehmen, doch es ist verschwunden, so wie es auch Noodles tun wird. Über 30 Jahre später kehr Noodles nach New York zurück, um einen totgeglaubten Bekannten zu treffen. 

Betrachtet man die Strukturierung des Films, finden wir drei Zeitebenen, die trotz immer wieder kommender Sprünge fließend ineinander übergehen. Dabei zeigt Leone seinen meisterhaften Umgang mit der Materie Film. Unglaublich feine Übergänge zwischen den Jahren prägen den Film. Es beginnt mit einem Klingeln eines Telefons, Noodles liegt dabei im Drogenrausch in einer Opiumhöhle und erinnert sich an den Tod seiner Freunde. Es folgt eine Szene, in der ein Sarg getragen wird. Doch wir sehen nicht die Beerdigung der Freunde, sondern finden uns in einer Zeit wieder, in der die vier Freunde auf den Höhepunkt ihrer Karriere sind. Das Telefonklingeln begleitet uns weiterhin. Nach einem weiteren Moment werden wir erlöst und so wie der Hörer abgenommen wird, finden wir uns wieder bei Noodles im chinesischen Theater, der wie durch einen Wecker aufschreckt. Das ist nur ein Beispiel dessen, was einen erwarten wird. 
Die Genialität liegt darin, dass Leone uns, dem Zuschauer, vergessen lässt, dass wir aus der Zeit herausgerissen werden. Dabei fühlen wir uns nie unwohl, da wir immer wieder Ankerpunkte haben, wie Moe’s Lokal, in dem der Film beginnt und wir immer wieder zurückkehren, oder musikalische Themen, die uns dabei helfen, der Geschichte hindurch folgen zu können.

 

„Mein Hauptdarsteller ist die Zeit“ - Sergio Leone

 

Wir finden uns wechselnd in den Jahren 1922, 1932/33 und 1968. Drei Zeiten über fast 50 Jahre. Und Zeit ist ein zentrales Element in diesem Film. Neben der Verknüpfung dieser Zeitebenen werden auch die inhaltlichen Themen immer in Bezug zu einander gesetzt, was der Film über Noodles Erinnerungen zeigt. Er versucht sich an eine gute, alte Zeit zu erinnern, die es aber so nie gegeben hat. Wie auch die Gegenwart und die Zukunft ist sie geprägt durch Gewalt und Brutalität. Die Interpretation von „Yesterday“ spricht Bände. „All my trouble seemed so far away“ heißt es. Aber das ist auch nur die halbe Wahrheit. Die Romantisierung des Vergangenen, des besagten Märchens, verschleiert nur das erlebte Grauen.

Inhaltlich folgt der Film ebenfalls einer klaren Struktur. Die gescheiterte Romantisierung des Gangster-Seins beginnt mit der Kindheit bzw. Jugend, in der sich Noodles und Max kennenlernen und eine tiefe Freundschaft entwickeln. Sie und ihre Freunde geben sich in dieser perspektivlosen Welt gegenseitig Schutz und Liebe. Und Liebe entwickelt sich auch zwischen Noodles und Deborah, seine ewige Liebe. Er begehrt sie, sie gesteht ihm tiefe Zuneigung, doch den Weg, den er einschlägt, kann sie nicht mitbeschreiten. Noodles steht genau an dieser Stelle vor einem Scheideweg: Liebe oder Gangster. Er entscheidet sich für letzteres, was er zeitlebens bereuen wird. Die gezeigten Ereignisse beenden gleichsam die Kindheit und zeigen den Verlust der Unschuld der Protagonisten. Sei es der erste Sex oder auch der Mord an Bugsy (und viel schwerwiegender der Totschlag des Polizisten) durch Noodles.
Als junge Erwachsene müssen sich die vier Freunde mit Macht und Korruption auseinandersetzen, was schlussendlich in Verrat mündet. Doch der Verrat geschieht aus verschiedenen Gründen. Noodles’ Verrat ist altruistisch. Er will seine Freunde vor dem sicheren Tod retten. Max hingegen, wie sich am Ende herausstellt, hat seine Freunde ebenfalls verraten, aber aus egoistischen Gründen.
Im Jahr 1968 muss sich Noodles nun entscheiden. Leone typisch erwartet man Rache (Spiel mir das Lied vom Tod) als Mittel zur Lösung. Aber es passiert etwas neues. Er bringt das Thema Vergebung in seinen Film ein und stellt Noodles vor die Wahl. Er wird von Max bezahlt. Eine alte Schuld soll beglichen werden, da Max nicht mehr mit ihr leben kann. 
Man sagt, Zeit heile alle Wunden, doch dem ist nicht so. Nicht in diesem Film. Max kann die Last seines Gewissens nicht mehr tragen und Noodles hat mit der Vergangenheit abgeschlossen, aber alles verloren. 

Aber auch für den Zuschauer wird Zeit zur Folter. Damit meine ich nicht die Laufzeit des Film, die gemessen an dem, was dargestellt werden soll, gerade recht ist. Das eingangs erwähnte Telefonklingeln erstreckt sich über fast vier (!) Minuten, bis der Zuschauer davon erlöst wird. Aber viel grausamer ist die Vergewaltigung Deborahs durch Noodles. In dieser schwer auszuhaltenden Szene zeigt Leone fast dokumentarisch und ungeschönt den Übergriff auf sie. Leone macht es uns über den gesamten Film nicht leicht und lässt uns (mit-)leiden. Der Film beginnt mit Gewalt und diese zieht sich schonungslos durch den Film. Das märchenhafte, was der Titel des Films suggeriert, erreicht uns nicht. Der strahlende Held in schimmernder Rüstung erscheint nicht und der Protagonist des Films, Noodles, ist keine sympathische Figur, mit der man sich identifizieren will.

 

„Vom Start an kann man den Sieger erkennen. Und nicht nur den Sieger, sondern auch den Verlierer.“ - Noodles.

 

Es ist für Gangsterfilme gewiss etwas untypisch, da man in einem gewissen Rahmen mit dem Protagonisten mitfiebert. Doch wenn wir Noodles näher betrachten, so sehen wir einen Mörder, Vergewaltiger, Räuber, der unfähig ist zu lieben und keine Freude kennt, nicht einmal um seine Freunde trauern kann. Er ist ein Psychopath, der maximal Lust empfinden kann, was sich in den Vergewaltigungen und der Abwesenheit anderer Emotionen zeigt. Er ist nicht einmal ein Anti-Held. Dabei ist er eine durchweg tragische Figur. Seinen Freunden beraubt, seiner Zukunft ebenso, stetiger Gewalt ausgesetzt und zur Liebe unfähig. Deborah hingegen ist das genaue Gegenteil von Noodles. Sie hat von Anfang an ein Ziel vor Auge, welches gesellschaftlich anerkannt und ehrlich ist. Sie ist aber wie auch Noodles dazu in der Lage zu vergeben, kann aber auch nicht vergessen, was geschehen ist - sowohl im guten als auch im schlechten. Max hingegen, der als Staatssekretär Bailey weiterhin Gangster bleibt, sucht seinerseits Vergebung von Noodles. Die wird ihm aber nicht in der gewünschten Form - der Rache - gewährt. Max’ Entwicklung ist über den Film hinweg aber nur konsequent. Am Ende ist er ganz oben angekommen, ist den Gestank der Straße losgeworden, hat den Verrat an seinen Freunden ausgenutzt und ist mächtiger als je zuvor. Doch ist er von Schuld zerfressen. 
Noodles und Max sind beide Verlierer. Es wird eine Fabel erzählt, die von Beginn an klar macht, dass Gewalt und Kriminalität nur in Zerstörung und Leid enden. 

Ironischer Weise wird die Brutalität und Gewalt durch die wunderschönen Klänge Ennio Morricones, Leones Stammkomponist, auf dramatische Weise konterkariert. Die verwendeten Themen, allen voran Deborahs Thema und das Panflöten-Thema, stehen in ihrer Anmut und Märchenhaftigkeit im krassen Kontrast zu den gezeigten Bildern. Das Kindheitsthema (Panflöte) begleitet die Jungen auf ihren Weg zum Erwachsenwerden. Aber schon in der nächsten Einstellung sehen wir, wie Dominic erschossen wird. Schönheit und Tragik stehen hier im unmittelbaren Gegensatz zueinander. Deborahs Thema zeigt Liebe. Liebe, die nie eine Chance hat. Gänzlich tragisch ist das Thema im Zusammenhang mit dem Scheiden von Noodles und Deborah. Sie flüchtet vor dieser Welt und Noodles kann es nicht verstehen.
Die Musik spiegelt dabei das Innenleben der Protagonisten wieder. Liebe, Freundschaft, Verrat. Dazu sagte Leone: „I've always felt that music is more expressive than dialogue. I've always said that my best dialogue and screenwriter is Ennio Morricone. Because, many times, it is more important a note or an orchestration than a line said.“

 

Was bleibt am Ende? Sergio Leone nutzt altbekannte Zutaten seiner früheren Filme und erstellt einen Remix ohne dabei zu vergessen, sich auch weiterzuentwickeln. Mit seinem letzen Film, hat er Neues gewagt: Der Film wurde in den USA gedreht und hat einen US Cast, der mit einer Reihe namhafter Darsteller aufwarten kann. Neben Robert DeNiro, James Woods und Elizabeth McGovern glänzen unter anderem in kleineren Rollen Danny Aiello, Joe Pesci, Burt Young oder auch die bezaubernde Jennifer Connelly. 
Doch Leone bleibt sich treu. Der Film bildet den Schlusspunkt der Amerika-Trilogie. Einer Reihe von Märchen, Umbrüchen, Träumen. Der amerikanische Traum wird aber entzaubert und zeigt, dass die Geschichte der USA kein Märchen ist. Sie ist blutrünstig, brutal, voller Gewalt und Zerstörung.

Oberflächlich betrachtet haben wir aber zumindest zur Halbzeit des Films, wenn wir uns den Ereignissen chronologisch annähern, das suggerierte Märchen. Unsere vier Freunde und auch Deborah haben es aus eigener Kraft aus ärmlichen und widrigen Verhältnissen herausgeschafft. Sie sind reich, haben Frauen, Einfluss und Macht. Deborah steht aber dazu im Kontrast. Sie ist gebildet, spricht mehrere Sprachen und ist ehrlich. 
Aber in jedem Märchen gibt es eine böse Hexe: die Zeit. Es geht nun rapide nach unten. Am Ende bleibt eine Geschichte, die die Meisten von uns niemals ansatzweise erfahren werden. Doch es ist eine Geschichte, dessen Grundbausteine: Liebe, Verrat, Freundschaft, Rache und Vergebung für uns all zu sehr bekannt sind und wir auch nachvollziehen können. Wir können das Gesehene nachempfinden, emotional miterleben. Die meisterhafte Darstellung dessen lässt uns letztlich auch das grausamste Geschehen ertragen. Dieser von grundauf pessimistische Film, wartet mit einem erlösenden Ende auf, dass durch den Akt der Vergebung ermöglicht wird. 

10/10
Weiter:

Kommentare

15.07.2020 20:17 Uhr - Intofilms
1x
Mein Leone-Lieblingsfilm, und in meinen Augen auch sein bester, ist „Spiel mir das Lied vom Tod“. Mit diesem hier hatte ich von jeher etwas gefremdelt, was vielleicht vor allem daran liegt, dass ich mir andere Gangster-/Mafiaepen einfach noch lieber ansehe. Gut, ja sehr gut ist dieser Film natürlich trotzdem. Leone und Morricone waren übrigens Klassenkameraden (oder zumindest Schulkameraden) - allerliebst!- Schöne Review, lappi. ;)

15.07.2020 20:20 Uhr - Cabal666
1x
User-Level von Cabal666 9
Erfahrungspunkte von Cabal666 1.084
Ich revanchiere mich hiermit mal für deinen netten Kommentar unter meiner "Lord of the Weed"-Kritik (was für ein Kontrast! Debiler Schwachsinn neben anerkanntem Klassiker der Filmgeschichte!)

Großartige Kritik! Du gehst richtig ins Detail, erkundest die Motive der Charaktere und ihre Entwicklung und nimmst Leones Weise, die Handlung zu erzählen, genau auseinander. Und machst mit jeder Zeile deine Liebe zu dem Film begreifbar! Toll geschrieben!
Ich hab den Abschluss von Leones "Amerika-Trilogie" leider noch nicht gesehen. Wie auch den zweiten Teil, den eher unbekannten "Todesmelodie". Dafür kenne ich aber natürlich seine "Dollar-Trilogie" und "Spiel Mir Das Lied Vom Tod" ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme. "Es war einmal in Amerika" ist natürlich, anders als diese Filme, kein Western, sondern ein Gangsterfilm. Aber von den "Pate"-Filmen war ich auch schon sehr angetan und weitere Werke in dem Stil schau ich mir immer gerne an. Irgendwann leg ich mir definitiv noch dieses Leone-Mammutwerk zu. Bin auf jeden Fall drauf gespannt!

15.07.2020 20:48 Uhr - TheRealAsh
1x
User-Level von TheRealAsh 10
Erfahrungspunkte von TheRealAsh 1.399
Gut parriert, Lappi, so muss ein Review und Huldigung für dieses Meisterwerk aussehen: ganz großartig!

Ich habe ja noch immer nicht die Langfassung. Die sollte doch ursprünglich Ende letzten Jahres rauskommen und wurde dann gecancelt. Weiß da jemand was?

15.07.2020 21:07 Uhr - lappi
User-Level von lappi 3
Erfahrungspunkte von lappi 175
15.07.2020 20:48 Uhr schrieb TheRealAsh
Gut parriert


😁

Die Langfassung gibts schon, wenn ich mich nicht irre.
Ende letzten Jahres sollte die erste Synchro auf BD erscheinen, was bedauerlicherweise kurz vor Release gecancelt wurde.

15.07.2020 21:50 Uhr - Knochentrocken
2x
User-Level von Knochentrocken 5
Erfahrungspunkte von Knochentrocken 448
Sehr schöne Kritik. Einer meiner absoluten Lieblingsfilme! In den Top 3.

Und ja, die Langfassung gibts schon. Ist die - sozusagen - „deutsche Kinofassung“

kommentar schreiben

Um Kommentare auf Schnittberichte.com veröffentlichen zu können, müssen Sie sich bei uns registrieren.

Registrieren (wenn Sie noch keinen Account hier haben)
Login (wenn Sie bereits einen Account haben)