Ich habe ja bisher kaum einen Hehl daraus gemacht, dass ich ein großer Fan des deutsch-österreichischen Filmwissenschaftlers und Autors Marcus Stiglegger bin, dessen Audiokommentare ich alle verschlinge (herausgehoben sei der zu Funny Games von Haneke und der zu Twin Peaks - Fire Walk with Me) und dessen Bücher ich sehr schätze. Empfehlenswert erscheint für Einsteiger seine Grenz-Trilogie (Grenzkontakte - Exkursionen ins Abseits der Filmgeschichte, Grenzüberschreitungen - Exkursionen in den Abgrund der Filmgeschichte, sowie Jenseits der Grenze - Im Abseits der Filmgeschichte), in der alles, was das extreme Filmherz begehrt, enthalten ist, von Tanz der Teufel, über Filmemacher wie Bruno Dumont, Roland Topor, Liliana Cavani, Jörg Buttgereit, Andrzej Zulawski, den speziellen Genrefilm wie Backwood-Slasher, Zombie-Filme, Naziploitation, bis hin zu Maniac, Cronenberg, Polanski, Pseudo-Snuff oder dem ewig missverstandenen Evergreen Suspiria von Dario Argento. Interessierte, die sich weiter mit der Materie der Filmwissenschaft und der von Stiglegger aufgestellten Hypothese einer Seduktions- oder Verführungstheorie des Films beschäftigen möchten, kommen um Ritual & Verführung. Schaulust, Spektakel und Sinnlichkeit im Film oder Terrorkino. Angst/Lust und Körperhorror nicht umhin. Ein absolutes Highlight neben seinen Audiokommentaren ist der seit Herbst 2019 gestartete Podcast Projektionen - Kinogespräche mit Sebastian Seidler, die jeder Filmfan und -liebhaber zu schätzen wissen wird.
Weniger bekannt ist, dass Stiglegger neben seiner filmwissenschaftlichen Arbeit als Professor auch selbst Filme macht, Fotograf und Musiker ist, in der Band Mars, die düsteren und paganistischen Neo-Folk spielen und in dem Dark-Ambient-Soloprojekt Vortex, mit dem er zum Beispiel auch Soundtracks schreibt (wie zu Julia Ostertags Fetish-Thriller Dark Circus). Seine letzten drei Alben Moloch, As Gods Fall und das aktuelle Helioz wurden, wenn ich richtig informiert bin, als post-apokalyptische Trilogie konzipiert. Zur Veröffentlichung von Helioz wurde nun ein klassisches Musikvideo als Kurzfilm produziert, in dem Stiglegger neben Danilo Vogt selbst Regie führte und das ich hier vorstellen möchte.
Unter dem Titel Man of Fire gibt es einen referentiellen Text zu hören, der auf dem Titel "Black Sun" von Brendan Perry und den Dark-Wave-Veteranen Dead Can Dance basiert. Der Text könnte in die aktuelle Zeit mit seinen apokalyptischen Bildern, wie auch den abgebrannten Wäldern nicht besser passen, wenn man sich die verheerende Lage mit den Waldbränden in Kalifornien betrachtet, bei denen vielen Erinnerungen an Bilder aus Blade Runner in den Sinn kamen. Bleibt zu erwähnen, dass Man of Fire zuvor entstand. Will man Stigleggers Konzept des Postapokalyptischen enger fassen, kommt man nicht umhin ein paar weitere Filmtitel zu nennen, die bei mir im Hinterkopf in Erscheinung treten, wenn ich das Video sehe. Zweifelsohne ist da ein gehöriger Schuss Mad Max, der da im Feuerofen durch die Wastelands rast, wie aber auch aus meiner Sicht eine Neuinterpretation von John Milius Film Conan - Der Barbar, die hier vor allem in seiner Opulenz und der Übermacht der Natur und einer auslieferenden Existenz daherkommt. Danilo Vogt hat hier visuell wirklich das Optimum herausgeholt und ein mehr als professionelles Video geschaffen, das mit seinen brennenden Wäldern und der Architektur der Mond- und Kraterlandschaften auch auf einen längeren Film Lust machen würde, von den beeindruckenden Luftaufnahmen ganz zu schweigen. Der Rezipient möge seine eigene Endzeitstimmung gerne hinzufügen in dieser hoffnungslosen und längst untergegangenen Welt, in welcher der Mensch längst tot und die Sonne vor dem Erlöschen ist, noch einmal auflodernd, bis sie explodiert und der Mensch völlig vergessen.
Musikalisch ist Man of Fire ein richtiger Hit des Dark-Ambient-Projekts mit treibend-tribalen Drums und in seiner pathischen Wucht schon fast monumental in jedem Sinne des Wortes, wenn man an den Monolithen aus 2001 - Odyssee im Weltraum denkt. Ich bin im Dark Wave, Ambient und Gothic nicht ganz so bewandert, sondern entspringe eher dem metallischen Lager (was sich letztlich ja sowieso überschneidet), die Einflüsse von Stiglegger scheinen mir hier aber in den post-folkloristischen Wurzeln von Bands wie Death In June zu liegen, Sol Invictus oder Current 93.
Erwähnen muss man noch Lamia Vox, die Co-Writerin des Songs und quasi Lisa Gerrard von Brendan Perry, um bei der Referenz mit Dead Can Dance zu bleiben. Lamia Vox ist nun wirklich eine Entdeckung selbst. Die Sängerin und Instrumentalistin bewegt sich ebenfalls im Dark & Ritual Ambient, Post Industrial und in der Neoclassic. Ihre Präsenz, ihre ätherische Stimme und mystische Aura ist sowohl für den Song, wie auch für das Video ein absoluter Gewinn und Stiglegger ritualisiert in Gegenüberstellung mit ihr ein Quasi-Ambient-Duett, wie ich es so noch nicht gesehen habe. Wer sich weiterhin für ihr Schaffen interessiert, sollte sich das Video zum hypnotischen und dämonischen "Born of the Abyss" oder "Evil Comes from the North" ansehen.
Insgesamt bietet die Single-Auskopplung Man of Fire sowohl als Film, wie auch als Song ein düsteres und apokalyptisches Inferno, das Lust auf das ganze Album von Vortex mit dem Titel Helioz macht. Visuell bestechend und nahezu geborgen in der Atmosphäre der Zerstörung wird Stiglegger zum entfesselten Prometheus und Lamia Vox zur Hohepriesterin der Apokalpyse stilisiert. Das Lied der Sirenen kann man hier getrost hinter sich lassen und sich auf dem Meer der Verdammnis treiben lassen, in dem die Hoffnung am Abgrund funkelt.
Da Marcus Stiglegger für mich persönlich ebenfalls ein Hohepriester meiner filmilischen Sozialisation ist, verzichte ich ausnahmsweise auf eine Wertung und spreche einfach meine klare Empfehlung aus.