Bob Gunton (Argo) präsentiert den Gefängnisdirektor Warden Norton. Jede Regung ist perfekt. Diese diktatorische Borniertheit, manipulative Falschheit, verlogene Selbstverliebtheit. Die glatt gegelten Haare, der schnieke Anzug, so edel zeigt sich dieser skrupellose, machtgierige Mensch mit Anzeichen von Selbstsucht am liebsten. Captain Byron Hadley (Clancy Brown) ist Nortons rechte Hand, im wahrsten Sinne des Wortes seine gefährlich inkorrekte ausführende Gewalt. Was hatte mich Brown damals als Bösewicht in Highlander umgehauen. In DIE VERURTEILTEN macht er das wieder. Beeindruckend, wie dieser herrschsüchtige, brutale Captain Häftlinge ohne mit der Wimper zu zucken umhaut. Und dann mit einem Blick egal zu welcher Figur unausgesprochene Seiten zeigt. Sein Verhältnis zu Norton ist auch dadurch ersichtlich. Zusätzlich gibt es noch eine Gang, die Andy und anderen Leidtragenden das Leben schwer macht. Ihr Anführer ist Bogs Diamond, der Andy zusammen mit Gehilfen vergewaltigt, und von Mark Rolston (Departed - Unter Feinden) in jeder Sekunde grausam effektiv gespielt wird. Aber der neue Insasse lernt im Gefängnis auch Menschen kennen, die ganz anders gebaut sind, als diese Sadisten.
Morgan Freeman (Oscar für Million Dollar Baby) verkörpert Red, der schon seit Jahrzehnten seine Strafe absitzt, und für die Insassen ein geheimer Händler ist. Ein ruhiger Mann, der über einen festen Platz, Realitätssinn, Anstand, Aufrichtigkeit, und emotionale Intelligenz verfügt. Freeman spielt glaubhaft. Jede Bewegung ist ausgeklügelt, die Fertigkeit der Mimik kann sich mit jedem Schauspieler messen. Red hat einen kumpelhaften Kontakt zu anderen Häftlingen, die sich nicht ausgedehnt an dem Leid anderer ergötzen. Einer davon ist Heywood, ein Kerl mit wenig Wissen, der etwas schwer vom Begriff ist, und von William Sadler (Der Grim Reaper in Bill & Ted’s verrückte Reise in die Zukunft!) genial dargestellt wird. Wesentlich sind auch die älteste Figur, Brookes Hatlen, und die jüngste, Tommy Williams, gespielt von James Allen Whitmore († 2009, Oscar Nominierung für Kesselschlacht) und Gil Bellows (Billy Thomas in der Fernsehserie Ally McBeal). Die möglichen Auswirkungen der Haft auf das gesamte Leben werden durch diese Figuren beispielhaft aufgezeigt. Brookes, der schon seit einer halben Ewigkeit sein Dasein im Gefängnis fristet, stellt für sich fest, dass er zu alt dafür ist, ein neues Leben außerhalb der Gefängnismauern zu beginnen. Und der junge Mann hätte prinzipiell noch viele Lebensjahre vor sich gehabt.
Andy Dufresne ist der Dreh- und Angelpunkt, um den sich alle Verbindung der Figuren drehen.
Robbins kann Dufresne einerseits als seltsam, andererseits als gewinnend darstellen, Darabonts Führung tut ihr Übriges. In seinem Drehbuch adoptierte er Kings Idee Andy auch aus der Sicht von Red als Ich-Erzähler zu umschreiben. Aus der Vorlage: "Ich will über einen Mann namens Andy Dufresne berichten." In der Verfilmung wird diese Perspektive ebenso durch einen inneren Monolog übernommen. Andy bleibt dadurch nicht nur sonderbar und schwer durchschaubar, er kann den Zuschauer wie Figuren aus seiner Umgebung für sich gewinnen. Im Gerichtsaal, im Bus auf der Fahrt zum Gefängnis, auf dem Gefängnishof, überall hebt er sich von der Masse ab. Red, in der Novelle, über Andy: "Er sah immer aus, als müsste er eigentlich eine Krawatte tragen." Im Film sieht Andy aber auch mal so aus, als ob er ein naiv ehrlicher Jungspund sei, der nicht immer erkennt, dass die Welt eher selten so ist, wie man sich das wünscht. Mit großen Augen, die schon fast einen Welpenschutz-Reflex ansprechen, und dann einem intensiven, entschiedenen Blick, hinterlässt er einen bleibenden Eindruck. Seine Stärken sind zunächst verborgen. In der Novelle: "Ganz gleich, was in ihm vorging, man sah es ihm nicht an." Es liegt nahe, einen introvertierten Mann vor sich zu vermuten, bis dieser unvorhersehbar deshalb aus der Masse heraussticht, weil er mehr Mut als viele andere hat. Der gegnerische Anwalt im Gerichtssaal: "Glauben sie, dass ich mir das (die Tat) nur einbilde?" Andys Antwort: "Das kann man so sehen." Er geht vieles nüchtern an, und wird daher vor Gericht verkannt, für unterkühlt gehalten. Niemand hat eine Ahnung davon, wie es ihm gelingen wird, die Gesellschaften im Gefängnis rational und gefühlvoll zu verändern. Vorerst ist es an Andy, diese zu mustern, und abzuwägen, wie er möglichst unbeschadet seine Ziele erreichen kann.
Die erste Nacht im Gefängnis sei sehr hart, beteuert Red, grausame Spielchen und extreme Gewalt bestätigen seine Aussage. Der "frische Fisch" ist ins Netz gegangen, muss die Kleidung ablegen, weil er gewaschen wird, nackt und schutzlos wie bei der Geburt werden die 'Neulinge' in ein neues Leben gestoßen. Dieses bestehe im Gefängnis aus Routine. Die gibt etwas Gewissheit, jedoch Hand in Hand mit der Gegebenheit, in einer Sackgasse zu verharren, zudem gehören Missbrauch, Gewalt und Korruption dazu. Der Normalzustand ist nun ein Geflecht aus geschriebenen Regeln und Gesetzten, und welchen, die scheinbar unanfechtbar einem internen System entspringen. Die Aufseher und die Leitung des Gefängnisses sollen die Justiz vertreten und missbrauchen die Machtposition kriminell. Der Direktor hält die Bibel nach außen hin für richtungsweisend, sonnt sich selbstherrlich in seinem Wissen darüber, nach dem Motto: Ich wasche meine Hände in Unschuld, und scheut nicht vor aufrichtigen Zynismus: "Ihr vertraut dem Gott, aber euer Arsch gehört mir." Die Gesetze und die Inhalte der Bibel sind von Menschenhand gemacht, die Anwendung und Auslegung dieser sind von Individuen und deren äußeren Umständen geprägt. Es wird deutlich gezeigt, dass die Bedingungen und die Perspektivlosigkeit im Gefängnis auch durch die Justiz beeinflusst werden. "Ein Gauner bin ich erst im Gefängnis geworden." DIE VERURTEILTEN weist darauf hin, dass das Justizsystem Amerikas ein Nährboden dafür ist, dass Schuld und Sühne, Recht und Unrecht, relativ und widersprüchlich sind. Andy lernt scharf kalkuliert mit den Umständen umzugehen, und diese für sich zu nutzen.
Die zentrale Figur versteht es, sich durchzuboxen und durch ihr Wissen sowie ihre Fähigkeiten zu integrieren. Andy konfrontiert Gefangene mit eingekerkerten Bedürfnissen, und kann diese durch schwarzen Humor zum Lachen bringen, wodurch er bei einigen eine besondere Position hat. Er baut Verbindungen mit den mächtigsten Personen der Belegschaft des Gefängnisses auf, indem er deren Willen und Devisen anregt. Diese Charaktere sind partiell berechenbar und beeinflussbar, weil sie so sind wie sie sind, und Andy weiß, dass jedes System eine bestimmte Struktur hat, die aufgrund ihres eigenen Konstrukts manipuliert werden kann. Dem ehemaligen Bankier öffnen sich Türen, durch die er nicht nur seine Lebensqualität verbessern kann, aber Andy setzt seine Fortschritte einfordernd, eigenwillig und gewagt aufs Spiel. Ein Spiel mit dem Feuer.
In manchen Szenen fassen sich Inhaftierte ungläubig an die Stirn, weil sie nicht fassen können, wie sich Andy in Gefahr begibt. Fast jeder Zuschauer wird dann mitfiebern. Das Auf und Ab hellt die Stimmung mit einer Hoffnung auf, an die nur Andy glaubt: "Hoffnung ist eine gute Sache. Vielleicht sogar die Beste. Und gute Dinge können nicht sterben.", und geht mit einem Schlag in den Magen in Resignation über. Durch den dramaturgischen Staffellauf mit dem Wechsel zwischen Freude und Schmerz sowie einem ungewissen Ausgang entwickeln sich stetig neue Begebenheiten und Erkenntnisse. Red philosophiert diesbezüglich: "Ich merke, dass ich so aufgeregt bin, dass ich kaum still sitzen oder einen klaren Gedanken fassen kann. Ich glaube, es ist eine Erregung, die nur ein Mensch, der frei ist, nachempfinden kann. Ein freier Mann, der am Anfang einer langen Reise steht, deren Ende noch ungewiss ist." Lebensbejahend appelliert Andy buchstäblich auch an den Zuschauer, nicht zu vergessen, wer man ist, für sich einzustehen, und unter allen Umständen dafür zu kämpfen, das Leben als man selbst zu leben. Da fühlt sich der Konsument in den meisten Fällen sicherlich angesprochen, damit identifiziert man sich dann gerne.
Es entstehen Fragen danach, welche Vorrechte weshalb berechtigt sind, und ob sie ein Teil unserer Natur sind. DIE VERURTEILTEN kann diese bestimmte facettenreiche Denkweise einer Gesellschaft hoch spannend darstellen. Wie der Autor der Vorlage. Und Darabonts Inszenierung ist mehr als zufriedenstellend.
Bei dem Gebäude, das in Außenaufnahmen zu sehen ist, handelt es sich um das im Jahre 1896 erbaute Gefängnis von Mansfield, Ohio, die Innenaufnahmen wurden in einem Lagerhaus gedreht. Die Kamera fliegt gelegentlich über den Komplex, viele Insassen 'begrüßen' geifernd die Neuankömmlinge. Aufwendig bewegt sie sich an den Mauern entlang, ein gewaltiges Ausmaß der Gefangenschaft. In diversen Variationen übersetzen die Perspektiven dramaturgisch wirksam das Leben im Gefängnis, vordergründig ist dabei meist das Erleben der Opfer. Klassische Instrumente spielen kongenial die dargestellte Lebenslage voller Schmerz und einem kleinen Hoffnungsschimmer traurig schön. Die Schnitte können das etappenweise inszenierte Gesamtbild gut zusammenfügen. Der Übergang zu Dialogszenen ist manchmal auffällig, wodurch sich die Aufmerksamkeit auf die meist sehr gehaltvollen Dialoge richtet.
Wenn man DIE VERURTEILTEN bereits gesehen, vielleicht die Novelle gelesen hat, oder beides, und Darabonts Film dann auf den Bildschirm läuft, kann in vielen Szenen ein bedeutsames Element interpretiert werden. Es gibt aus meiner Sicht nur ein Manko.
DIE UNTERSCHIEDE ZUR NOVELLE sind oft so gering, dass sie eine Idee nur leicht abwandeln, aber manche Veränderungen sind die einzigen Schwachpunkte, die ich sehe. Einige Figuren, die ich nicht nenne, um nicht zu spoilern, haben in RITA HAYWORTH AND SHAWSHANK REDEMPTION einen anderen Schicksalsschlag. Darabont stellt die Vergehen und das Leiden härter da. Natürlich ist das effektiv, aber nicht so nah an der Realität wie die Vorlage. In Kings Novelle ahnt Red auch deutlich mehr von dem, was Andy vorhat, wodurch die Spannung etwas anders aufrechterhalten wird. Der Ich-Erzähler versucht sich ein Bild davon zu machen wie Andy zu seinem Ziel kommen kann. Und der geht seinem Vorhaben nicht ganz so pazifistisch nach wie er es im Film tut. Das Ende ist in der Novelle auf Hoffnung fixiert, DIE VERURTEILTEN geht einen Schritt weiter. Das Prinzip der Hoffnung bekommt somit in Kings Vorlage einen verstärkten Aspekt.
Dem Autor selbst gefiel nur eine Szene nicht. Verständlich, auch, wenn ich die Schallplatte schön finde. Ich spoiler die Szene nicht.
DIE VERURTEILTEN ist einer der besten Gefängnisdramen und Stephen King-Verfilmungen! Die hervorragende Story ist hochinteressant und aussagekräftig, Frank Darabont kann die mutmaßlichen Anliegen von King spannend in Szene setzen. Nur verlässt der Regisseur die realistische Vorlage teilweise so, dass er die Story lyrischer aussehen lässt, als es die Thematik in der Regel zulässt. Das ändert aber nichts daran, dass man diesen gehaltvollen Film gesehen haben sollte!
Trivia: In einer Szene sieht man in einer Gefangenenakte ein Foto, das von Red in jungen Jahren gemacht worden sein soll. Zu sehen ist Morgan Freemans Sohn Alfonso!