Thelma
Herstellungsland: | Norwegen, Frankreich, Dänemark, Schweden (2017) |
Standard-Freigabe: | FSK 12 |
Genre: | Drama, Liebe/Romantik, Science-Fiction, Thriller |
Bewertung unserer Besucher: |
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Note: 8,33 (3 Stimmen) Details |
Inhaltsangabe:
Die schüchterne Thelma verlässt ihr streng religiöses und konservatives Elternhaus in der ländlichen Idylle der norwegischen Wälder, um in Oslo zu studieren. Als sie auf dem Campus ihre Kommilitonin Anja kennenlernt, entwickelt sich zwischen den beiden eine starke Anziehungskraft. Zum ersten Mal in ihrem Leben genießt sie die Zwanglosigkeit der Jugend, feiert Partys und entdeckt ihre Weiblichkeit. Doch plötzlich erlebt Thelma epilepsieartige Anfälle und es beschleicht sie der Verdacht, dass mit ihrem Befreiungsschlag auch übersinnliche Fähigkeiten freigesetzt wurden, die in ihrer Familiengeschichte tief verwurzelt sind. (Koch Films)
Thelma
Must be the Season of the Witch
Spätestens seit dem gefeierten schwedischen Horror-Paukenschlag So finster die Nacht weiß man ja, dass Skandinavien in der Lage ist, kräftig im internationalen Sektor des modernen Genrefilms mitzumischen, und diesen auch mal gehörig umzukrempeln. Abseits androgyner Vampirkinder verschlägt es mich für meine aktuelle Vorstellung nach Norwegen, einem Land in dem Stellan Skarsgard gerne blutige Rachefeldzüge beschreitet und die Lords of Chaos mit großem Getöße Kirchen niederbrennen. Mit rotem Schnee und Black-Metal-Hörstürzen hat der leise Thelma aus dem Jahr 2017 aber so überhaupt nichts zu tun. Dennoch hat das komplexe Mystery-Drama einiges zu sagen und hat sich nicht umsonst in meinem Herzen ganz an die Spitze der besten Filme der letzten Jahre katapultiert. Dafür brauchte es nicht einmal Hexenkräfte.
Weit weg vom konservativen Zuhause und dem Einfluss ihrer streng gläubigen Eltern, tritt Thelma (Eili Harboe) einen Studienplatz in Oslo an. Die eigentlich recht schüchterne junge Frau findet auf dem Campus schnell neue Freunde, darunter auch ihre Kommilitonin Anja (Kaya Wilkins), die nur allzu gerne wilde Partys feiert. Doch bald besteht mehr als nur bloße Freundschaft zwischen den Frauen, das erkennt Thelma sofort, denn sie fühlt sich stärker zu Anja hingezogen als ihr lieb ist und entdeckt mehr und mehr ihre Sexualität. Urplötzlich erleidet sie einen vermeintlichen epileptischen Anfall, der mehr über die Vergangenheit ihrer Familie preisgibt als Thelma je zu Träumen gewagt hätte. Die Liebe zu Anja, welche im Zwist mit ihren bisherigen Überzeugungen steht, haben ungeahnte übersinnliche Fähigkeiten in ihrem Unterbewusstsein aktiviert und Thelma beginnt die Kontrolle über diese Kräfte zu verlieren...
Nach kurzer Eingewöhnungsphase in den ruhigen Filmkosmos merkt man Thelma schnell seine außerordentlichen Ambitionen an. Der Regisseur, Joachim Trier, der zuvor in zahlreichen Dramen (Oslo, 31. August, Louder Than Bombs) ein Gespür für ambivalente Charaktere und wirklichkeitsnahe Geschichten entwickelt hat, setzt den Schwerpunkt zunächst auf eine klassische Coming-of-Age-Rahmenstory. Da man diese jedoch alsbald um das Element des Paranormalen - Thelmas an dieser Stelle nicht näher definierte übersinnliche Kräfte - erweitert, erinnert dies irgendwo schon an den De Palma-Klassiker Carrie mit Sissy Spacek. Der Vergleich kommt nicht von ungefähr, behandelt auch Trier Themen wie religiösen Fanatismus (wenn auch sehr viel unterschwelliger) und liefert mit der anfänglich im Vordergrund stehenden Introvertiertheit seiner Titelfigur klare weitere Parallelen.
Thelma selbst kann man indes sofort ins Herz schließen, nicht zuletzt da die wunderbare Eili Harboe mühelos alles und jeden an die Wand spielt, sich dennoch der Verletzlichkeit und inneren Zerissenheit der Figur stets bewusst scheint. Jedenfalls stehen Gefühle wie Mitfiebern und -leiden Schlange im immer wieder überraschenden Drehbuch, welches - gelegentlich funktionierend nach den Schemata eines Horrorfilms, ohne dabei sonderlich viel mit Horror zu tun zu haben - das Böse als reine Suggestion entlarvt. Dabei begeht der Regisseur nicht den Fehler die Fähigkeiten seiner Titelheldin überzuerklären, sondern überlässt vieles den Gedanken des Publikums. Einige davon führen gewiss in Abgründe, so viel sei gesagt, und münden in psychedelischen Randerscheinungen, wobei eine fotosensitive Epilepsiewarnung (Achtung: Stroboskoplichter) ausgesprochen sei.
Nicht umsonst ist Triers Film auch als verkopfte Huldigung an das mysteriöse Genrekino der Siebziger und Achtziger zu verstehen, davon zeugen die bewusst langsamen ausholenden Einstellungen und Panoramen. Neben vorhin erwähnter Stephen King-Adaption kam mir direkt George A. Romeros oft übersehenes Frühwerk Season of the Witch in den Sinn, welches in meinen Augen als deutlich intelligenter anzusehen ist als es oft verstanden wird.
In ähnlich klassische Sphären verschlägt es auch die exquisite Filmmusik, nur nochmals übertrumpft von den schlichtweg herausragenden, symbolschwangeren Bildern. Eines dieser wiederkehrenden Symbole ist etwa die Schlange, welche in Thelmas Träumen erscheint und - das ist recht offensichtlich - den Aspekt der Sünde versinnbildlicht, also Thelmas Liebe zu einer anderen Frau (ebenfalls großartig: Kaya Wilkins) als etwas von grundauf Falsches stigmatisiert. Selbstverständlich ist die Liebe, völlig egal zu wem, etwas ganz Natürliches, was die junge Protagonistin in ihrem Reifungsprozess erst noch begreifen muss. Also wird zugleich eine Geschichte über sexuelles Erwachen erzählt, was - wie es auf der Blu-ray so schön heißt - durchaus einige Gemeinsamkeiten mit dem modernen Klassiker Blau ist eine warme Farbe aufweist, wobei nichts wirklich Explizites, aber dafür enorm Ästhetisches zu sehen ist.
Im Übrigen wird auch auf visueller Ebene mit warmen Farben und natürlicher Beleuchtung gearbeitet um Atmosphäre zu schaffen und spätestens die fantastischen Naturaufnahmen, welche vor allem das letzte Filmdrittel dominieren, rauben buchstäblich den Atem. Man achte insbesondere auf die melancholisch-enigmatische Kulisse des weitreichenden Sees (ist das die Schwelle ins Jenseits?) in der Nähe von Thelmas Elternhaus, der im Winter nicht nur für unwiderstehliche Lichtreflexionen taugt. Der reinigenden Wirkung des Wassers als Ursymbol des Lebens räumt man den wahrscheinlich eindringlichsten Moment des Werkes ein, der keiner weiteren Interpretation bedarf. Denn wie das Wasser selbst vereint auch Thelma zwar die Kräfte der Zerstörung, aber letztendlich auch der Schöpfung in sich.
Zwar gerät die Laufzeit von knapp zwei Stunden, auch in Anbetracht des Gehalts, nicht gerade kurzweilig, doch ist es diese ganz bewusste Langatmigkeit, die gebraucht wird um den Geschehnissen auch ihre nötige Schwere zu verleihen. Freilich lässt sich dieses auch vom individuellen Geschmack abhängige Stilmittel recht gut relativieren, da weitestgehend nichts innerhalb des Films zweitrangig oder gar unnötig erscheint. Thelma ist großes Kino in dem alles eine Bedeutung hat. Gerade die Szene am Ende mit Thelmas Vater auf dem Boot gehört mit zum Ausdrucksstärksten was es in den letzten Jahren im Medium Film zu sehen gab. Joachim Trier lässt die Vergangenheit in Flammen aufgehen und den Genre-Phönix zusammen mit Eili Harboe nicht aus der Asche, sondern in diesem Falle aus dem Wasser wieder auferstehen. Aber das erlebt man dann am besten selbst.
''Ich werd' dir etwas erzählen müssen. Das wird sehr wehtun.''
Fazit
Fernab jeder Art von Gefälligkeitskino schickt Joachim Trier eine übersinnlich begabte Protagonistin auf den ultimativen Selbstfindungtrip. Das handelt im Großen und Ganzen von Liebe und lieben lassen, von Schuld, fehlgeleiteten Ideologien, Rebellion und noch vielem vielem mehr. Alles davon auf Anhieb erfassen und dekodieren zu können ist nahezu unmöglich, aber dafür hat man immerhin die Möglichkeit den Film immer und immer wieder zu sehen. Thelma ist ein berauschendes, forderndes und ungemein befriedigendes Retro-Märchen, für das der Begriff ''Sinnlichkeit'' praktisch erfunden wurde.
Kommentare
11.05.2021 18:31 Uhr - cecil b |
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Eine wunderbare Review!!! Ich bin sehr an diesem Film interessiert! An "De Palma-Klassiker Carrie mit Sissy Spacek" musste ich auch denken, als ich die tolle IHA gelesen habe. |
11.05.2021 18:39 Uhr - sonyericssohn |
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Klingt ja nicht schlecht ! Möglich daß der, die passende Stimmung vorausgesetzt, bei mir ebenfalls ordentlich punkten könnte. Danke für den Tip !
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11.05.2021 19:31 Uhr - Cinema(rkus) |
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12.05.2021 01:31 Uhr - The Machinist |
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Mal wieder großes Dankeschön für die geilen Rückmeldungen, Leute.
Ach ja, und sehr viel Freude beim Film. |
12.05.2021 01:47 Uhr - The Machinist |
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12.05.2021 11:56 Uhr - Stoi |
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Interessante Plot-Beschreibung, die neugierig macht.
Muss ich demnächst mal sichten. Danke für den Tipp. |
12.05.2021 12:07 Uhr - Lukas |
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13.05.2021 01:06 Uhr - The Machinist |
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13.05.2021 11:15 Uhr - Stoi |
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14.05.2021 19:23 Uhr - The Machinist |
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