Lux Aeterna - eine (un)heilige Film-Messe und Film als Körperverletzung
Gaspar Noe hat es wieder getan. Nur kurze Zeit nach dem den Körper feiernden Film Climax kommt nun mit einer Verspätung von zwei Jahren aufgrund der Pandemie sein ursprünglich als Kurzfilm geplanter Film-Essay Lux Aeterna zwar nicht in die Kinos, so aber endlich ins Heimkino (mit 52 Minuten Laufzeit).
Was soll ich sagen? Ich bin schlichtweg begeistert von diesem wieder mal völlig eigenständigen Filmkunstwerk, das Noe mit seinem bisherigen Gesamtwerk nun endgültig in den Olymp der besten Filmemacher aller Zeiten katapultiert, wo er sich ganz bescheiden auch selbst zitiert mit seinen Vorbildern Carl Theodor Dreyer, dem noch lebenden Jean-Luc Godard und Rainer Werner Fassbinder, die er kurz einfach nur mit den Vornamen referenziert - man ist ja unter sich Filmschaffenden.
So ergeht es auch den Schauspielern und dem Filmteam, das ebenfalls nur mit den Vornamen angesprochen wird und so heißen die Rollennamen von Beatrice Dalle und Charlotte Gainsbourg schlicht und einfach Beatrice und Charlotte. Kein großer Firlefanz, einfach Filmemachen, etwas raushauen, das da im Kopf von Noe schlummert und es umsetzen.
Freunde und Freundinnen des dramaturgisch nachvollziehbaren Erzählens, könnten ihre Schwierigkeiten mit der knappen Handlung haben, die da lautet: Schauspielerin Beatrice möchte als Regisseurin mit Schauspielerin Charlotte einen Film über die Hexenverbrennungen des Mittelalters drehen, in dem sie auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden soll. Die Produktion ist in vollem Gang und die Kompetenz von Beatrice wird von Produzent und Kameramann, sowie auch Teilen des Filmteams angezweifelt. Charlotte selbst scheint an die Vision ihrer Freundin Beatrice zu glauben, ist wohl aber auch zerrissen zwischen der anstrengenden Realität des Filmgeschäfts und der weit entfernten Tochter, die ihre Mutter braucht. Als technische Probleme mit dem Licht auftreten, verliert nicht nur das Team die Kontrolle, sondern der Film selbst und endet in einem Stroboskopgewitter.
Da Noe das Kino ja kennt und liebt, ist zu vermuten, dass der am Ende wirklich ausartende und körperlich wie seelisch extrem belastende Stroboskopeffekt, den man ja stellenweise auch aus seinen anderen Filmen kennt, nicht ohne Grund von ihm verwendet wurde. Sieht man sich die Entwicklung des Kinos vom Daumenkino mit flackernden Einzelbildern an, das um das Jahr 1600 datiert wird (übrigens die Hochzeit der Hexenverfolgung), über die Laterna Magica, bis hin zum Kinetoskop von 1891, dem Vorläufer des heutigen Kinos, kann man sagen, dass Noe mit Lux Aeterna wiedermal eine Liebeserklärung ans Kino geliefert hat, die mit seinem ureigenen und extrem anstrengenden Stil sicher nicht überall auf Gegenliebe stoßen wird, den Zahn der Zeit aber sicher begeistern wird.
Ich hatte mal gesagt, dass der beste Hexenfilm aller Zeiten Suspiria von Dario Argento selbst eine Hexe ist und auch Noe hat mit Lux Aeterna den Film zur Hexe gemacht. Sowohl Beatrice Dalle (die als Sabba, die Hexe schon auf dem Scheiterhaufen gebrannt hat), als auch Charlotte Gainsbourg (die das Ende von Lars von Triers Melancholia zitiert, selbst aber bisher noch keine Hexe in ihrer Filmographie gewesen zu sein scheint), beherrschen diesen Film mit ihrer körperlichen Präsenz und Dalles Opfergabe wird in Gainsbourgs Opfer zum "Lux Aeterna", der Bitte nach dem ewigen Licht aus der Totenmesse des Christentums.
Schwere Kost, das muss man zugeben, aber in seiner Einfachheit doch wieder eine Metapher für das Leben und den Tod, das bewegte Bild als Inkorporation des Todes, dann, wenn der Mensch nicht mehr da ist. Dies als erste kurze Herangehensweise an diesen neuen Film von Gaspar Noe, bevor dieses neue Werk langsam seinen weiteren Inhalt offenbaren wird und den Zusammenhang mit der Hexenverfolgung, dem Film und der Rolle der Frau.
Ingmar Bergman soll einmal einen neurotischen Zusammenbruch erlebt haben, wo er völlig verzweifelt darüber war, dass Film nur 24 Bilder in der Sekunde sind, während dazwischen die Dunkelheit herrscht. Noe hat diese Angst vor der Dunkelheit mit Lux Aeterna und dem von ihm so geliebten Stroboskopeffekt nun sowohl ad absurdum geführt, als auch in der von ihm projizierten Metapher festgehalten: ein Zauber gegen die Dunkelheit (um noch einen anderen Film zu zitieren von Ben Rivers und Ben Russell) und 24 Bilder Wahrheit pro Sekunde, unbeugsame Realität.
Dennoch bleibt Noe ein enfant terrible, der einem lieber in die Fresse schlägt, als einen sanft in den Schlaf zu wiegen. Wäre Noe dabei gewesen, als Goethe nach "mehr Licht" kurz vor seinem Tod gefragt hat, hätte der gute Gaspar ihm eine brennende Fackel ins Gesicht geschlagen, bis das Licht bei Johann Wolfgang unwiderbringlich erloschen wäre.
Als interessanten Gegenpol zu dieser Art von Kunstkino kann man einen Streamingdienst wie Disney+ nennen, der Lux Aeterna sicher nicht ins Repertoire aufnehmen wird, aber mittlerweile vor vielen Filmen (u.a. diejenigen des Marvel Cinematic Universe) für lichtempfindliche Menschen Warnhinweise einblendet. Wer Noes Film ohne Vorwarnung sieht, wird sich fühlen, als würde er von diesem Ausnahmefilmemacher im Innersten zerstört. In diesem Sinne ist Noe reaktionär.
Es bleibt nicht aus, Lux Aeterna ist Film als Körperverletzung und in seiner Radikalität ein brutales Meisterwerk unserer Zeit.
10/10