1998 wurde in der fiktiven Sachsenklinik erstmals ein Patient behandelt.
Bis heute brechen die Schicksale von Ärzten und ihren Schützlingen nicht ab.
Immer wieder schalten genug Zuschauer für ihre Stars im Ersten ein, um deren Geschichten zu folgen.
Dabei stehen Thomas Rühmanns Dr. Roland Heilmann, Udo Schenks Dr. Rolf Kaminski oder Thomas Kochs Philipp Brentano nur am Anfang der Liste ewiger Favoriten unter den sympathisch charakterisierten Hauptrollen, aber auch jüngere Gesichter, wie Jascha Rust, der vor Jahren eher bei „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ (seit 1992) aktiv war, finden in der Seifenopfer eine neue Heimat als standardmäßig anwesende Figur.
Jede Episode verläuft zumeist nach dem selben Schema.
Eine Person verletzt sich/erkrankt und muss sich deswegen oft zwischen ihrer Gesundheit und einem Hobby beziehungsweise sogar dem Berufsleben entscheiden.
Nach der Erstbehandlung erfolgt garantiert noch ein Zwischenfall, der eine dramatischere Zweitbehandlung verursacht.
Nebenher wird auch ein übergreifender Handlungsstrang weiter erzählt, welcher das Kollegium der Klinik umfässt.
Hier spielen sich die abwechslungsreicheren Dramen ab: findet Karminski den passenden Platz für die demente, ehemalige Verwaltungsdirektorin?
Kann Roland seinen Posten als Klinikleiter wiedererlangen?
Über welchen Weg werden Miriam (Christina Schneider) und ihre Freundin ein Kind bekommen?
Das bringt die Zielgruppe, nämlich ältere Menschen, gehörig ins Grübeln.
Vorallem, weil für Interesse an den Figuren gesorgt wird, denn die hat man allesamt recht unterschiedlich charakterisiert.
Karminski ist beispielsweise sehr belesen und zitiert oft aus der Literatur.
Rohland ist eine ruhige Seele, der es immer um das Wohl der Patienten geht.
Chefarzt Dr. Kai Hoffmann (Julian Weigend) kommt dagegen kühl und kalkulierend daher.
Gespielt werden diese und weitere Figuren, zumindest dem Genre entsprechend, recht überzeugend.
Man achtet darauf, die privaten Geschichten der Ärzte nicht dauerhaft auf einem Punkt totzutreten, es geht in jeder Folge zumindest etwas mit den aktuellen Geschehnissen voran.
Da die Serie nur wöchentlich, dienstags, ausgestrahlt wird, wäre alles andere auch nur schwer hinzunehmen.
Bei all der Kreativität finde ich es ein wenig schade, dass man, wenn es um die Fälle geht, in meinen Augen bei der Ausgestaltung dieser nachgelassen hat.
Früher gab es auf dem Bildschirm dargestellte Elektroschocks, Stichverletzungen oder weitere Ideen zu bewundern, sodass jedes Mal, wenn die Folge anfing, die spannende Frage aufkam: was wird wohl heute passieren?
Jetzt beschränkt es sich meistens darauf, dass eine Person umfällt oder außerhalb des bildlichen Geschehens einen Unfall erleidet, der dann nur durch den Notarzt an die Ärzte weitergegeben wird.
So verhält es sich allerdings auch bei Operationen, weswegen ich vermute, dass es an der Führung liegt.
Natürlich braucht „In Aller Freundschaft“ nicht besonders grafisch zu sein, das war es auch nie, aber die Behandlungen in „alten Zeiten“ waren dann doch etwas genauer abgefilmt, wenn man sie mit dem heutigen Trockenmaterial vergleicht, das zu gut neunzig Prozent aus Ansichten der Ärzte besteht.
Wenn dann die Frage lautet: „Wo kommt das ganze Blut her?“ und absolut kein kurzer Blick auf eine, zumindest zahmere, Einstellung des Lebenssaftes gewährt wird, runzelt man gerne mal die Stirn.
Wie ich aber bemerkt habe, fällt das der Zielgruppe gar nicht mal allzu sehr auf.
Warum sollte es auch?
Immerhin sind die bekannten Helden ja am Start und das ist es, was wirklich zählt: die Figuren helfen sehen.
Ein großes Lob soll auch an Spezialfolgen gerichtet sein, für die sich das Team hinter der Kamera und am Skript stets etwas einfallen lässt.
Die berühmte Serien-Karte der „Muscial Folge“ hat man beispielsweise zum letzten Weihnachtsfest gezogen.
Die Patientin, eine Sängerin, wurde am Gehirn operiert und sollte singen, damit die Ärzte feststellen können, ob es ihr gut geht, was tatsächlich eine gängige Methode ist.
Die Sängerin stimmte ein Weihnachtslied an und in kürzester Zeit gesellten sich alle umstehenden Ärzte zu dem Gesang.
Ich war schon etwas besorgt, dass meine Eltern vielleicht gern noch mehr von ihren Stars singen hören wollten, aber die Sorge verpuffte vor dem Abspann, als die Geschichte der Folge längst zu Ende war: das gesamte Kollegium trat in einer beeindruckend gefilmten und stark choreographierten Nummer auf, die der Produktion so, besonders in Corona-Zeiten, erst einmal nachgemacht werden soll.
Im „Making Of“ erfährt man auch, dass besagte Sequenz tatsächlich nur mit marginalen Schnitten auskam und Kamerafahrten zur Umsetzung minimalistisch geplant wurden.
Wo wir gerade bei „gängigen Methoden“ sind: natürlich hat sich „IaF“ als Unterhaltungssendung damit nicht immer allzu genau.
Fast jeder Arzt kann alle Tätigkeiten ausführen und wenn nicht, dann ist das storyrelevant.
Einerseits könnte man das der Serie ankreiden, andererseits erkenne ich, dass es sehr viel schwieriger wäre, die Serie und ihre Plots zu organisieren, wenn man haargenau auf die tatsächlichen Aufgaben der Figuren achten würde.
Immerhin werden die beteiligten Schauspieler immer nur gruppenweise vorgeführt, selten ist der gesamte Stab auf dem Feld, um einen Patienten zu behandeln.
Zu „In Aller Freundschaft“ wurden auch TV-Filme gedreht, die dann noch einmal etwas spannender ausfallen, als übliche Serien-Ausstrahlungen und sich oft auf wenige der bekannten Ärzte in kritischen Außeneinsätzen beschränken.
„Zwei Herzen“ (2019) führt Roland dabei sogar nach Bangkok.
Zusätzlich verkraften die Drehbücher den zwangsläufigen Verlust wichtiger Figuren.
Hendrikje Fitz musste 2016 ja leider wegen einer Krebserkrankung von uns gehen und mit ihr die Figur von Rolands Ehefrau Pia.
Daraufhin folgte eine angemessen lange Trauerzeit und der langsame Aufbau einer neuen Beziehung für den Witwer.
Damit ist „In Aller Freunschaft“ eine sehr ruhige, geerdete Fernsehserie zum Ausklingen des Dienstag-Abend. Ein paar Macken, wie die immergleichen Muster von Patientengeschichte, Falldarstellung und zahnloser Operationen werden durch das sympathische Rundum-Ambiente gelungen ausgeglichen.
Wer sich für die Musik interessiert: ruhige, melancholische Klänge. Der Titelsong "Love Is Enough" stammt von der Künstlerin Brigitte Kobel alias "Kisha".
Das Spin-Off "Die jungen Ärzte" (2015) habe ich für eine Beurteilung zu wenig gesehen. Der Ersteindruck von zwei Folgen lässt jedoch den Charme seines Originals vermissen.
8/10