NOBODY
Eigentlich wollte ich meine Review-Reihe mit Psycho IV fortsetzen, doch stattdessen möchte ich mit Nobody fortfahren, der (unterbrochen von der Wiederaufführung von Zombie Ende Oktober 2020, kurz vor dem zweiten Lockdown) meine persönliche Rückkehr zum Kino markiert...die gesunkene Inzidenzzahl macht es möglich, dass das Kino ohne negativen Test und Kontaktformular betreten werden konnte, und am Platz durfte man die Maske abnehmen. Alles fast so wie vor der Pandemie, was allerdings nicht nur Gutes verheißt. Denn der Besuch des Films Conjuring 3 am darauffolgenden Tag zeigte, dass sich seit Cornoa leider nichts geändert hat ... aufblitzende Handys, sich lautstark unterhaltende Leute und sich asozial aufführende Baseballkappen/Jogginghosen-Asis beeinträchtigten den Filmgenuss dann schon etwas, so das einem die heimischen Filmabende während des Lockdowns gar nicht mehr so schlimm vorkamen. Aber hier soll es um Nobody gehen, der in einem kleineren Saal gezeigt wurde und bei dem sich das Publikum korrekt verhielt.
Mit Hardcore (2015) lieferte Musikvideoregisseur Ilja Naischuller ein Regiedebut, das aufgrund seiner Eigenwilligkeit nicht jedem gefiel, aber dennoch Eindruck hinterließ. Nach diesem Einstand mussten sechs Jahre bis zu seinem nächsten abendfüllenden Spielfilm vergehen. Die Ankündigung, dass sein nächster Film Nobody, ebenfalls ein Actionstreifen, von John Wick- Autor Derek Kolstad geschrieben wurde und Breaking Bad / Better Call Saul-Star Bob Odenkirk, der nicht gerade als Actionstar bekannt ist, in der Hauptrolle zeigen sollte, sorgte nicht überall für Begeisterung. Als der erste Trailer erschien, gab es Foren, in denen die inhaltliche Nähe des Films zu John Wick ebenso bemängelt wurde wie all die Fehler des modernen Actionfilms, die der Trailer angeblich in sich vereine und so manchen Genrefan zurück zu ihrer 70er – 90er-Jahre-Actionklassiker-Sammlung trieb.
Bevor wir zu den oben genannten Kritikpunkten kommen, sehen wir uns den Nobody-Plot an. Hutch Mansell (Bob Odenkirk) ist der titelgebende Nobody, der ein schmerzhaft routiniertes Leben als Familienvater führt, und tagtäglich dem gleichen öden Bürojob nachgeht. Dieses Leben weist allerdings Risse auf – das Feuer der Leidenschaft zwischen ihm und seiner Frau scheint erloschen und nach einem Einbruch, den er hätte vereiteln können, ist Mansell noch tiefer in der Achtung seines Sohnes gesunken als ohnehin schon. Als er bemerkt, dass die Einbrecher das Katzenarmband seiner kleinen Tochter haben mitgehen lassen, reißt Hutch Mansell jedoch der Geduldsfaden …
Zugegeben, Nobody weist einige Parallelen zu den John Wick-Teilen auf; in beiden Filmen wird ein „Ruheständler“ durch einen brutalen Eingriff in sein Privatleben dazu gezwungen, aus dem Schatten zu treten und – ausgestattet mit „speziellen“ Fähigkeiten und jeder Menge Schusswaffen – für klare Verhältnisse zu sorgen. Und wieder einmal sind es russische Gangster, mit denen sich unser Durchschnittsbürger herumschlagen muss, was in der Tat langsam wirklich langweilig wird, da es – neben mexikanischen Drogenkartellen – irgendwie kaum noch andere Gegner zu geben scheint, die ein Actionheld konfrontieren kann. Damit hören die Ähnlichkeiten im Grunde aber auch schon auf, da Nobody (zumindest noch) nicht mit einem – je nach Standpunkt – erweiterten, bzw. aufgeblasenen Universum aufwartet, in dem jeder dritte Spaziergänger ein Auftragskiller ist und der Boss aller Bosse in der Wüste hockt. Nobody präsentiert sich – trotz der nach und nach enthüllten Hintergründe bezüglich der Hauptfigur – deutlich geerdeter als das Franchise um Keanu Reeves. So residiert Hutch Mansell (im Gegensatz zu seinem Profikiller-Kollegen) nicht finanziell abgesichert in einer luxuriösen Villa, sondern in einem ganz normalen Haus und muss einem stinknormalen Job nachgehen...und sich nebenbei Sticheleien von seinem Schwager, einem Nachbarn und einem Polizisten gefallen lassen. Damit bietet Hutch Mansell deutlich mehr Möglichkeit zur Identifikation als die Fantasyfigur John Wick. Das liegt vor allem daran, dass Mansell mit Bob Odenkirk von einem wirklich guten Schauspieler gespielt wird, der seiner Figur ein menschliches Antlitz und die nötige Tiefe verleiht. Denn für die Rolle des Nobody braucht es doch ein wenig mehr schauspielerisches Können als für die Verkörperung eines John Wick, weshalb Odenkirk eine treffende Wahl für die Hauptrolle ist. Und auch die Befürchtung, der beinahe sechzigjährige TV-Star könne die Actionszenen des Films nicht glaubhaft bewältigen, erweisen sich mit zunehmender Spieldauer als unbegründet. Zum einen wirkt Odenkirk – im Vergleich zu seiner Paraderolle des Saul Goodman – hagerer und vor allem trainierter. Hinzu kommt, dass die Macher des Streifens das Alter ihres Hauptdarstellers berücksichtigt haben. Im Gegensatz zu John Wick, der routiniert Dutzende von Bösewichten kampfunfähig und kalt macht, muss Mansell – in der Busschlägerei – mindestens genauso viel einstecken wie er austeilt, auch wenn er aufgrund seiner Ausbildung seinen Kontrahenten deutlich überlegen sein sollte - aber der Nobody ist eben kein Supermann, und später verlässt er sich eher auf List, Tücke und Schusswaffen … und ohne a little help from his friends geht’s auch nicht. Von daher gibt es schon deutliche Unterschiede zu John Wick, so dass Nobody nicht als reine Kopie durchfällt.
Wie sieht´s mit der Action des Films, dem zweiten Kritikpunkt des Films aus? Gleich vorweg: Nobody wurde wie ein Actionfilm der 2010/2020er-Jahre inszeniert und nicht wie einer aus den goldenen Achtzigerjahren und wer z.B. im Einsatz von CGI oder der Nutzung bestimmter Kamerafahrten, bzw. Bewegungsabläufe einen unverzeihlichen Verstoß gegen das Reinheitsgebot des Actionfilms sieht, der sollte Nobody meiden wie der Teufel das Weihwasser und stattdessen lieber die nächste Sichtung eines anerkannten Klassikers á la Phantom Kommando (1985), Stirb Langsam (1988) oder Alarmstufe: Rot (1992) in Betracht ziehen. Alle anderen sollten dem Film jedoch eine Chance geben, da er zwar keine neuen Maßstäbe setzt und auch nicht als Klassiker in die Geschichte des Genres eingehen wird, aber weitaus weniger Mängel aufweist, als so mancher Actionfan aufgrund der Sichtung eines Trailers befürchten muss. Die Busschlägerei beispielsweise weist zwar eine dynamische Kameraführung auf, ist aber weit entfernt von den Shakycam-Exzessen anderer zeitgenössischer Actionfilme, und man kann durchaus nachvollziehen, wer da gerade wem die Nase bricht. Das Ganze ist zudem nicht so stylish inszeniert wie in den John Wick-Streifen, so dass Fans bodenständigerer Kost hier durchaus auf ihre Kosten kommen. Und auch die sich anschließenden weiteren Gefechte, die hauptsächlich mit Schusswaffen ausgefochten werden, können ebenso begeistern wie der Showdown, der keinen Grund für heruntergezogene Mundwinkel bietet. Abgerundet wird das Ganze durch eine Messerspitze Humor und Absurdität, ohne dass Nobody in platten Schenkelklopfer-Klamauk abdriftet. Und ganz wichtig: Nobody ist keineswegs harmlos und bietet einige saftige Gewaltspitzen und reichlich Blut – auf ein kassenträchtiges PG-13 hat man bei der Produktion jedenfalls nicht geschielt.
Aber Nobody ist nicht nur eine Bob Odenkirk-One-Man-Show. Auch die Nebenrollen sind – u.a. mit Connie Nielsen (Im Auftrag Des Teufels, 1997) als Mansells Frau Rebecca oder RZA (The Man With The Iron Fists, 2012) als Scharfschütze – passend besetzt. Mit Alexei Serebrjakow (Space Dogs, 2019) hat man zudem einen angemessen skrupellosen Schurkendarsteller gewählt – dass er in seinem eigenen Club gern mal zum Gesangsmikro greift, sollte niemanden dazu verleiten, ihn zu unterschätzen. Der heimliche Star des Films ist jedoch Christopher Lloyd (Zurück In Die Zukunft 1-3, 1985-1990) in seiner Nebenrolle, die zwar zeitlich ein wenig knapp bemessen, aber dafür unvergesslich ist und einen weiteren Pluspunkt des Films darstellt.
Nobody hat – wie bereits erwähnt – nicht das Zeug zum Genreklassiker und nicht wenige Kino- bzw. Actionfans werden ihn sicherlich als John Wick-Abklatsch abtun, möglicherweise sogar nur aufgrund der Trailer und der Berichterstattung im Vorfeld der Veröffentlichung. Wer sich den Film dennoch ansieht, bekommt einen überdurchschnittlichen, enorm unterhaltsamen Actionstreifen mit einem glänzenden Bob Odenkirk, einem hervorragenden Christopher Lloyd und so manch ordentlich aufspielendem Nebendarsteller zu sehen.
8/10