SNIPER 2
Sniper – Der Scharfschütze (1993) war mit einem weltweiten Einspielergebnis von knapp 19 Millionen Dollar sicherlich kein Blockbuster, aber in der B-Actionfilm-Fangemeinde genießt der Streifen, der auf dieser Seite von zwei positiven Reviews gewürdigt wird, durchaus einen gewissen Ruf,weshalb man neun Jahre später auf die Idee kam, einen zweiten Teil zu produzieren...allerdings nicht für´s Kino, sondern für den Videomarkt. Und in der Tradition ehemaliger Kino-Actionhelden wie Jean-Claude Van Damme (Timecop, 1994), Dolph Lundgren (Universal Soldier, 1992) und Steven Seagal (Alarmstufe: Rot, 1992) drehte man nicht mit einem üppigen Budget in den USA, sondern begab sich nach Osteuropa, genauer gesagt nach Ungarn, wo Sniper 2 mit einem Etat von fünf Millionen Dollar entstand. Mit Tom Berenger war der Hauptdarsteller des Originals wieder mit an Bord, während mit Bokeem Woodbine (Ray, 2004), Erika Maroszán (Ein Sommer In Ungarn, 2013) und Can Togay (Malina, 1990) neue Gesichter hinzukamen. Die inszenatorischen Strippen zog Craig R. Baxley, der mit Action Jackson (1988), Dark Angel (1990) und Stone Cold – Kalt Wie Stein (1991) ein veritables B-Actionknaller-Trio in seiner Vita hat.
Tom Beckett (Tom Berenger) ist nicht mehr als Scharfschütze tätig, sondern leitet stattdessen Jagdausflüge für ungeschickte Schnösel, die am Wochenende mal auf Tiere schießen wollen. Doch bald klopft die CIA bei Beckett an und beauftragt ihn mit der Tötung eines Generals, der für Kriegsverbrechen im Kosovo verantwortlich sein soll. Damit das Attentat gelingt, bekommt er einen neuen Partner, den zum Tode verurteilten Sniper John Cole (Bokeem Woodbine), der allerdings andere Pläne hat als Beckett …
Wenn ein für´s Kino konzipierter Film verspätet für den Heimkinomarkt fortgesetzt wird, und die Dreharbeiten auch noch in Osteuropa stattfinden, klingeln bei vielen Filmfans die Alarmglocken. Oft werden in diesem Zusammenhang ein sogenannter „Ostblock-Look“ sowie die oft mageren Budgets kritisiert, die nicht den finanziellen Spielraum für wirklich spektakuläre Action, glaubhafte Effekte oder gar ein vernünftiges Drehbuch lassen. Und wenn man sich die in Osteuropa gedrehten und produzierten Filme des oben genannten Actionfilmtriumvirats ansieht, wird man feststellen, dass die genannten Kritikpunkte nicht ganz von der Hand zu weisen sind. Doch treffen diese auch auf Sniper 2 zu?
Nun, man sieht Sniper 2 schon an, dass er finanziell gesehen zwei Preisklassen unter dem Original spielt und wer hier Actionszenen erwartet, die völlig neue Maßstäbe setzen wie etwa in Stirb Langsam (1988) oder Terminator 2 – Tag Der Abrechnung (1991), der wird bitter enttäuscht...man sollte sich schon bewusst sein, dass Sniper 2 keine Big Budget-Kinoproduktion ist, die auf drei verschiedenen Kontinenten entstand, sondern ein mit einem einstelligen Millionenbudget inszenierter Direct-to-Video-Actionstreifen. Akzeptiert man diese Prämisse, kann man – vorausgesetzt man interessiert sich auch für Actionfilme abseits der Hollywood-A-Klasse – durchaus seinen Spaß an Sniper 2 haben.
Ein Qualitätsmerkmal der Sniper-Fortsetzung ist Tom Berengers darstellerische Leistung. Berenger, der immerhin eindrucksvolle Rollen in hochkarätigen Filmen wie Platoon (1986), Mörderischer Vorsprung (1988) und Training Day (2001) gespielt hatte, muss für die Rolle des (Ex-)Scharfschützen nicht die schauspielerische Leistung eines Wiener Burgtheater-Schauspielers abrufen und auch kein Mitglied der Royal Shakespeare Company sein, sondern „nur“ mit grimmigem Charisma und den Fertigkeiten eines Scharfschützen überzeugen, die – zumindest im Film – nicht die körperlichen Fertigkeiten eines durchtrainierten Martial Arts-Kämpfers verlangen. Erfreulicherweise hat man Berengers Alter (Der gute Mann war anno 2002, als der Film entstand, immerhin schon 53 Jahre jung…) und seine Verletzung aus dem ersten Teil mit einfließen lassen, so dass nicht nur Kontinuität gewahrt wird, sondern auch geklärt wird, warum Beckett nicht durch Ungarn walzt wie der junge Van Damme oder der 96 Hours-Liam Neeson. Wie auch immer – Tom Berenger überzeugt als Sniper Tom Beckett und sorgt dafür, dass Sniper 2 nicht abstürzt.
Mit Bokeem Woodbine hat man Berenger keinen schlechten Partner zur Seite gestellt; er und Beckett bilden ein durchaus dynamisches Duo, ohne dass Sniper 2 weniger unterhaltsam wäre – dass das Ende des Films nicht gerade kalt lässt, bzw. kalt lassen sollte, spricht für die Kombination Berenger/Woodbine. Der Rest der Besetzung agiert eher zweckmäßig, macht seinen Job, ohne wirklich hervorzuragen … Sniper 2 gehört Tom Berenger und Bokeem Woodbine.
Auch was Plot und Action angeht, schneidet Sniper 2 nicht schlecht ab. Aufgrund der bereits erwähnten B-Film-Prämisse sollte man aber kein wirklich fintenreiches Drehbuch mit ausgefeilten Dialogen erwarten, aber trotzdem ist die Story des zweiten Sniper-Streifens kurzweilig genug, um den geneigten Fan bei Laune und den Finger von der Vorspultaste fern zu halten. So erweist es sich z.B. als gar nicht mal unkluger Schachzug, Beckett in eine andere Art von Dschungel zu schicken anstatt stumpf das Thema des Vorgängers zu kopieren. Und auch die Action ist ordentlich und gut über den Film verteilt. Zwischen der ersten Konfrontation, bei der eine Straßenbahn (!) miteinbezogen wird, bis zum Showdown gibt es immer wieder Actioneinlagen, die von Craig R. Baxley solide inszeniert wurden. Zwar verzichtet dessen Inszenierung auf ein Markenzeichen des Originals – das Verfolgen einer abgefeuerten Kugel bis zum Eintreffen ins Ziel - , aber trotzdem hat der Dark Angel-Regisseur ordentliche Arbeit geleistet.
Es mag (auch) an den geringen Erwartungen liegen, die ich an Sniper 2 geknüpft habe, aber unterm Strich war ich doch ein wenig positiv überrascht. Das Sequel ist kein Meisterwerk und kommt auch nicht an das Original heran, aber trotzdem hat mich der Film dank der Leistungen der beiden Hauptdarsteller und seiner Action gut unterhalten, weshalb ich wohlwollend über manche budgetbedingte Schwäche hinwegsehe und mich mit der Tatsache angefreundet, bzw. abgefunden habe, dass der Streifen keinen Originalitätspreis gewinnt. Das Publikum jedenfalls schien den Film positiv genug aufgenommen zu haben, denn bis heute folgten sechs (!) weitere Fortsetzungen mit und ohne Tom Berenger, so dass hier ein echtes DtV-Actionfranchise entstanden ist.
6-7/10
7/10