Das wohl werbewirksamste Glück was einem Film passieren kann ist nicht etwa ein vorteilhaft zusammengeschnittener Trailer, sondern eher die berühmt berüchtigte Mundpropaganda, die in etwa so klingt: "Hast du den neuen Streifen von "schlagmichtot" gesehen, der soll ja wirklich gut, brutal, spannend was auch immer sein!" Werden diese Aussagen dann noch von möglichst viel gleichlautenden, euphorischen Fan- und Presse Kritiken bestätigt und kommt obendrein noch eine Beschlagnahme wegen der angeblich ach so krassen Gewalt dazu, ist bei Horrorfilmen ziemlich schnell ein Geheimtipp entstanden, den alle Leute sehen wollen und sei es auch nur darum, um mitreden zu können. Gleiches geschah bei mir mit dem hier besprochenen The Orphan Killer (2011), einem angeblich extremen Independent Slasher, der mir durch Empfehlungen und durch die lesenswerte Kritik von Schnittberichte Kollege Jichi schmackhaft gemacht wurde. Nach nun erfolgter Sichtung kann ich bestätigen, dass The Orpan Killer durchaus seinen Unterhaltungswert und auch seine Brutalitäten besitzt, einen Überflieger in jeglicher Hinsicht konnte ich jedoch nicht ausmachen, da nicht jede konzeptionelle Entscheidung überzeugt und der insgesamt ordentliche Film für mich an ein paar spürbaren, aber nicht gravierenden Kritikpunkten krankt.
Der für Amateur Verhältnisse optisch wertig wirkende Streifen wurde von Matt Farnthworth inszeniert und geschrieben. Um den Bekanntheitsgrad zu erhöhen, veröffentlichten die Verantwortlichen eine limitierte Testversion über Facebook vor dem eigentlichen Release. Seine Weltpremiere feierte The Orphan Killer auf dem Sidges Film Festival. Bei einer weiteren Aufführung auf dem 30. Festival de Cine de Terror de Molins de Rei wurde er als bester Film ausgezeichnet. Die Handlung ist relativ simpel: Die zweijährige Audrey und der sechsjährige Marcus Miller müssen mit ansehen, wie ihre Eltern brutal ermordet werden. Da beide Kinder ohne Eltern und ohne Angehörige sind, werden sie in ein kirchliches Waisenhaus gesteckt. Doch während für die kleine Audrey sich schnell eine Adoptivfamilie findet, muss Marcus im Waisenhaus bleiben. Das schwere Kindheitstrauma sowie die körperliche und die psychische Gewalt, die Marcus von der Heimleitung erfahren muss, als er selbst ein Kind mit einem Baseballschläger brutal zusammenschlägt, lassen ihn abstumpfen und zu einer unkontrollierbaren Mordmaschine werden. Nach jahrelangen Demütigungen gelingt es dem mittlerweile erwachsenen, maskierten Marcus (David Backhaus) auszubrechen, der nun Rache verüben will an seiner Schwester (Diana Foster) und allen, die ihm seine Kindheit versaut haben...
Unverkennbar sind die offensichtlichen Inspirationsquellen, bei welchen sich The Orphan Killer bedient und das Ergebnis, vor allem in den ersten 60 Filmminuten, kann sich eigentlich sehen lassen: Auf den Pfaden von klassischen Genre Größen wie Jason Vorhees oder Michael Myers wird zwischen Gegenwart und Vergangenheit geswitcht, während die üblichen Indikatoren für Marcus seinen Werdegang als psychisch gestörter Serienkiller herhalten dürfen. Das grausame Ableben seiner Eltern und die Misshandlungen der eigentlichen Schutzbefohlenen erschaffen ein hasserfülltes Monster, dass alles, was sich ihm in den Weg stellt, egal ob Pfleger, Pfarrer oder Nonne, ohne mit der Wimper zu zucken blutigst aus dem Weg räumt. Beachtlich ist auch die Kaltblütigkeit und die Brachialität, mit welcher sich der junge und natürlich auch der ausgewachsene, meist maskierte Marcus, dessen Optik und dessen behäbige Gangart stark an den berühmten Mörder mit der Eishockeymaske erinnert, bodycountlastig durch das Waisenhaus mordet. Da durchbohrt er ein Gesicht mit einer Machete, trennt mit einem Messer das Haupt eines auf der Toilette sitzenden Mannes ab oder zetrampelt einfach den Kopf von einem am Boden liegenden Opfer, während die durchweg handgemachten blutigen Splatter Effekte für Verblüffung sorgen und die Kamera meist auf der Höhe des Geschehens bleibt. Leider wird The Orphan Killer durch die allgegenwärtige, suboptimale, unpassende musikalische Death-Metal Untermalung und durch teilweise comichafte Übertreibungen wie Köpfe hochhalten bzw. damit werfen ein wenig der Schrecken genommen. Manchmal hatte ich das Gefühl, in einem übergroßen Musikvideo gelandet zu sein.
Sadismus und Gewaltverherrlichung erfahren nochmals eine Steigerung, wenn die keinesfalls perfekten, aber dennoch unterhaltsamen Slasher Gefilde einem ca. 20 minütigen Torture Part weichen müssen, was meines Erachtens dem vormals temporeichen Reißer etwas den Wind aus den Segeln nimmt. Ich gebe zu, dass Folter Exzesse aka Hostel, welche nur auf das vordergründige und primitive Quälen von Menschen abzielen, nicht unbedingt meine favourisierte Unterhaltungsform darstellt, doch auch für Freunde dererlei Formate wird nicht viel neues geboten. Außer Marcus seinem niveauarmen Monolog, der sich in Selbstmitleid, Kirchenkritik und Schuldzuweisungen windet, gibt es neben minutenlangem Opfergejaule und einer zugegeben etwas graphischer geratenen Amputation keine nennenswerten Inhalte, ehe es zum kurzen, knackigen Showdown, der noch einen gelungenen, unerwarteten Twist im Petto hat, kommt. Wenn man schon auf den Folter Zug mit aufspringen möchte, sollte man zumindest für ein paar splattrige Hingucker mehr sorgen, mir persönlich war das dann doch etwas zu eindimensional.
Die Schauspieler machen ihre Sache für eine Low Budget Produktion nicht schlecht, auch wenn die billige deutsche Porno Synchro einen faden Beigeschmack hinterlässt, was vor allem in der etwas arg übersteuerten Stimme von Marcus und in einigen Nebendarsteller Äußerungen zum Tragen kommt. Abgesehen davon spielt David Backkaus seine Rolle als wandelnde Jason / Michael Myers Hommage lobenswert, die Bewegungsart seiner Vorbilder scheint er feinsäuberlich einstudiert zu haben. Diana Foster erfüllt alle Voraussetzungen einer Bilderbuch Scream Queen: Sie ist hübsch, sie ist blond, sie scheint nicht die Hellste zu sein und schreit das sich die Balken biegen. Aber sie bietet dem manifestierten Bösen, dass zu allem Überfluss auch noch ihr eigen Fleisch und Blut ist, einen über weite Strecken mitreißenden Kampf, was ihr hoch anzurechnen ist. Die weiteren Akteure, außer vielleicht der etwas auf der Brennsuppe dahergeschwommene Lebensgefährte von Audrey, erfüllen knallhart formuliert nur einen Zweck: Möglichst grausam ins Gras zu beißen und die Leichenanzahl in die Höhe zu treiben, was ihnen so gesehen auch zufriedenstellend gelingt.
Fazit: Insgesamt kurzweiliges, gefälliges, brutales, leicht überdurchschnittliches Schlachtfest, dass mit ein paar Feinjustierungen mehr ein richtiger Kracher am Slasherhimmel hätte werden können: Eine seriösere, atmosphärerische und mysteriösere Filmmusik, keine comichaften Übertreibungen und ein mit mehr Schauwerten versehener Torture Teil, der nicht diesen vorrübergehenden Unterhaltungsbruch verursacht, hätten The Orphan Killer nicht schlecht zu Gesicht gestanden. Ich bin jetzt niemand, der sich auf extremere Genrekost eingeschossen hat, aber wenn es dann doch mal etwas deftiger sein darf, dann bleibe ich bei Damien Leones Terrifier, der vom Gewalt Level ungefähr gleichauf mit The Orphan Killer ist, der aber auch ohne die genannten Mängel daherkommt. MovieStar Wertung: 6 von 10 Punkte.
6/10