Die "Blood Quantum Laws" sind teilweise heute noch geltende Gesetze in den USA, Kanada und einigen anderen ehemaligen Kolonien, die den prozentualen Anteil indigenen Blutes und den Stammbaum eines Menschen als Parameter nutzen, um seinen Stand in einer Gesellschaft bzw. einem Stamm festzulegen. Dieser Parameter wirkt sich nicht nur auf die potenzielle offizielle Aufnahme in den Stamm, z.B. bei den Navajo, aus, sondern auch inoffiziell und vor allem meist illegal auf viele verschiedene andere soziale Faktoren wie Kreditwürdigkeit, Reisefreiheit, Bildung, Karriere und Familiengründung. Diese recht unrühmliche Praxis, die einst von Siedlern und deren Autoritäten zu Eindämmung "indianischen Blutes" in ihren eigenen Gemeinden missbraucht wurde, gibt die Grundthematik des 2019 entstandenen kanadischen Zombiefilms "Blood Quantum" von Regisseur Jeff Barnaby vor, welcher sich zuvor bereits mit dem Kurzfilm "File under Miscellaneous" und seinem Spielfilmdebüt "Rhymes for young Ghouls" einen gewissen Ruf erarbeitet hat, auch mal unbequeme Missstände aufzuzeigen und kritische Töne anzuschlagen.
Quebec, Kanada 1981, der pensionierte Polizist Gisigu macht beim Fischen eine unheimliche Entdeckung: Die ausgeweideten Fische fangen plötzlich an, wieder zu zappeln, ein totgeglaubter Hund erwacht zu neuem Leben und ein Insasse in der Ausnüchterungszelle der örtlichen Polizeistation verfällt offensichtlich dem Wahnsinn und wird zur reißenden Bestie. Die Zombieapokalypse steht vor der Tür und für die Famile von Sherrif Traylor geht es plötzlich ums nackte Überleben…
Die Geschichte, ebenfalls von Barnaby geschrieben, spielt im fiktiven Red-Crow Reservat und der ebenfalls fiktiven kanadischen Kleinstadt Hollarbaster, die beide nur durch eine Brücke miteinander verbunden bzw. voneinander getrennt sind. Als reales Vorbild, sowohl für den Ort der Handlung als auch die Ereignisse an sich, diente Barnaby, der selbst dem Stamm der Mi'kmaq zugehörig ist, das Listuguj-Reservat, wo im Jahr 1981 die Behörden der Provinz Quebec mehrere kontroverse Razzien und Verhaftungen durchführten, da sie der Auffassung waren, die dort lebende indianische Bevölkerung würde den angrenzenden Städten die Fischfangrechte streitig machen wollen. All diesen Konflikten, dem offenen Rassismus und den sozialen Missständen eine Zombieapokalypse als Katalysator für die Story angedeihen zu lassen ist vielleicht übertrieben, aber mutig und konsequent umgesetzt. Im ersten Akt bekommt der Zuschauer einen guten Eindruck davon, wie sich die beiden Welten auf der jeweils anderen Seite des Flusses voneinander unterscheiden. Dabei werden möglichst wenige Klischees bemüht, was angenehm ist. Allerdings muss man auch sagen, dass sich die Einführung einiger Protagonisten im Gegensatz dazu ein wenig holprig anfühlt und die Intensität der Story auf wackeligen Beinen dastehen lässt, z.B. wenn man Zeuge wird, wie jemand auf die oberen Stahlträger der besagten Brücke klettert und von dort einer arglosen Omi auf die Windschutzscheibe kackt. Solche überbetont lockeren, teilweise comichaften Momente erlebt man im Verlauf der sonst eigentlich bodenständigen und kritischen Handlung immer wieder, was wahrscheinlich als Kontrast sonst auch ganz gut funktioniert, dem einen oder anderen aber auch sauer aufstoßen könnte. Nach der Einleitung, die gut ein Drittel des Films in Anspruch nimmt, kommt aber erst der eigentliche Coup, der "Blood Quantum“ so großartig macht. Der Konflikt zwischen dem Red-Crow Stamm, dessen Mitglieder aufgrund ihrer indigenen Blutlinie immun gegen das Zombievirus sind, und den Überlebenden der Stadt Hollarbaster, die Zuflucht im Reservat suchen wollen. Mehr sei dann aber auch nicht mehr vorweggenommen.
Bei den Darstellern dominieren selbstverständlich die Native Americans, was der Authentzität wegen nicht nur wichtig war, sondern auch grundsätzlich erfreut. Familienvater und Sherrif Traylor wird von Michael Greyeyes ("Walker – Texas Ranger", "Wild Indian", "Die Frau, die vorausgeht") gespielt, der u.a. schon einige Auftritte in Barnabys Filmen hatte. Joss Darstellerin Elle-Máijá Tailfeathers ("On the Farm", "Night Raiders") ist ebenfalls ein bekanntes Gesicht in der American Native and First Nations Actors Community. Neben den beiden sind Stonehorse Lone Goeman ("Shipwrecked") als beinahe schon comichafter Pensionist Gisigu, der sich auch mal im Alleingang durch Zombiehorden schlägt, Kiowa Gordon ("Twilight-Reihe", "Castle in the Ground") als Joseph und Olivia Scriven ("Giant Little Ones") als dessen Freundin Charlie zu sehen. Was hier leider negativ auffällt – wofür die Schauspieler nicht direkt zur Verantwortung gezogen werden sollten – sind die teilweise unbeholfenen und platten Dialoge, die ihnen das Drehbuch, besonders am Anfang, in den Mund legt. Da "Blood Quantum“ auf der einen Seite tatsächlich den Eindruck vermittelt, eine gute Balance zwischen zynischen, ernstzunehmenden Kommentaren zur Gesellschaftslage und Unterhaltsamen Zombiesplatter finden zu wollen, torpediert man mit der Zeichnung einiger Charaktere dieses Vorhaben auf der anderen Seite aber selbst. Ein wenig mehr Fingerspitzengefühl bei der Figurenführung wäre hier angebracht gewesen.
Inszenatorisch fahren Barnaby und Kameramann Michel St. Martin ("Rhymes for young Ghouls", "Exploding Sun") in "Blood Quantum" dann aber für das Genre ungewohnt schwere Geschütze auf. Es ist nicht gelogen, dass man beinahe jede zweite Einstellung einrahmen und an die Wand hängen könnte, verdammt gut. Von ausgedehnten Kamerafahrten durch die malerische kanadische Provinz, dem außergewöhnlichen Spiel mit Perspektiven, halsbrecherischen Flips, Weitwinkeleinstellungen und rauen, beinahe schon steril wirkenden Filtern ist alles dabei, was es braucht, den visuellen Part auf die nächste atmospherische Ebene zu heben. Auch die überwiegend praktischen und teils sehr expliziten Gore-Effekte lassen nichts zu wünschen übrig, teilweise eingesetztes CGI wirkt jedoch oft befremdlich und passt nicht wirklich zum schroffen und körnigen Look des Films, dessen verschiedene Akte durch wundervoll animierte Comicsequenzen passend eingeleitet werden. Für die stimmige musikalische Untermalung, überwiegend melancholisch und minimalistisch gehalten, sorgt hier Joe Barrucco ("Totem & Taboo", "Appiness"). Insgesamt bleibt zu sagen, dass "Blood Quantum" ein kleines audiovisuelles Meisterwerk ist, welches sich auch in diesen rein technischen Kategorien durchaus bei den Canadian Screen Awards sehen lassen konnte und die Mehrzahl an Auszeichnungen für sich gewann.
"Blood Quantum" feierte seine Premiere auf dem Toronto International Film Festival 2019, wo er im Wettbewerb vom Publikum auf den zweiten Platz gewählt wurde. 2020 sicherte sich dann der VOD-Anbieter Shudder die Streamingrechte für die USA, Kanada, Großbritannien und Irland, hierzulande kam man dann erst Anfang 2021 in den Genuss dieser Perle, ungeschnitten auf DVD, Blu-Ray und natürlich VOD.
Fazit:
Seit langer Zeit mal wieder ein harter Zombiefilm, der über den reinen Splatter hinaus die richtigen Akzente in Punkto Sozialkritik, moralischen Verfall und den Umgang mit Rassismus aus einer völlig neuen Perspektive zu setzen weiß, und dabei noch verdammt gut aussieht, ganz in der Tradition von George A. Romeros Klassikern. Leider gehen bei den Charakteren und dem recht polterigen Anfang ein paar Punkte flöten. Übrig bleibt dennoch ein überdurchschnittliches und äußerst sehenswertes Werk, das ein wenig mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, als ihm bisher zuteil wurde.
7,5/10 Punkte!
7/10