Die Geschichte des Okkultismus, mit all seinen bizarren Ritualen, Lebensweisen und Weltanschauungen und die Prägung des Begriffes geht bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück, während die eigentlichen Wurzeln noch viel weiter in der Vergangenheit liegen dürften. Seitdem füllt das Thema Bücher, inspiriert das Theater, Künstler und flimmert über die Leinwände dieser Welt, dabei ist Okkultismus selbst nicht zwingend per se unter religiös geprägten Formen von Magie und abseitigem Lebenswandel einzuordnen, vielmehr handelt es sich um einen Sammelbegriff für die Abkehr von der Vernunft, gesellschaftlicher Unabhängigkeit, Rückbesinnung auf Spiritualität, verschiedensten Praktiken aus Bereichen der Esoterik, des Paranormalen, Übersinnlichen und Mystischen, völlig unabhängig von Rahmenbedingungen wie etwa dem christlichen Glauben und der Polarität zwischen Gott und Teufel, Himmel und Hölle, Gut und Böse. Über die Jahrzehnte hinweg entstanden Kulte, Sekten und ganze Orden mit ihrer völlig eigenen Lebenseinstellung, die häufig kontrovers diskutiert und auch heute noch am Rande der Gesellschaft abgeladen und stigmatisiert werden. Genau das richtige Ausgangsmaterial für "A Dark Song", das Langfilmdebüt des irischen Regisseurs Liam Gavin, der bereits mit seinen philosophischen Kurzfilmen "Sunshower" und "Jericho" im Jahre 2009 die Abgründe der Seele, zwischenmenschliche Beziehungen und die Fragilität von Moral und Vernunft beleuchtet hat.
Um mit ihrem toten Sohn im Jenseits Kontakt aufnehmen zu können, mietet die gebrochene und traunerde Sophia ein abgelegenes Haus in Wales und engagiert den Okkultisten Joseph Solomon für die Durchführung eines Rituals aus dem Buch Abramelin, das Buch der wahren göttlichen Magie. Schon bald sind sie nicht mehr allein im Haus und ein harscher Überlebenskampf, konfrontiert mit den eigenen Dämonen und Geistern der Vergangenheit, nimmt seinen Lauf, als sich die beiden Isolierten gegeneinander wenden...
Grundlage für das Drehbuch, von Gavin selbst verfasst, bietet ein Ritual aus dem "Buch von Abraham von Worms", ein fester Bestandteil des Okkultismus, auf welches auch Persönlichkeiten wie Aleister Crowley oder Samuel Liddell MacGregor Mathers – Mitbegründer des "Order of the Golden Dawn" – für ihre Lehren zurückgriffen. Dieses soll nun von den Protagonisten über mehrere Monate genutzt werden, um Kontakt zu anderen Ebenen der Existenz aufzunehmen um sich so die Gunst von Dämonen und Engeln für ihre eigenen Zwecke zu sichern. Dabei entspinnt sich ein Netz aus Lügen, Misstrauen und psychischer wie auch physischer Gewalt auf engstem Raum, was von Anfang an zu fesseln vermag und den Zuschauer mit in die dunkelsten Abgründe des menschlichen Seins reißt. Die Grenzen, an die Sophia und Joseph dabei stoßen, die Grenzen, die sie überschreiten und die schweren Konsequenzen ihres Tuns sind somit das zentrale Element der Handlung, stets mit Metaphern und Emotionen aufgeladen, die das Gezeigte recht unbequem machen. Die Beschwörung selbst wird, abseits der folgenschweren Durchführung, von den Figuren auf unterschiedliche Weise interpretiert und reflektiert. Der psychologische Aspekt wird angerissen, Präsenzen, Dämonen und Geister eventuell als Produkt der Psyche, als höhere Form des eigenen Selbst eingeordnet, Rauschmittel als Katalysator oder sexuelle Handlungen als Katharsis zweckentfremdet, aber all das bleibt ziemlich vage, man wird quasi gezwungen, sich der Sogwirkung der Geschichte um Schuld, Einsamkeit und Verzweiflung zu ergeben, um am Ende zu erfahren, was Realität, Wahn oder Täuschung war, nur so funktioniert "A Dark Song" auf jeder Ebene und das sehr spannend wie auch eindrucksvoll. Einzig zu bemängeln wäre das etwas aus dem Ruder geratene, poltrige Ende, welchem etwas bedachtere Töne, passend zum Rest des Werkes, besser zu Gesicht gestanden hätten.
Wie wichtig die Besetzung bei einem Kammerspiel dieser Art ist, muss an dieser Stelle sicher nicht erwähnt werden, denn damit steht und fällt der ganze Film. Zum Glück wartet "A Dark Song" mit zwei Hauptakteuren auf, die mit ihrer Leistung durchgehend überzeugen können und die Motive ihrer Figuren außergewöhnlich intensiv zur Geltung bringen. Steve Oram ("Das Blutrote Kleid", "The Kindred") spielt den zynischen, undurchsichtigen Okkultisten Joseph Solomon, der beinahe über die gesamte Laufzeit Fragen bezüglich seiner Authenzität, seinen wahren Absichten und seinem Glauben aufwirft und sein Gegenüber, sowie den Zuschauer, ständiger Ungewissheit und permanenten Misstrauen überlässt. Catherine Walker ("Cellar Door", "The Deceived - Das geheime Verbrechen") als Sophia Howard hat dem nur wenig entgegenzusetzen. Die Verzweiflung, mit der sie sich diesem unüblichen Ritual stellt, die Täuschung und die Fassade, die sie aufrecht erhält und die Qualen seitens Solomon, die sie über sich ergehen lassen muss, sind unmenschlich und atemberaubend, halten sie in ihrer Entschlossenheit aber nicht davon ab, ihr Ziel zu erreichen. Diese Art des Zusammenspiels zweier Individuen, die sich vorher nicht kannten und sich trotzdem auf diese Tour de Force einlassen, ihre Dynamik und ihre Verbindung zueinander macht "A Dark Song" letztendlich auch so unglaublich intensiv und greifbar.
Inszenatorisch bietet der Film mit Cathal Watters ("Dark Lies the Island", "VIVA") tollen Aufnahmen der walisischen Landschaft, dem von Verfall gezeichneten Anwesen und der fesselnden Bildsprache ansich einiges für das Auge. Die Symbolik, die detailreiche Ausstattung der einzelnen Räume zum Zwecke der Beschwörung mit einzelnen Zonen für bestimte Riten und auch das tolle Spiel mit Licht und Schatten sowie die Farbkomposition überzeugen auf ganzer Linie. Da stört es auch kaum, dass der eine oder andere CGI-Effekt bei seinem - ohnehin schon späten und spärlichen Einsatz - ziemlich durchschaubar und platt anmutet. Untermalt wird das Ganze von einem wirklich markerschütterden, teils deprimierend dissonanten und minimalistischen Score, für den Komponist Ray Harman ("The Farthest", "Cellar Door") überwiegend auf den pointierten und äußerst effektiven Einsatz von Cello und Kontrabass zurückgriff. Alles in allem also eine schmucke und ansprechende Sache, was die audiovisuellen Reize angeht, die dieses verstörenden und beklemmenden Werkes aussendet.
"A Dark Song" feierte seine Premiere am 08.07.2016 auf dem "Galway Film Fleadh" in Irland und lief über den Sommer auf weiteren Filmfestifals weltweit. Am 28.04.2017 bekam der Streifen dann einen limitierten Release in den USA, Großbritanien und Irland spendiert bevor er auf den VOD Plattformen landete. Erst im Herbst 2021 brachte das Label "Camera Obscura" "A Dark Song" zunächst im limitierten Mediabook auf Blu-Ray für die deutschen Interessenten heraus, etwa zeitgleich lief der Film in ausgewählten deutschen Kinos. Im Dezember folgte dann die reguläre Blu-Ray und DVD-Auswertung sowie die Veröffentlichung auf diversen Streamingplattformen.
Fazit:
Herausragendes philosophisches und kammerspielhaftes Horror-Drama mit tollen Darstellern und bestechender technischer Umsetzung, das noch lange nach dem Abspann nachwirkt. Liam Gavin liefert hier ein erstklassiges, beinahe makelloses Debüt ab, das definitiv auf keiner Liste der besten Okkultschocker des letzten Jahrzehnts fehlen sollte! Meisterhaft!
9/10 Punkte!
9/10