Nach 10 langen Jahren auf Schnittberichte.com habe ich doch tatsächlich mit meiner wirren Schreibselei über Monster, Psychopathen und Gespenster die 200 Reviews erreicht! Deswegen gibt es zu diesem Anlass - und weil ich mein eigenes Jubiläum verpennt habe - mal was ganz anderes als den üblichen öden, schnöden Kram über Gialli, Hitchcock, Film Noir, Exploitation, Horror, Slasher und Trasher der vergangenen 100 Jahre Kino, der sowieso alle langweilt! Ja, ich stelle hiermit erst- und einmalig ein Game vor, da ich nicht nur Filmaficionado, sondern auch leidenschaftlicher Gamer bin, hättet Ihr nicht gedacht, oder?
Die Geschichte des Survival-Horrors – obwohl der eigentliche Begriff erst Mitte der 90er geprägt wurde- in Form von Videospielen nahm schon recht früh mit dem Aufkommen erster Konsolen und Heimcomputern in den frühen 80er Jahren ihren Anfang. Im pixeligen, schrullig-nostalgischen 2D steuerte man seine Spielfigur 1982 auf dem Atari2600 durch "Haunted House" oder auf dem ZX81 durch das "Monster Maze 3D", alles noch auf Kassetten oder Disketten versteht sich, dann 1989 via Modul auf dem NES in "Sweet Home". Einige Jahre später, 1996, schlug dann "Resident Evil" auf der Playstation ein wie eine Bombe, seitdem kämpfen Franchises wie "Silent Hill", "F.E.A.R.", "Alone in the Dark", "Dead Space" oder auch einzelne Ableger mit Multiplayerfunktion wie "The Forest", "Dead by Daylight" oder "Left 4 Dead", bei denen man sich gemeinsam in die Hose kacken konnte, um den Thron der Gruselspiele. Auch in der Popkultur machte sich der virtuelle Schrecken breit, Slenderman lässt grüßen, und ebenso die Filmbranche sieg schnell in das lukrative Geschäft mit ein. "Stay Alive", "Slenderman", "Brainscan" oder jüngst "Choose or Die" themasierten die unschönen Seiten des Gamings, andersherum hielten Titel wie "Freitag der 13." oder "Evil Dead – The Game" Einzug auf den PCs und Konsolen der aktuellen Zockergeneration. Der große Vorteil bei Spielen ist natürlich die kreative Freiheit, Geschichten erzählen zu können, ohne sich den Beschränkungen eines Spielfilms unterwerfen zu müssen, allem voran der Zeitfaktor. Genau nach diesem Prinzip hat der britische Videospieleentwickler Supermassive Games 2015 mit "Until Dawn" und später mit "The Dark Pictures Anthology" quasi spielbare Horrorfilme mit interaktiven Elementen und nahezu unbegrenzten Möglichkeiten innerhalb der Rahmenhandlung geschaffen. Der neuste Streich der Entwickler hört auf den Namen "The Quarry", ein Survival-Horror-Game angelehnt an das Slasherkino der 1980er Jahre…
Laura und Max werden auf einer nächtlichen Fahrt durch das Hinterland eines nordamerikanischen Nationalparks in einen Unfall verwickelt. Nach einer unheimlichen Begegnung im Wald kommt ihnen der zwielichtige County Sherriff Travis zur Hilfe und schickt sie in ein Motel. Unwillig dort abzusteigen und entschlossen, ihren Plan durchzuziehen machen sich die beiden jedoch direkt auf den Weg ins Sommercamp Hackett’s Quarry, wo sie eine böse Überraschung erleben… 2 Monate nach dem Verschwinden von Laura und Max haben sich weitere junge Campaufseher dort eingefunden und veranstalten an ihrem letzten Abend, entgegen der Warnungen der Grundstückseigentümer, ein Lagerfeuer am See, wo sie von einer werwolfähnlichen Kreatur angegriffen werden, ein Überlebenskampf in den tiefen Wäldern beginnt…
Bei der Story dürfte für Autor Graham Reznick ("Until Dawn", "The Dark Pictures Antology", "X") und seinem Kollegen Alex Fahrman ("Die Beileight Saga – Bis(s) einer heult") die Reproduktion der 80er Jahre Atmosphäre eines "Freitg der 13.", "Sleepaway Camp" oder "The Burning" ganz oben auf der Agenda gestanden haben, denn obwohl die Handlung im Jahr 2021 angesiedelt ist, gestaltet sich der pure Nostalgiefaktor des entvölkerten Sommercamps, welches scheinbar nur von durchtriebenen Aufsehern im jungen Erwachsenenalter frequentiert wird, als sehr angenehm. Man sieht kaum Smartphones oder ähnlichen technologischen Scheiß, der nur vom Feiern, Vögeln, Flüchten und Sterben ablenkt, was ziemlich cool ist. Nun, da die Rahmenbedingungen stehen, wird die Story noch mit unverkennbaren Einschlägen aus "The Texas Chainsaw Massacre" – die Familie hier könnte statt Hackett ebenso Sawyer oder Hewitt heißen – "The Hills have Eyes", "Das Ding aus einer anderen Welt", "The Howling" und "Tanz der Teufel" gewürzt und abgeschmeckt. Grandios!
Die Figuren sind nicht besonders ausgefeilt oder besonders komplex, aber trotzem sympathisch inszeniert. Jeder, der schon einmal einen "Freitag der 13." gesehen hat, weiß wie der Hase läuft. Das Konzept des Bodycounts únter sexuell aktiven, uneinsichtigen Teens, die sich nicht an Regeln halten, Drogen nehmen, nackt baden und dafür geschlitzt werden ist hier Programm, gut so! Auch wenn man als Spieler in verschiedene Rollen schlüpft - die man hier aus der Third Person Ansicht sowie via Quick Time Events (kurz QTES) steuert - und diese einem dann eher ans Herz wachsen als das Kanonenfutter im Camp Crystal Lake, liegt es in der Natur der Sache, dass ein Horrorspiel seine Opfer fordert. Abhängig davon, welche Entscheidungen der Spieler trifft, können das alle sein, oder keiner. Ja, es ist möglich, dass alle Figuren die schicksalhafte Nacht überleben! Dieses Ziel vor Augen spendiert jeder wiederholte Durchlauf 2 sogenannte "Death-Rewinds", mit denen man ausgewählte Figuren vor ihrem unrühmlichen Schicksal bewahren kann. Sämtliche Protagonisten wurden für "The Quarry" via Motion-Capturing von echten Schauspielerinnen und Schauspielern verkörpert. Unter den Teens sind da mit Siobhan Williams ("Forsaken", "The Motive") als Laura, Skyler Gisondo ("Rob Zombies Halloween", "The Amazing Spiderman I & II") als Max, Brenda Song ("First Kiss", "Secret Obsession") als Kaitlyn, Evan Evagora ("Star Trek: Picard") als Nick oder Justice Smith ("Jurassic World: Fallen Kingdom") als Ryan einige unverbrauchte Gesichter und talentierte junge Schauspieler dabei. Und auch routinierte Horror-Veteranen wie Lance Henriksen ("Aliens", "Pumkinhead") als Jedediah Hackett, David Arquette ("Scream", "Arac Attack!") als Chris Hackett, Ted Raimi ("Tanz der Teufel 2") als Travis und Grace Zabriskie ("Planet des Schreckens", "Chucky 2") als Eliza sind mit von der Partie. Ein bisschen komisch fallen manchmal die Animationen aus, wenn z.B. Körperteile durch den Boden glitchen oder sich unmenschlich verdrehen, aber gut… In der Spielebranche haben selbst Triple-A-Titel mit sowas zu kämpfen. Das schmälert jedoch nicht die qualitativen Leistungen der Darsteller!
"The Quarry" setzt im Punkto Grusel, anders noch als "Until Dawn", nicht auf poltrige und zuweilen billige Jumpscares, sondern reizt mit subtilem Horror, geisterhaften Schatten zwischen den Bäumen und unheimlichen Flüstern oder entfernten Schreinen im Wind und einem straffen Spannungsbogen. Hier wird die unheimliche Story und das tolle Campsetting zum Katalysator für den Horror, ein Gefühl des Unbehagens und der ständigen Beobachtung, das den Spieler beschleicht, Silhouetten, die vor der Kamera oder hinter dem Rücken der Protagonisten vorbeihuschen bestimmen hier die Atmosphäre, was grundsätzlich gefällt. Ebenso der extrem hohe Gewaltgrad, vorausgesetzt man trifft die "richtigen" Entscheidungen im Spielverlauf, weiß zu begeistern. Einige der Todesszenen sind so heftig, dass sie selbst in modernen Horrorfilmen vermutlich nicht unangetastet, zumindest hierzulande bei der FSK, durchkommen würden. Köpfe werden abgetrennt, Eingeweide herausgerissen und Unterkiefer weggeschossen, dass es eine wahre Freude ist, und aufgrund der Vielseitigkeit der Ableben – jeder der 9 Charaktere kann auf 10 – 12 unterschiedliche Arten ins Gras beißen - zu weiteren Spieldurchläufen motiviert
Das gilt aber nicht nur für die brutalen Kills, auch die Charakterentwicklungen (Raimi, Henriksen und Williams sind einfach nur großartig!), 186 (!) verschiedene mögliche Enden und dutzende Trophäen für Komplettisten sorgen für einen hohen Wiederspielwert. Während ein Storydurchlauf ca. 5 - 6 Stunden dauert, ist man, wenn man alles mal gesehen haben möchte, jeden Hinweis sammelt und verschiedene Handlungsverläufe samt mehrerer Hauptenden erleben will, oder im "Couch-Coop" bzw. Online mit Freunden mit insgesamt 50 Stunden Spielspaß gut dabei. Mit den verschiedenen Modi der Deluxe-Edition, u.a. ein automatisierter "Gorefest-Mode" mit den härtesten Toden, oder dem "Cinema-Mode" samt unterschiedlichen Einsatz von Filtern des "Horror-History-Mode", wie "80er Jahre Slasher", "Independent" oder "Schwarz Weiß", bekommt man noch ein paar nette Spielereien an die Hand, mit denen man "The Quarry" visuell dem persönlichen Geschmack anpassen kann. Außerdem beinhaltet die Deluxe-Edition einen vorab verfügbaren "Death Rewind Mode", mit dem man die Option hat, das Freispielen der Story zu überspringen… was keinen Sinn macht.
Die Hardwareanforderungen für Interssenten mit PC sind relativ überschaubar für einen Titel von 2022. Hauptsächlich liegt das daran, dass "The Quarry" auf einer recht hardwarefreundlichen Version der Unreal 4 Engine läuft die bereits auf einem Intel i5 mit einer 1080 GTX bei hohen Einstellungen für akzeptable Framerates sorgt. Natürlich ist hier Luft nach oben und ein optimierter High-End Gaming-PC kann hier das Spielerlebnis erheblich verbessern, vor allem in Bezug auf recht unschöne Laderuckler, die das relativ immersive Spielerlebnis doch trüben. Auch auf den alten Konsolengenerationen PS4, PS4 Pro und Xbox One läuft das Game rund, aber nicht perfekt, optimal sind hier aber selbstverständlich die Current-Gen Konsolen PS5 und Xbox Series S/X, wenn man in den glorreichen Genuss all der grafischen Finesse kommen möchte. Soundtechnisch bietet der Streamermodus ein Repertoire aus lizenzfreier Musik für Livestreams und der normale Kinomodus einen coolen, dröhnenden Synthie Original Soundtrack. Die deutsche Synchronisation ist gut gelungen, Puristen genießen aber den O-Ton, welcher über jeden Zweifel erhaben ist. Ein bisschen schade am Ende ist – mal wieder – dass das Ganze in Sachen Gameplay, Handling und Menüführung auf die Nutzung eines Controllers ausgelegt ist, was das Spielen am PC mit den ganzen QTES und Third-Person Exkursionen mit Maus und Tastatur ungleich umständlicher macht.
"The Quarry" erschien am 10. Juni 2022 für Windows, PS4, PS4 Pro, Xbox One, PS5 und Xbox Series S/X und trägt in seiner ungeschnittenen und unzensierten Fassung das rote 18er Siegel der USK. Das Spiel ist sowohl als physischer Datenträger im Online- und Einzelhandel, als auch als Download via Steam, 2K Games, Playstation Store und Microsoft Store erhältlich.
Fazit:
"The Quarry" fesselt, macht extrem viel Spaß und bedient vor allem Fans des guten alten Backwood-Slashers, gepaart mit den Abnormalitäten aus unterschiedlichsten Subgenres, die in den 80er Jahren Hochkultur feierten. Spannend, unterhaltsam, brutal, gruselig, atmosphärisch und super gespielt, hier wird der feuchte Traum eines jeden Horror-Enthusiasten wahr! Einzig die manchmal ungelenken Animationen, die verkorkste PC-Steuerung sowie gelegentliche Laderuckler könnte man als Haar in der Suppe anprangern.
9/10 Punkte
Wenn Ihr es bis hierher geschafft habt, möchte ich mich bei dieser Gelegenheit auch einfach mal bei allen Weggefährten auf dieser tollen Plattform bedanken, die hier ebenfalls mit Fleiß, Wissen, Leidenschaft und Spaß am Medium Film den Reviewbereich beleben und sich gegenseitig, aber vor allem auch gegenüber Neulingen, soviel Respekt und Support entgegenbringen, allen voran cecil b, Dissection78, Intofilms, dicker Hund, sonyericssohn, leichenwurm, TheRealAsh, BFG97, Tom Cody, Fratze und Ghostfacelooker. Auch nicht mehr so aktive User wie NoCutsPlease, FrankTheTank, Kable Tillmann, Gorno, LaughingVampire, Necron, Mynan, Angertainment, Punisher77 sowie (für mich) neue Gesichter wie TheMovieStar, Phyliinx, McGuinness, Dr. Kinski und tp_industries seinen bedankt! Last but Not Least auch ein Dankeschön an das Mod-Team, die Schnittberichte-Autoren, die News-Autoren und vor allem Cruel_Hides, ohne den das hier alles gar nicht existieren und uns jeden Tag erfreuen würde.
In diesem Sinne, bis zum nächsten Review! :)
9/10