Mad God
Herstellungsland: | USA (2021) |
Genre: | Animation, Horror, Fantasy |
Bewertung unserer Besucher: |
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Note: 10,00 (1 Stimme) Details |
Inhaltsangabe:
In diesem Stop-Motion-Animationsfilm von Spezialeffektkünstler Phil Tippett begleitet der Zuschauer einen Attentäter in die tiefsten Kreise der Hölle, wo er auf allerhand groteske Mutanten und Monster trifft. Über all das wacht der titelgebende "Mad God", dessen Plan es ist, diese chaotische und bizarre Welt mit einer Atombombe aus ihrem Elend zu sprengen, um eine neue zu erschaffen... ()
Dieses Rewiev enthält teilweise sehr drastische Ausführungen, die notwendig sind, um das vorliegende Werk angemessen zu beschreiben und dem Leser ein gutes Bild über den gezeigten Wahnsinn zu verschaffen. Es ist anders strukturiert als sonst und eher "frei von der Leber weg" geschrieben, weswegen es ein bisschen polterig anmuten könnte. Außerdem gibt es eine detaillierte Abhandlung des ersten Akts von "Mad God". Das sei nicht zwingend aus Spoilergründen erwähnt, sondern eher, weil das Beschriebene durchaus auf den Magen und das Gemüt schlagen könnte!
Was haben die Schachsequenz aus "Star Wars", die AT-AT Walker aus "Die Rückkehr der Jedi Ritter", Howard the Duck, ed-209 aus "Robocop", der Dämon aus "Auf der Suche nach dem Goldenen Kind" und die Dinos aus "Jurassic Park" gemeinsam? Eine gute Frage für ein Filmquiz, oder? Die Antwort darauf ist: Phil Tippett, seinerzeit wohl einer der rennomiertesten Spezialeffektkünstler Hollywoods und alle oben genannten Kreaturen bzw. Maschinen wurden natürlich von ihm zum Leben erweckt, wer hätte es gedacht! Seine Erfindung, die Go-Motion, ein Aufnahmeverfahren das bei Stop-Motion-Visuals Bewegungsschärfe simulieren sollte, revolutionierte 1980 die Filmindustrie. Der bittere Beigeschmack dabei war, dass Tippetts großes Vorbild Ray Harryhausen mit dieser Menge neuer Technologie nicht mithalten konnte und 1981 das Handtuch warf. Ein Schicksal, welches auch Tippett selbst Jahre später beinahe ereilen sollte, als sich Steven Spielberg entschied, bei seinem Blockbuster "Jurassic Park" auf den Einsatz von Tippetts Go-Motion zu verzichten. Zum Glück fand er jedoch trotzdem noch einen Platz im Team und wurde für seine Arbeit an "Jurassic Park" 1994 schließlich mit seinem 2. Oscar belohnt. Zwischen "Robocop" und "Jurassic Park" arbeitete der Ausnahmekünstler aber noch an einem anderen Projekt, an dem er sich frei austoben konnte, ohne dass ihm ein Studio im Nacken saß, sein privates Vergnügen sozusagen. Der aus diesem Vergnügen entstandene Animationsfilm trägt den Titel "Mad God" und war quasi über 30 Jahre in der Mache.
Ein verrückter Wissenschaftler, der titelgebende Mad God, schickt eine Armee aus Attentäter-Klonen auf eine Mission in die tiefsten Abgründe einer nicht näher beschriebenen dystopischen Welt. Dort trifft man die abartigsten Mutationen, Kuriositäten und abscheuliche Monster an jeder Ecke...
"Mad God" folgt auf narrativer Ebene nur einer rudimentären Rahmenhandlung, es gibt keine Dialoge, die einzelnen Segmente sind nicht voneinander abgegrenzt und werden teilweise in nicht chronologischer Reihenfolge gezeigt. Das vermeintliche Vakuum, welches durch das Fehlen einer Handlung und dem gesprochenen Wort entsteht, wird mit allerhand Symbolik aufgefüllt, die verschiedene Deutungen zulässt. Häufig wiederkehrende Motive sind vor allem Religion, Kapitalismus, Atomwaffen und Überbevölkerung. Der Film tut alles, um jeglichen Ansatz von Logik über den Haufen zu werfen, es gibt keine Bezugspersonen oder gar Sympathieträger, alles ist düster, nihilistisch, depressiv und roh. Das kryptische Ende zeigt den nuklearen Fallout, eine Welt die sich selbst ins Nirvana gebombt hat, eine postapokalyptische Welt, über die letztendlich nur der "Mad God" einsam wacht. Konventionell ist innerhalb dieses absurden Mikrokosmos ein Fremdwort, welches man in weiteren Ausführungen guten Gewissens beliebig durch "grotesk", "surreal", "abgefuckt", "abartig" oder "krank" ersetzen kann, Phil Tippet wäre da sicher nicht böse drum, schließlich ist es seine cineastische Rebellion der gezielten Provokation!
Aber wie kommt es zu solchen Auswüchsen? Was steckt hinter diesem kryptischen, bizarren und abstoßenden Werk? Das muss, natürlich, der Zuschauer selbst herausfinden, Hinweise, Interpretationsmöglichkeiten und Stoff zum Reflektieren und Nachdenken gibt es hier mehr als genug. Ist "Mad God" nur eine Aneinanderreihung von Geschmacklosigkeiten, verbirgt sich ein tieferer Sinn hinter dem skurrilen Treiben, ist das Kunst, oder kann das weg? Gesellschaftskritik? Dem unoriginellen Mainstreamkino einen großen Scheißklecks auf den Teller befördern? Um ein bisschen Licht ins Dunkel zu bringen, folgt nun eine detaillierte Beschreibung des ersten Drittels des Films, welches in Hinblick auf Abnormalität, Verrücktheit und abstoßenden Absonderlichkeiten noch nicht das Ende der Fahnenstange ist!
Die Eingangssequenz zeigt den Turmbau zu Babel, welcher nach und nach in bedrohliche Gewitterwolken gehüllt wird… Dann bekommt man den Protagonisten der Handlung zu sehen, ein Mann in einem Strahlenanzug, darüber trägt er eine Lederjacke, Steampunk-Apparaturen zieren seinen Gürtel, auf dem Kopf ein Stahlhelm und im Gesicht eine Gasmaske mit Schweißerbrille. Der genauso wortkarge wie auch zweifelhafte Held betritt eine Art nautische Tauchglocke, an einem bedenklich dünnen Seil wird er nach Unten gelassen. Auf seinem Weg in die Leere kommt er gelegentlich an ein paar Regionen vorbei, die man durchaus als Höllenkreise interpretieren kann. In einem dieser Höllenkreise wird er mit futuristischen Kanonen beschossen, im Hintergrund eine Kulisse, die an die Oberwelt in "Matrix" erinnert, der nächste mutet wie eine Galerie aus Monstrositäten an, dort kann man z.B. auch Figuren aus verschiedenen Harryhausen-Filmen entdecken wie den Zyklopen aus "Sindbads 7. Reise" oder die Medusa aus "Kampf der Titanen". Weiter unten beobachtet der Assassine, so wird der Mann genannt, einige gesichtslose Arbeiter, die beim Bau eines merkwürdigen Konstrukts wie die Fliegen sterben und prompt durch den nächsten Gesichtslosen ersetzt werden, die nächste Region ist mit Fossilien übersäht...
Nach einigen weiteren Kuriositäten, wie z.B einem riesigen Cthullu-Kopf, kommt der Assassine mit seiner Tauchglocke, seinem Koffer, seiner kleinen Lampe und seiner Karte am Boden des Abgrunds an. Dort beobachtet er durch sein Fernglas ein Bordell, hinter dessen Fenstern sich grausame Szenen abspielen. Die Silhouetten zeigen Vergewaltigungen, Morde und SM-Spiele. Aus der Tür des Etablissements stürmt ein missgestalteter und extrem wütender Metzger mit einem Fleischerbeil in der Hand. Dieser bewegt sich auf unseren Helden zu, woraufhin er Deckung sucht. Auf dem Weg ermordet das entstellte, mit Eiterbeulen und Titten übersäte Monster noch einen Unsichtbaren Mann ohne Beine, dafür mit Garnelenschwanz. Der Assassine sucht sich ein Versteck, dafür muss eine Art Bunker herhalten, auf einem OP-Tisch darin liegt ein entstellter Pavian, in einem Fischtank schwimmt ein Molch… In der Ecke stehen ein paar Käfige, darin streitlustige Mutantenhühner, daneben eine Puppe, die masturbiert und sich dabei die Brüste massiert. Der Assassine schlägt die Tür zu, verlässt kopfschüttelnd die Szenerie und trifft auf eine Gruppe Riesen die aussehen wie überdimensionale Furunkel und an elektrische Stühle geschnallt sind. Die Stromstöße verursachen offensichtlich heftigen eitrigen Durchfall, der durch einen riesigen Trichter seinen Weg in den Mund einer weiteren bizarren Kreatur findet.
Der Assassine fährt mit einem Fahrstuhl tiefer hinab, vorbei an organischen Brutsäcken mit Augen, angeschlossen an eine Maschine, die aus den Exkrementen neue Sklavenarbeiter presst, welche aussehen wie ein Fellknäul, das eine Katze hochgewürgt hat. Die Arbeiter machen sich in einer Fabrik zu schaffen, in der riesige Maden an Fleischerhaken hängen und auf Güterzügen umher gefahren werden. Die Anweisungen über die Lautsprecher der Anlage sind nur unverständliches Babygebrabbel, auf Monitoren läuft lippensynchron dazu eine Aufnahme von einem blutigen Frauenmund mit faulen Zähnen, die Arbeiter werden danach von einer Mischung aus Schwein, Geschwüren und Hodensäcken mit einer Peitsche gezüchtigt. Der Assassine verlässt die Fabrik und kommt, an einem "Star Wars" und "Robocop" Cameo vorbei, zu einem riesigen Haufen Koffer, ganz ähnlich dem, den er selber trägt. Darin verbirgt sich eine Zeitbombe, mit der er den ganzen Haufen Dreck, Fäkalien und Mutanten ins Jenseits sprengen soll, denn das ist seine Mission, und auch die aller anderen Assassinenklone, die an dieser Stelle scheiterten. Er kann den Timer stellen und die Bombe platzieren, wird jedoch von einer Spinnenkreatur getötet, die Uhr bleibt kurz vor der Detonation stehen.
Das ist ungefähr das erste Drittel des Films, genau! Und wie oben schon erwähnt, wird es noch abgefahrener, was man an dieser Stelle kaum glauben mag. Es folgt noch die brutale und blutige Obduktion des Assassinen, dem ein kreischendes Wurmbaby mit Fell und Zähnen entnommen wird und ein verrückter Alchemist - der eigentlich ein im Sondermüll entsorgter Hirntumor mit Stoppelbart ist - extrahiert daraus dann Glitzerstaub, aus dem ein Chirurg eine neue Galaxie formt, in der regenbogenfarbene Einhornpilze leben und so weiter… Von daher schon mal viel Spaß und gute Nacht! Alles dreht sich im Prinzip um kranken Humor (wenn der zweite Assassine das Vorderrad von seinem Motorrad verliert und fast hinfällt, sind Lachkrämpfe vorprogrammiert), zynische Kommentare, Scheiße, genauer gesagt Durchfall, Missgeburten, Tumoren, Bomben, Galaxien, Masturbation, Geschwüren, Eiterbeulen und Genitalien, was drastisch klingt, aber das soll es auch. Es bringt rein gar nichts, hier beschönigend zu formulieren und mit Honig zu schmieren, wenn man einen Eindruck von diesem Werk wiedergeben will. "Mad God" ist drastisch, sadistisch, ekelhaft und krank!
Das gibt auch die spielfreudige Inszenierung wieder. Phil Tippett arbeitete Jahrzehnte an den einzelnen Set-Pieces, manchmal mit freiwilligen Helfern, die teilweise über Jahre hinweg am Wochenende halfen, die Figuren lebendig werden zu lassen. Auch Filmstudenten, die eine Kickstarter-Kampange anregten, unterstützten den Einzelkämpfer tatkräftig um Erfahrung zu sammeln. Deshalb ist es toll und interessant zu sehen, wie alte Aufnahmen aus den 80ern mit den stilistisch unterschiedlich geprägeten Phasen aus neuerem Material fusionieren. Dies gibt dem Film eine gewisse unstete Roheit und in Kombination mit einer teilweise wirklich schönen Farbpalette, beeindruckenden Backdrops, genialer Beleuchtung, riesigen Landschaftsmodellen und ekelhaften Effekten wirkt alles Visuelle, als hätte Hieronymus Bosch zusammen mit Salvador Dali und David Lynch Kunst über den 2. Weltkrieg gemacht. Die wenigen Szenen mit richtigen Schauspielern wurden zudem so verfremdet, dass ihre Bewegungen ebenfalls aussehen, als seien sie in Stop-Motion. Zu guter Letzt wäre noch die Klangkulisse lobend zu erwähnen, die ebenso schräg und dreckig klingt, wie der Film aussieht. Aus Megafonen dröhnen unheimliche Babygeräusche, die Figuren kommunizieren nur mit Schreien und Stöhnen, der minimalistische Score legt sich anfangs über die Freakshow wie eine warme Decke, die aber immer weiter zerreißt... Verantwortlich dafür zeichnete Tippetts Freund und Wegbegleiter Dan Wool ("Perversions of Science", "Sid & Nancy").
Nach 3 Kurzfilmen, die bereits einige Handlungsschnipsel zeigten, wurde "Mad God" 2021 endlich fertiggestellt und lief zunächst auf diversen Filmfestivals. Im April 2022 konnte der Streifen dann als Blu-Ray und DVD für kurze Zeit über einen privaten Webshop im Eigenvertrieb von Phil Tippett erworben werden. Seit dem Beginn des Exklusivdeals mit dem amerikanischen Streamingdienst Shudder ist er jedoch nur noch dort legal zu sehen. Der besagte Webshop existiert nicht mehr, alle damit verbundenen Shoppinglinks, die man noch vereinzelt findet, führen ins Leere.
Fazit:
Muss man "Mad God" gesehen haben? Nein, muss man definitiv nicht! Für Phil Tippetts experimentelles Magnum Opus braucht man einen starken Magen und ebeso starke Nerven, und das ist keine Übertreibung! Diese fiese, wunderschöne, ästhetische, abstoßende Groteske zwischen Lynch und Cronenberg, verquickt mit Stop-Motion-Romantik und kritischer Metaphorik, ist ein Meisterwerk im wörtlichsten Sinne. Phil Tippett ist ein Meister und dies ist sein Werk, keine weiteren Fragen euer Ehren!
10/10 Punkte
Kommentare
05.08.2022 00:42 Uhr - TheMovieStar |
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05.08.2022 08:26 Uhr - dicker Hund |
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Bizarre Titelwahl mit kreativer Vorstellung, Respekt!
Die eingeschränkte Verfügbarkeit der bekloppten Gottheit ist schade. Aber das muss ja nicht so bleiben. |
05.08.2022 09:36 Uhr - McGuinness |
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05.08.2022 09:48 Uhr - Insanity667 |
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05.08.2022 11:28 Uhr - cecil b |
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05.08.2022 17:01 Uhr - The Machinist |
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Trailer erinnert an Musikvideos von TOOL und David Lynch's Albträume.
Sehen will! |
05.08.2022 21:57 Uhr - Draven273 |
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06.08.2022 07:16 Uhr - Insanity667 |
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06.08.2022 12:31 Uhr - sonyericssohn |
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06.08.2022 22:59 Uhr - Insanity667 |
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