Es gibt wohl kaum einen Film der 90er Jahre, dem das Prädikat "Kultfilm" so auf die Stirn geschrieben steht, wie dem 1996 erschienenen From Dusk Till Dawn. Ich kann mich noch wie heute an meine erste Begegnung erinnern, als ich beim Stadtbummel das Filmplakat im Schaufenster des Matheser Filmpalastes in München sah und daraufhin spontan und völlig unvorbereitet mich für eine Vorstellung entschied. Da ich vom Inhalt absolut keine Ahnung hatte, wurde ich von dem hochunterhaltsamen, ideenreichen Mix aus Roadmovie, Gangsterfilm, Action Spektakel und splattrigem Vampir-Horror quasi überrollt. Ich war so überwältigt, dass ich von diesem Erlebnis jedem in meinen Bekanntenkreis erzählte und es sollten noch dutzende Kinogänge mit fast jedem folgen, den ich damals kannte. Das Bemerkenswerteste an From Dusk Till Dawn ist, dass der Streifen auch heute, nach knapp 27 Jahren seit seiner Weltpremiere, nichts von seiner Faszination eingebüßt hat und das obwohl man diesen unbeschreiblichen und völlig unangekündigten Richtungswechsel in Filmmitte ja nun mittlerweile kennt. Wenn man auf hohem Niveau meckern möchte, könnte man vielleicht den ein oder anderen misslungenen, etwas billig wirkenden Effekt anführen, aber das passt dann auch irgendwie zur sympathischen Unbeschwertheit, die der cineastische Leckerbissen dem Publikum vermitteln möchte.
From Dusk Till Dawn basiert auf einer Geschichte von Robert Kurtzmann, der Quentin Tarantino damit beauftragte, dass Drehbuch zu erstellen, was Tarantino's erster bezahlter Schreibauftrag war. Tarantino wollte ursprünglich selbst Regie führen. Um sich mehr auf seine Co Hauptrolle des Gangsters Richard Gecko zu konzentrieren, legte er das Skript seinem Freund Robert Rodriguez vor, mit dem er ein Jahr zuvor den Episodenfilm Four Rooms realisiert hatte. Rodriguez erklärte sich dazu bereit, die Inszenierung zu übernehmen, während die zweite Hauptfigur Seth Gecko mit George Clooney besetzt wurde, der dem Film mit seiner einzigartigen Coolness seinen Stempel aufdrücken sollte. In weiteren tragenden Rollen sind Harvey Keitel (Reservoir Dogs, Pulp Fiction), Juliette Lewis (Natural Born Killers) und Ernest Liu (Auf Schlimmer und Ewig) zu sehen. Obwohl jeder Filmfreund auf diesem Planeten die Handlung kennen dürfte, hier noch einmal der Plot in zwei bis drei Sätzen zusammengefasst: Auf ihrer Flucht nach Mexiko entführen die skrupellosen Bankräuber, der zielstrebige Seth und der psychopathische, triebgesteuerte Richard Gecko den ehemaligen Priester Jakob Fuller (Harvey Keitel) und dessen leibliche Tochter Kate (Juliette Lewis) sowie den Adoptivsohn Scott (Ernest Liu). Jakob soll die Gruppe mit seinem Wohnmobil über die amerikanisch-mexikanische Grenze bringen und zu einer Biker Bar Namens Titti Twister fahren, wo die Gangster sich mit ihrem Komplizen Carlos treffen wollen. Als sie mit den Geiseln in der Spielunke auf ihren Verbündeten warten, bricht auf einmal völlig unerwartet die Hölle auf Erden über sie ein, da sich die Angestellten der vermeintlichen Kneipe in blutsaugende Vampire verwandeln....
From Dusk Till Dawn folgt unmissverständlich dem allseits beliebten Werbeslogan "Zwei zu einem Preis", da der Zuschauer im Prinzip zwei komplett unterschiedliche Hälften in einem Film serviert bekommt. Der erste, knapp dreiviertelstündige Teil ist ein packendes Gangster Roadmovie mit einer spannenden Entführungsgeschichte. Bissig-spitzzüngige, durchdachte, zitierungswürdige, politisch völlig unkorrekte Dialoge, großartiges Schauspiel, coole Charaktere, herrliche, abgefahrene, pfurztrockene Situationskomik und eine deftige Portion an Action und Gewalt generieren qualitativ hochwertige und ansprechende Unterhaltung. Strukturell ähnlich wie in Tarantinos kurz zuvor erschienenen Vorzeigewerken Pulp Fiction und Reservoir Dogs stellt Robert Rodriguez den Dialog und die Handlung der brillant, bewusst konträr gezeichneten Figuren in den Mittelpunkt, ohne auch nur eine Minute langweilig zu werden. Dabei setzt er visuell auf grobkörniges Bild mit kontrastreichen Farben und auf eine ruhige, fokussierende Kameraführung, während rockige, verstimmte Gitarrensounds das faszinierende Ambiente von staubiger Wüstenlandschaft und endlosen Highways situativ musikalisch unterstreichen.
Wo andere Filmemacher und Drehbuchautoren versteckte Hinweise auf eine geplante Handlungsänderung dezent platzieren, überfallen Tarantino & Rodriguez ihr Publikum mit einer 360 Grad Drehung. Ein Nackenschlag, der so voraussehbar ist, wie die Ziehung der Lottozahlen. Er verwandelt die geheimnisvolle Erotik der Table Tänzerinnen im Titti Twister, welche zu sperrig verrauchten, rockigen Klängen in Rhythmus und Extase den Bikern den Kopf verdrehen, in ein einzigartiges Tollhaus aus Höllenbiestern und Vampire. Der eh schon hohe Unterhaltungswert erfährt noch einmal eine deutliche Steigerung. Ein Inferno aus Blut, Splatter, Zombies und Gewalt fegt wie ein Orkan über die Leinwand, so dass Erinnerungen an Peter Jackson's Braindead unumgänglich sind. Da werden Köpfe und Arme abgerissen, Blutsauger werden mit Blei voll gepumpt, mit Weihwasser zum Explodieren gebracht oder einfach nur klassisch gepfählt, während das Blut strömt wie bei den Niagarafällen das Wasser. Doch so graphisch zeigefreudig, heftig und rabiat die Szenen auch sein mögen, so übertrieben, schwarzhumorig und comichaft sind sie auch inszeniert, so dass der Begriff Fun-Splatter eine neue Dimension erhält, zumindest für kommerzielle Kinoverhältnisse. Trotz des erhöhten Actionanteils und trotz des teils höllischen Tempos behält die Kamera stets die Übersicht und die zahlreichen Verwandlungseffekte, welche auf klassischer Maskentechnik und digitalen Morphose Animationen beruhen, wissen ebenfalls zu gefallen, auch wenn sich bei letzterem ein paar Szenen eingeschlichen haben, die teilweise ein wenig künstlich bzw. nicht ganz optimal umgesetzt aussehen, was die Gesamtwertung aber nur marginal beeinträchtigt.
Bei all der handwerklichen, inhaltlichen und inszenatorischen Raffinesse wäre From Dusk Till Dawn nur halb so viel wert, wären da nicht die exzellent aufspielenden Darsteller. Allen voran marschiert George Clooney, der in seiner Intention, den ultracoolen, machohaften Oberschurken Seth zu spielen, voll aufgeht und eine unbeschreibliche Leistung in Sachen Authentizität und Charisma hinlegt. Genau wie Clooney seine Aufgabe interpretiert, so stellt man sich den über den Dingen stehenden, souveränen Bad-Ass Gangster doch vor. Männer beneiden ihn, Frauen lieben ihn. Mit unnahbarer und selbstüberzeugter Mimik lässt er mit sichtlicher Freude und arrogant schlagfertigem Tonfall einen rotzig trockenen Spruch nach dem anderen vom Stapel, die ihm in einer beängstigenden Anzahl ins Skript geschrieben wurden. Dazu gegensätzlich hat Tarantino seinen Filmcharakter Richie konzeptioniert: Ein schwer einzuschätzender, schwanzgesteuerter Irrer, den der Meister persönlich mit verrücktem Psychoblick und sexistischen Wahnvorstellungen grandios verkörpert. Bei den "Guten" ist vor allem Harvey Keitels Mitwirken erwähnenswert, der mit seiner überlegten, grundsoliden Art optimal zur Rolle des Familienvaters und zweifelnden Gottespriesters passt, während Juliette Lewis mit ihrem markanten Gesicht und ihrem jugendlichen Sex Appeal wie schon in Natural Born Killers von ihrer Ausstrahlung lebt. Neben den Hauptrollen konnten auch die zahlreichen Nebenfiguren mit überzeugenden Schauspielern besetzt werden. So spielt Tom Savini (Dawn of the Dead) den Biker Sex Machine, Fred Williamson (Der Pate von Harlem) ist als prahlerischer Söldner zu sehen und Cheech Marin (Desperado) darf sogar in drei Rollen gleichzeitig glänzen.
Etwas verwunderlich ist es daher, dass der "nur" 19 Millionen Dollar teure From Dusk Till Dawn anfangs wohl auf Grund seiner Gewaltdarstellung durchwachsene Kritiken erhielt und an den amerikanischen Kinokassen lediglich 25 Millionen Dollar einspielen konnte, was insgesamt für einen weltweiten Kinoumsatz von knapp 60 Millionen Dollar ausreichte. Der Film hätte in Anbetracht seiner Klasse einfach viel mehr verdient gehabt. Der zuerst durchschnittliche Leumund und das ausbaufähige Box-Office Ergebnis konnten jedoch den weltweiten Hype, den der Streifen auslöste, nicht verhindern: Ungeahndet des ein oder anderen nicht ganz geglückten Effektes war From Dusk Till Dawn der Startschuss für ein gigantisches Medien-Franchise mit zwei Fortsetzungen und zahlreichen anderen Adaptionen. Zudem genießt die Rodriguez / Tarantino Co-Produktion wegen seiner unbestrittenen Qualitäten einen weltweiten Legendenstatus, so dass jeder, der den Klassiker noch nicht gesehen hat, an einer schweren, aber zum Glück behebbaren Bildungslücke leidet. MovieStar Wertung: 9 von 10 Punkte.
9/10