Barfly - Szenen eines wüsten Lebens
Originaltitel: Barfly
Herstellungsland: | USA (1987) |
Standard-Freigabe: | FSK 16 |
Genre: | Drama, Komödie, Liebe/Romantik |
Alternativtitel: | Barfly - Condenados Pelo Vício |
Bewertung unserer Besucher: |
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Note: 7,50 (8 Stimmen) Details |
Inhaltsangabe:
Eine Spelunke, wie es sie in jeder Stadt gibt, in der Abend für Abend die gleichen Typen auftauchen und vor ihrem Schnapsglas meditieren. Einer dieser Stammgäste ist Henry, ein Gelegenheitspoet aus Los Angeles, der jeden Abend das gleiche Ritual vollzieht: Er trinkt, schreibt an seinen Gedichten, trinkt weiter, fängt Streit an, prügelt sich und landet schließlich auf der Straße. Eines Tages entdeckt Henry am anderen Ende des Tresens Wanda, ebenfalls eine Trinkerin wie Henry, und dennoch eine Klassefrau. Als der Trunkenbold seine letzten Dollars fur Fusel ausgegeben hat, bittet Wanda ihn zu sich nach Hause... (Koch Media DVD-Cover)
BARFLY, EIN FILM VON CHARLES BUKOWSKI
Bevor es zum innerlichen Aufruhr kommt, weil dieser Mann doch ein Schriftsteller war, und kein Regisseur, erkläre ich meine durch plakative große Schrift gekennzeichnete Aussage einleuchtend. Der halb-autobiographische Protagonist von BARFLY beinhaltet viel von diesem Autor, der auch den Hauptteil des Drehbuchs zu diesem Film verfasste. Dieses hat autobiographische Züge und zitiert wiederholt Werke des Künstlers. Dessen ausformulierter Blick auf Menschen, die unkonventionell unter schwierigen Bedingungen ihr Leben lebten, sollte für manchen amerikanischen Leser und Literaturwissenschaftler in späten Jahren ähnlich bedeutend wie Flannery O' Conner († 1964) werden, ich lege nahe, sich DER KETZER (Wise Blood) zuzulegen (Review vorhanden). BARFLY erinnert auch an die Abwandlungen von William Blake, die Jim Jarmusch in DEAD MAN (Review vorhanden) und Gus Van Sant in LAST DAYS (Review vorhanden) inszenierten. Männer, die sich bereitwillig in ihrer schwierigen Lage auflösen. Und ein Sprachrohr der positiven wie negativen Aspekte der gegebenen Interaktion sind.
DIE BASIS: DER VERFASSER
Der im Rheinland geborene, und in Los Angeles ärmlich aufgewachsene Bukowski, brauchte eine ganze Weile, um auf den eigenen Beinen halbwegs zu stehen, sowie einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Die schwierigen Umstände flossen in seine Kunst. Schläge vom saufenden, rum hurenden Vater, und eine auch von Krankheiten belastete Jugend, zeichneten die beschwerlichen Anfänge ab. Daraus resultierten Bücher wie Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend, ein Roman, in dem eine Figur ähnlich wie einst der junge Künstler leidet, und sich zusätzlich mit Fäusten auf dem Pausenhof wehren muss. Der Mann mit dem wertvollen Wortschatz erkannte sein Interesse an der Sprache als Ventil früh, und studierte daraufhin Journalismus, sowie dass er seine ersten literarischen Schritte ging, zunächst erfolglos. Dem Alkohol verfiel er ebenso früh, ein kurzer Gefängnisaufenthalt und ein Besuch in der Psychiatrie gingen damit einher. Die Künstlernatur wanderte von Stadt zu Stadt, Job zu Job. In den Fünfzigern konnte Bukowski schließlich einer Arbeit bei der Post nachgehen, dann begann er damit, Gedichte zu schreiben. Zu dieser Zeit heiratete der bedeutende Autor in spe eine reiche Schriftstellerin und Herausgeberin eines Literaturmagazins, von der er sich allerdings ein paar Jahre später scheiden ließ. Bukowski erlangte zunächst vielleicht nur bei der Post Kontinuität, die Arbeit verleitete ihn auch zu seinem Romandebüt, Der Mann mit der Ledertasche (Post Office). Der erste kleine Erfolg kam aber mit einem Gedichtband zustande. In den Sechzigern entwickelte sich eine längere Beziehung, der eine Tochter entsprang, die später versicherte, einen liebevollen Vater gehabt zu haben.
Ein weiteres Jahrzehnt verging, bis Bukowski endlich den Anreiz dafür bekam, sein Geld ausschließlich durch das Schreiben zu verdienen. Denn, ein Verleger hatte ausgemacht, wie ansprechend es dem Poeten der einfachen Sprache gelang, mit Gedichten und Geschichten zum Teil das Leben der Einwohner seines Wohnortes, East Hollywood, zu spiegeln. Diese literarischen Zeit- sowie Gesellschaftsbilder, die eine eigene Handschrift trugen, zahlten sich aus. Bukowski erfand wiederkehrend Figuren, die ausdrückten, was ihn bewegte. Dazu zählten auch seine Beziehungen und Affären, mit ihren Auf und Abs, begreiflich, oft ironisierend. Einige Künstler dokumentierten etwas von der Lebenswelt und dem Aphorismus dieses Schriftstellers, und das auch nach dessen Tod. Auf seinem Grabstein stehen die Worte: "DON'T TRY", die unterschiedlich interpretiert werden. So wird darin zum Beispiel die Aussage gelesen, man solle nicht versuchen, zu schreiben (oder anders zu handeln?), frei von der Leber Weg sollten die Worte kommen. Darin sehe ich auch den Appell, sich treu zu bleiben.
DIE PERFEKTE BESETZUNG
Und, wer hätte den Säufer mit etwas Charme und gutem Herzen versteckt hinter Dreck und Blut besser spielen können als Mickey Rourke? Wohl niemand. Darin kann man mit einem lachendem und einem weinenden Auge Authentizität sehen. Rourke ist in gewaltorientierten Familienverhältnissen und prekären Milieus aufgewachsen, abwechselnd überzeugte er als Akteur, oder war als Boxer tätig, bis der Schwerenöter sich endgültig -wenn auch rebellisch- im schauspielerischen Bereich etablierte. Einer, der am Rande der Gesellschaft ein Quäntchen bübische Gutherzigkeit bewahrt, war Rourke schon in Alan Parkers ANGEL HEART wie auf dem Leib geschrieben, so sieht man ihn gerne. In BARFLY ist der Protagonist mit einer intensiven Method Acting-Variante ausgestattet.
BARLFY,
dürfe auch in heutigen Zeiten polarisieren, wenn man bedenkt, dass die Hauptfiguren praktisch immer betrunken sind.
Annähernd wie eine Fliege fliegt die Kamera über eine Straße irgendwo in L.A., die des Nachts von Neonröhren erhellt wird, bunt wie Süßkram, der Hänsel und Gretel anlocken soll, und landet in einer Bar. Genial, der Übergang zu der Perspektive von dem, der auch mal Barfliege genannt wird. Grelle Lichter haben vor Ort nichts mit dem Sonnenlicht zu tun, in der Nacht schwirren um sie herum Insekten und gemessen an der Norm gescheiterte Existenzen. Sonst gibt es geflissentlich nur theoretisch andere Anlaufstellen. Über die Stammkundschaft sagt die arbeitslose Hauptfigur wohlweislich, dass doch aber sowieso niemand den jeweils anderen wirklich kennt, das sei überall so. Ab den mittleren bis zum hohen Alter wird angestoßen, gestichelt, gescherzt, nur ein winziger Rest Persönlichkeit unterscheidet von dem skrupellosesten Schläger, Mörder, Vergewaltiger, der etwaig im Nebenzimmern seine Geschäfte macht, man sollte sich da raushalten. Das Trinken, ein Gemeinschaftsgefühl, Zugehörigkeit, ein unmittelbarer Indikator, Strohhalm. Eine angeregte Diskussion fokussiert meistens das Hier und Jetzt. Mit dem Glas in der Hand wird darüber debattiert, ob der Preis für vorhergegangenes "Schwanzschlucken" angemessen sei, und es seine Berechtigung hatte, jemanden als "verfickten Scheißhaufen" zu bezeichnen. Halbnah nimmt das Geschehen rund um den Tresen viel Raum ein. Dass Henry sich immer wieder mit einem bestimmten muskulösen Barkeeper (Frank Stallone, dass der Nachname bekannt ist, kommt nicht von ungefähr) schlägt, das ist ein Ritus. Zwei spüren und beweisen sich, können eine vermeintliche Stärke demonstrieren, die doch ihren Beifall bekommt, egal, wie illusorisch sie ist. Verliert Henry ein weiteres Mal, und liegt blutüberströmt auf dem Hinterhof, der Boxring der einfachen Leute, nimmt der das so hin. Er hasst Hilfe, so heißt es.
Stets übernächtigte Augen, fast durchgehend ein spitzbübisches Lächeln. Dieser torkelnde Gang, seltsam tänzerisch. Und oft einen Witz oder eine tiefsinnige Reflexion seiner Umgebung parat, so erscheint Henry. Wieso provoziert er so vulgär, fragen sich manche, fällt bei jeder Gelegenheit aus dem Rahmen, und ist dabei so viel mehr, hat Herz und Verstand. Nicht ganz ein Anarchist, der mehr oder weniger pleite in seiner Drecksbude ungewaschen und betrunken auf den nächsten Besuch in der Bar wartet, und schönste klassische Musik hört. Das Gemeinschaftsgefühl seiner Umgebung ist ein anderes, Henry sei genau so in Ordnung wie alle anderen, einfach, weil er dazugehört. Bewirbt er sich für einen Beruf, ist sein Gegenüber darüber erstaunt, was für ein "Penner" da auf dem Bürostuhl sitzt, und vielmehr daher, weil dieser so unangebracht wie freiheitlich interpretierbar scharfsinnige Rhetorik im Blut hat. Anzüglich, ohne das Gefühl zu geben, jemals eine gewisse Aufdringlichkeit übersteigern zu wollen. Innerhalb des Molochs hin und wieder ein winziger Lichtblick. Genauso eine Unbeugsamkeit auf zwei Beinen, die mit Vorsicht zu genießen ist. Man könnte den Zuständen in gewissen Gegenden in L. A. auch den Rücken kehren. Die Literaturagentin Tully Sorenson (gut: Alice Krige, Star Trek: Der erste Kontakt) ist von ihm mehr fasziniert als abgestoßen, nur am Rande steht nämlich geschrieben, welch Poet da vor ihr steht. Wanda macht keine Umstände, Henry interessiert sich sofort für sie, und beide legen die Karten auf den Tisch. Eine rasante Innigkeit entsteht. Als sich diese Figuren kennenlernen, sitzt übrigens der echte Bukowski am Tresen.
Die ebenfalls durchtriebene Wanda stellt sich als Menschenfeindin vor, und macht keinen Hehl daraus, dass sie Henry mag, und haben will. Sofort teilen sie eine abenteuerliche Nacht, die zusammenschweißt, dann eine Wohnung. Während des Drehs soll niemand gewusst haben, dass Bukowski tatsächlich zusammen mit einer Partnerin in dem Haus gelebt hatte, in dem diese Figuren ihre Schlüsse ziehen. Ihre Direktheit vereint die beiden, was um sie herum passiert ist beispielhaft für das gesellschaftliche Elend. So sehr sich Wanda und Henry auch lieben, ihre Ecken und Kanten sind automatisch verletzend. Andererseits schnuppert der verkappte Literator am Prunk der Reichen, wenn er mit Tully unterwegs ist. Bukowskis Worte führen die Dialoge partiell entwaffnend, sie strömen in Hirn und Herz, dichten Erfahrungen des berühmten Schriftstellers. Wie Faye Dunaway (Oscar für Network) darin aufgeht. Lasziv, achtunggebietend, heruntergekommen und doch apart. Diese Mischung meistert wahrlich nicht jeder. Die größte Bereicherung dieser Beziehungen ist aber, dass durch diese der Protagonist entblättert wird. Eine spannende Ambivalenz. Mit der Zeit ist es möglich, das klassische Prinzip der westlichen Gesellschaft mit anderen Augen zu sehen. Philosophische Eigentümlichkeit, verquer, nah am Leben.
Der ursprünglich aus dem Iran stammende Barbet Schroeder (Oscar-Nominierung für Die Affäre der Sunny von B.) hatte die Ehre, das Drehbuch zu verfilmen, und auch daran zu feilen. Schroeder gab Kameramann Robby Müller († 2018, ehemals Jim Jarmusch's Nr.1) Anweisungen, die das Miteinander einer Gruppe oder die Figur, die gerade von zentraler Bedeutung ist, fest im Griff haben. Die Hauptfiguren werden förmlich porträtiert, mit all ihren Bewegungen und Mienen. Ein paar aufwendige Szenen ziehen einen mit ausgewählten Kamerafahrten zusätzlich in den Bann. Éva Gárdos's (Apocalypse Now) Schnitte fallen zum Beispiel dann positiv auf, wenn die Figuren stimmig von einem Szenenbild zum anderen gehen. Jack Baran und Rourke suchten Klassik, Funk und Jazz aus, der kongenial ist. Schroeder konnte Baran oft vertrauen, der war u. a. Regie-Assistent bei seinem WEIBLICH, LEDIG, JUNG, SUCHT....
BARFLY ist nicht für viele Zuschauer geeignet, was keinesfalls an seiner Qualität liegt. Man muss sich darauf einlassen wollen, in Bukowskis Abgründen die Schönheit zu sehen. Es lohnt sich.
"Manche Menschen sind nie verrückt. Was für ein wahrhaft grauenvolles Leben müssen sie führen!"
Henry Charles Bukowski, Jr.
TRIVIA:
1985 veröffentlichte Schroeder die TV -Serie Charles Bukowski par Barbet Schroeder, die lediglich Interviews von dem Regisseur mit dem Schriftsteller zeigte.
Bukowski beschrieb in dem Buch Hollywood, welche Erfahrungen er mit der Traumfabrik gemacht hatte, u. a. berichtete der Autor verschlüsselt formuliert über die Produktion von BARFLY.
Da die Produktionsfirmen, die den Film finanzierten, angeschlagen waren, musste Produzent Fred Fuchs (Der Pate 3) seinen Freund Francis Ford Coppola (Regisseur der Der Pate-Trilogie) darum bitten, das Projekt zu unterstützen. Ohne Coppola hätte Schroeder BARLFY nicht verwirklichen können.
Frank Stallone (Der Bruder von Sylvester) und Mickey Rourke waren und sind miteinander befreundet.
Der Song Green Corn, der erfolgreichen Punk-Rock-Band NOFX , fußt auf BARFLY. Bukowski schrieb im Punk-Rock-Magazin Half Truth eine Rezension über das Album Ribbed, auf dem das Lied veröffentlicht wurde.
Kommentare
06.12.2022 17:41 Uhr - Cinema(rkus) |
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06.12.2022 18:13 Uhr - cecil b |
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07.12.2022 18:22 Uhr - Cinema(rkus) |
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07.12.2022 19:47 Uhr - cecil b |
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08.12.2022 21:59 Uhr - TheRealAsh |
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09.12.2022 11:28 Uhr - cecil b |
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16.12.2022 21:47 Uhr - lamb |
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17.12.2022 14:29 Uhr - cecil b |
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