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Mannequin in Rot

Originaltitel: Mannekäng i rött

Herstellungsland:Schweden (1958)
Standard-Freigabe:FSK 16
Genre:Thriller, Mystery
Alternativtitel:Mannequin in Red
Bewertung unserer Besucher:
Note: 8,50 (2 Stimmen) Details
Diese Kritik enthält Informationen über den späteren Handlungsverlauf der Geschichte.
eine kritik von insanity667:

Nachdem der schwedische Regisseur Arne Mattsson bereits zu Anfang der 50er Jahre mit seinem Werk „Sie tanzte nur einen Sommer“ einen großen Erfolg verbuchen konnte, ging seine Karriere innerhalb der schwedischen Filmindustrie, Seite an Seite mit Größen wie Ingmar Bergman oder Arne Sucksdorff, steil voran. 1958 dann, nach einigen Ausflügen ins Dramagefilde, brachte er dem europäischen Publikum, zusammen mit Autor Folke Mellvig, den Mystery-Thriller „Wenn die Nebel fallen“, auch bekannt als „Lady in Black“ oder „Damen i svart“, so der Originaltitel. Dies war der Auftakt zu einer fünfteiligen Filmreihe in guter, alter Tradition britischer und deutscher Vorkriegszeitkrimis auf den Spuren von Edgar Wallace und Agatha Christie, zumindest in Ansätzen. Im selben Jahr wie „Damen i svart”, also 1958, lieferte er dann bereits den zweiten Teil der Hillman-Reihe ab. Sein „Mannequin i rött“ ist die unverkennbare Blaupause zu Mario Bavas „Blutige Seide“, dem Proto-Giallo schlechthin, in dem schon sehr viele stilistische Nuancen enthalten sind, die man später für das italienische Subgenre als „typisch“ bezeichen sollte. Außerdem läuteten Mellvig und Mattson bei der Betitelung ihrer Werke einen weiteren – ebenfalls von Kriminalromanen angeregten - Trend ein, dem auch viele Gialli der 70er Jahre, direkt oder indirekt, folgten und diesen auch weiterentwickelten, nämlich die berühmte „Farbe im Titel“. Wo die Hillmans noch roten Mannequins, blauen Rittern oder gelben Autos auf der Spur waren, sollten sich später grüne Stecknadeln, schwarze Widder oder gelbe Gräber beim Publikum beliebt machen.

 

Im Modehaus „La Femme“ in Stockholm geht ein Mörder um, der die Reihen der dort angestellten Models durch sein finsteres Treiben, sehr zum Missfallen der Besitzerin Thyra Lennberg, lichtet. Das Privatdetektivpaar Kajsa und John Hillman wird engagiert, um die Identität des Täters aufzudecken. Für Kajsa Hillman bedeutet dies, sich als Model getarnt, selbst in große Gefahr zu begeben, um dem düsteren Geheimnis zwischen Prunk, Dekadenz und Mannequins auf die Spur zu kommen…

 

Folke Mellvigs Novelle, und somit auch die Adaption von Lars Widding („Die schwedische Hochzeitsnacht“), serviert einen verschachtelten Plot um Mord, Intrigen und ein düsteres Geheimnis, geschickt platziert inmitten der schillernden und bunten Modewelt Stockholms der ausklingenden 50er Jahre. Dass dabei einige Set-Pieces, ganze Szenenabläufe und viele, der spannenden Atmosphäre zuträglichen, kleinen und großen Details – wie Eingangs schon erwähnt - später ihren Weg in Mario Bavas Werk „Blutige Seide“ gefunden haben und darüber hinaus, nach Meinung einiger Filmexperten wie Christian Keßler oder Marcus Stiglegger, auch Antonio Margheritti und Sergio Martino inspirierten, ist weniger ein Zufall, sondern eher eine große Ehre für „Mannequin in Rot“. Die Macher führten hier eine Menge an Inspirationsquellen aus Kunst, Literatur und Film der vorangegangenen Jahrzehnte, unter anderem Agatha Christie, Edgar Wallace, Alfred Hitchcock oder auch James M. Cain, zu einem interessanten Werk zusammen, das rückblickend als einzigartig zu bezeichnen ist und seiner Zeit voraus war. Die relativ steile Spannungskurve, die wunderbare Dynamik unter den Hauptfiguren, das geniale Setting sowie das Rätselspiel um die Identität des Mörders machen auch heute noch durchaus Spaß und lassen diesen Film, mehr als 60 Jahre später, immer noch frisch und wenig angestaubt wirken, wobei man zugegeben schon ein Faible für diese Art von Kunst haben sollte und nicht die Maßstäbe eines „Scream“ o.ä. anlegen darf. Wen das also nicht abschreckt, der wird mit einem tollen Stück Filmgeschichte belohnt, das außergewöhnlich gut die Balance zwischen seinen einzelnen Zutaten zu halten vermag und über die recht knackige Laufzeit von annährend 2 Stunden hervorragend unterhält.

Annalisa Ericson („Little Napoleon“, „Don’t give up“) und Karl-Arne Holmsten („Fiancée for Hire“, „When Darkness Falls“)  schlüpfen wieder in die Rollen des sympathischen Detektivduos Kasja und John Hillman, deren charismatisches Zusammenspiel auch in „Mannequin in Rot“ wieder zum absoluten Genuss für den Zuschauer wird, diesmal inklusive riskantem Undercover-Einsatz. Auch Nils Halberg („Andersson’s Kalle“, „Das Brot der Liebe“) als schrulliger Assistent Freddy ist wieder mit von der Partie, sein humoristischer Einsatz fällt hier sogar noch ein wenig ausufernder aus, als noch im Vorgänger. Auf der anderen Seite dominieren die zwielichtigen Gestalten des Modeimperiums und auch die Liste der Opfer sowie der Verdächtigen ist um einiges länger geworden. Eine wirklich beeindruckende Vorstellung gibt die norwegische Theater – und Stummfilmlegende Lillebil Ibsen („Das Lied der roten Blume“, „Pan“, „Weltbrand“) als gelähmte Matriarchin des „La Femme“ Thyra Lennberg, inklusive weißer Katze auf dem Schoß, und auch die Leistung der zunächst etwas biestig anmutenden Anita Björk („Sehnsucht der Frauen“, „Das unsichtbare Netz“, „Wenn die Nebel Fallen“) in der Rolle der Birgitta Lindell wertet den Cast stark auf. Ansonsten gibt es, wie bei „Damen i svart“ auch, ein paar typisch schwedische Einlagen an Trockenheit und im krassen Gegensatz dazu auch wieder Schmalz und leicht überdramatisierte Phasen – unter anderem eine Gesangseinlage - die man als tapferer Fan von 50er Jahre-Unterhaltung aber locker wegsteckt.

Genau wie die Schauspieler weiß „Mannequin in Rot“ auch auf inszenatorischer Ebene vollends zu überzeugen. Die Arbeit von Kameramann Hilding Bladh („Es regnet auf unsere Liebe“, „Kampf ums schwere Wasser“) überzeugt durch ihren komplexen Stil und die satten, lebendigen Farben schinden ebenfalls Eindruck. Die Kombination aus Schnitt, Bildkomposition und dem einen oder anderen durchaus gelungenen Spezialeffekt kann man nur als meisterhaft bezeichnen, die abermals wundervoll ausgestatteten Sets von Bibi Lindström („Persona“, „Fräulein Julie“, „Das Mädchen mit den Hyazinthen“) wirken in Farbe noch exquisiter als noch in „Wenn die Nebel fallen“ und es ist daher kaum verwunderlich, dass sich an diesem Paradebeispiel von Filmkunst andere Filmemacher dieser Zeit reichlich bedienten. Dasselbe gilt für die musikalische Untermalung von Torbjörn Lundquist („Bekanntschaften“, „Dort, wo der Berghof steht“), der hier zwischen markant gruseligen, mystischen und heiteren Tönen ein breites Spektrum an Klängen abdeckt, die im Gedächtnis bleiben.

Arne Mattsons zweiter Hillman-Streich fand, wie auch schon „Damen i svart“, Anfang 1959 seinen Weg beinahe ausschließlich in die skandinavischen Kinos. In Deutschland und im übrigen europäischen Raum ermittelte das Traumduo dann Ende des selben Jahres in den Lichtspielhäusern. Übersee ist „Mannequin in Rot“ relativ unbekannt, der Streaminganbieter Netflix nahm sich aber auch dieser Perle an und hat seit 2019 die restaurierte 35mm Fassung des schwedischen Filminstituts zum Anschauen fest im Programm, im Originalton mit Untertiteln.

 

Fazit:

Skurrile Charaktere, bizzare Morde, das Motiv der Erbschaft, erotische Andeutungen zwischen Frauen oder Stalkingsequenzen, vieles in „Mannequin in Rot“, vor allem aber auch die wundervolle Inszenierung, nimmt vorweg, was im südeuropäischen Schlitzergenre später zum gehobenen Standard gehören sollte. Das macht diesen einzigartigen Film beinahe schon zum Muss für Filmfans auf den Spuren fast vergessener, schwedischer Kostbarkeiten, und einem ganz wundervollen Genre, welches hier vielleicht - zumindest zu kleinen Teilen - seinen Anfang nahm.

9/10 Punkte

9/10
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Kommentare

30.01.2023 14:51 Uhr - Founding Father
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Alter Schwede, du scheinst ja richtig ergriffen von dem Mannequin in rot zu sein 😉 was durch deine mit viel Herzblut verfasste Review ausdrucksstark zur Geltung kommt 👍🏻

Mit dem schwedischen Kino bin ich jedoch rein gar nicht vertraut, zumindest würde mir ad hoc kein Titel einfallen 🤔
Dabei klingt das hier nach ganz starker und lohnenswerter Unterhaltung, gerade auch die Analogien zu Bavas Werken, die du hier so schön darstellst, gefallen mir sehr gut 😀

Schade nur, dass dieses Lichtspiel beim bekannten Streaminganbieter lediglich mit Untertiteln zu genießen ist 😔 wovon ich kein Freund bin, da ich dann immer mehr lesen muss, als dass ich mich auf das Dargebotene konzentrieren kann.
Doch wer weiß, vielleicht werde ich ja im Internet oder auf der nächsten Filmbörse fündig 😏

Danke jedenfalls für diesen tollen Beitrag !

30.01.2023 17:18 Uhr - cecil b
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Ganz große Klasse, die Review!

Die Vorstellung superb, und filmgeschichtlich interessant eingeordnet!

31.01.2023 05:46 Uhr - Dissection78
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Ich muss ja wohl nicht extra betonen, dass Du den Film supertoll beschrieben hast, gell? ;) Finde ich ebenfalls klasse, diesen stilvollen Vertreter der Hillman-Reihe. Klassischer Mystery-Krimi, etwas Film noir, Pulp-Thriller à la Wallace, viel (Proto-)Giallo (Mario Bava grüßte Arne Mattsson erst einige Jahre später), eine exquisite Kameraführung, die schöne Bilder einfängt und mit einer interessanten Farbdramaturgie arbeitet.

Da ich "Mannekäng i rött" - in der Tat ein geiler Originaltitel - ausschließlich als OmU-Fassung kenne, würde mich einfach nur mal interessieren, ob von ihm noch irgendwie und irgendwo eine Version mit deutscher Synchronisation existiert, eben weil's ihn auch mit eingedeutschem Titel gibt, was allerdings nichts heißen muss. Jedenfalls wäre ich wertungstechnisch mit 8 Punkten recht nahe bei Dir, habe den Film jedoch schon länger nicht mehr gesehen.

31.01.2023 08:14 Uhr - Insanity667
2x
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Hallöchen Ihr drei und vielen Dank für Euer Feedback! :)

@Founding
Leider bin ich mir relativ sicher, dass "Mannequin in Rot" nicht auf Scheibe oder VHS aufzutreiben ist, ich habe selbst schon alles versucht und bin nur auf eine 5er DVD-Box gestoßen die ausschließlich in Schwedisch ist.
Trotzdem freue ich mich, dass Du so begeistert mitliest! :)
Schwedische Filme, die einen Blick wert sind, sind auf jeden Fall die Werke von Ingmar Bergmann und z.B. auch die Verfilmungen von Astrid Lindgren oder, um im Genre zu bleiben, "So finster die Nacht" etc... Da gibt es wirklich einige. :)

@cecil
Ja, der Filmgeschichtliche Hintergrund ist tatsächlich sehr interessant, eine der treffendsten Aussagen zu diesem Film in einem englischsprachigen Forum war wohl: "Swedish Hitchcock predates Italian Giallo" :)

@Dissi
Es sollte zumindest eine Synchronisation existieren, der Film lief ja im Kino wozu mehrere deutschsprachige Kinoplakate angefertigt wurden und sogar deutschsprachige Texttafeln im Vorspann. (Hatte ich mal irgendwann auf Youtube entdeckt, ist aber mittlerweile nicht mehr abrufbar) Ich hab's ja schon mal gesagt, es ist eine Schande, dass diese wunderbaren kleinen Kunstwerke so eingestaubt sind, am Rande der Vergessenheit.

31.01.2023 11:12 Uhr - TheMovieStar
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Schließe mich meinen Vorrednern an: Eine wirklich herausragende Vorstellung, Insanity. Erstklassige Arbeit!

03.02.2023 06:48 Uhr - Insanity667
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Vielen Dank Movie Star! :)

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