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Der falsche Mann

Originaltitel: The Wrong Man

Herstellungsland:USA (1956)
Genre:Krimi
Bewertung unserer Besucher:
Note: 7,71 (7 Stimmen) Details

Inhaltsangabe:

Der Musiker Manny Balestrero (Henry Fonda) wird vedächtigt, mehrere schwere Raubüberfälle begangen zu haben. Er gerät in die Mühlen der Justiz, da er kein glaubwürdiges Alibi vorweisen kann, während alle Augenzeugen schwören, ihn eindeutig identifizieren zu können... ()

Diese Kritik enthält Informationen über den späteren Handlungsverlauf der Geschichte.
eine kritik von lamb:

Alfred Hitchcock ist der großartigste Regisseur der jemals gelebt hat. Das ist keine allzu steile These, findet sie doch allerorts zustimmenden Hall. Es jedoch ganz für sich selbst zu begreifen und auszusprechen, nun, da gehören wohl Jahre und vielleicht Jahrzehnte an Filmleidenschaft dazu. Seit 1998, seit ich das erste Mal Psycho gesehen habe, begleitet mich der legendäre Filmemacher und ebenfalls seit dieser Zeit überrascht mich Hitchcocks Werk immer wieder auf's Neue, wie erst kürzlich wieder geschehen. Über 50 Filme hat er in seiner langen Karriere gemacht und beinahe alle habe ich nun wenigstens einmal gesehen. In den letzten Jahren verstärkte sich die Frequenz, um auch wirklich jeden Film vom Meister der Spannung aufzusaugen. Seine größten Filme sind hinlänglich bekannt und in Kritik wie unter dem Publikum vollends durchbuchstabiert, und dennoch immer noch magisch, füllen diese Filme Abende. Alles wurde über Filme wie Die Vögel, Vertigo, Das Fenster zum Hof, Cocktail für eine Leiche und eben Psycho gesagt. Auch über Meisterwerke wie Bei Anruf Mord, Rebecca oder Der unsichtbare Dritte ist wirklich alles, und zwar mit voller Zustimmung von mir, ins Wort gesetzt worden. Alles große und teils bahnbrechende Langfilme, welche die Zeit überdauern werden. Doch auch in Nischen und ein wenig Abseits der ganz großen Kassen- und Kritikererfolge überzeugte der Regisseur mit einem gewissen Standard, von einigen wenigen, immerhin soliden Arbeiten im Mittelfeld abgesehen. Das meisterliche Spätwerk Frenzy ist ein schmackhafter Hochgenuss, sein letzter Film, Familiengrab, ist ein köstlich mystischer Gaunerschwank, Marnie ein erst mit den Jahren gehuldigter Diamant.

Filme wie Jung und unschuldig oder Der Fremde im Zug, Im Schatten des Zweifels und vor allem Der falsche Mann haben mich erst kürzlich gefunden. Vor allem Der falsche Mann hat mich dann auch gar nicht mehr loslassen können, so gut ist dieser Film inmitten von Hitchcocks besten Karrierephase. Unscheinbar verweilte dieser Film über Jahre in der schwarzen Sammelbox von Warner, Henry Fonda auf dem Cover. Schon bevor ich den Film aus dem Schuber zog und einlegte, säuselte ich vor mich hin. Wie konnte ich diesen Film bisher so gänzlich übersehen? Der falsche Mann wird, wie einige andere Werke des Regisseurs, gerne als etwas anderer Hitch festgemacht, wie etwa Immer Ärger mit Harry oder Über den Dächern von Nizza. Solche Anschauungen finde ich durchweg ein wenig albern, denn nur weil Alfred Hitchcock nicht immer auf denselben Pfaden des kunstvollen Effekthandwerks entlangging, ist das nicht ganz was anderes. Ganz im Gegenteil. Genannte Beispiele und Der falsche Mann sind unverkennbar, messerscharf und in ihrer versierten Fertigkeit klar Filme von Alfred Hitchcock.

In Der falsche Mann spielt Henry Fonda Christopher Emmanuel Balestrero, genannt Manny. Ein friedlicher und loyaler, ruhiger und redlicher, ehrlicher und aufrichtiger Bürger und Barmusiker, der eines Tages zu Unrecht beschuldigt wird, Raubüberfälle begangen zu haben. Für die Zeugen, die Gesetzeshüter und den Richtenden scheint die Sache klar und Manny findet sich schnell in den Mühlen durchbürokratisierter Systeme, die bis heute wenig von ihrem stets unterkühlten, distanziert verrohten und immerzu unpersönlichen Charme verloren haben. Der geißelnde und sehr lange Schatten, den die abrupte Verhaftung und die drohende Verhandlung auf Manny, seine Frau Rose (Vera Miles) und die beiden Kinder wirft, reißt die kleine Familie, ein auf kleinem Geld gelebtes Idyll und eine liebevolle Ehe voller Zusammenhalt und Nähe, regelrecht auseinander. Die verzweifelte Suche nach Entlastung und nach einem Alibi verläuft nur schwer, grätig und zäh. Es scheint, als hätte Manny, trotz kleiner Spitzen, keine Chance, dem Mahlwerk der Justiz zu entfliehen.

Die Geschichte selbst zeigt überdeutlich, weshalb Hitchcock diesen Film machen wollte. So weit, so üblich. Motive und Umstände, Motivationen und eine düstere Ausweglosigkeit, ein Mann, der unschuldig ins Netz gerät, wie eine Fliege versucht den Spinnen zu entkommen. Nur im Handwerk und der Dramaturgie schlagen Regie, Kamera und Schnitt andere, sehr ruhig angelegte Töne an. Dramaturgische Töne, die vor spielerischen Experimenten und ikonischen Momenten nicht zurückschrecken. Allein die subjektive Kameraführung, während Manny ohne genaue oder gar verständliche Erklärungen in diese kleine Zelle abgeführt wird, immer dran an Henry Fondas hagerem Antlitz, durchweht den ganzen Film mit Furcht und Eiseskälte. Man sitzt nicht nur vor dem Bild, man ist ohne Fluchtmöglichkeit mittendrin, dabei auf den Weg in vermeintliche Sühne. Gut oder böse, schuldig oder unschuldig, entweder oder. Grau gibt es nicht, nicht immer, niemals die eine und die andere Seite der Dinge. Diese Geschichte, die sich ein paar Jahre vor dem Film tatsächlich ereignete, reißt mit, schlicht weil sie allen Menschen so passieren kann und es Hitchcock versteht, die Angst vor so etwas zu schüren. Die Mittellosen trifft es dabei naturgemäß härter und vor allem die psychische und physische Abwärtsspirale, welche die Frau Rose ansehnlich durchlebt, ist kongenial gezeichnet und mit Schrecken gespielt.

Vera Miles ist unfassbar gut und es ist wirklich schade, dass sie den ganz großen Ruhm und wirklichen Starrummel, den sie gewiss verdient gehabt hätte, nie erfahren hat. Sie strahlt hier zum Anfang ein Licht aus, das Filmminute um Filmminute langsam erlischt - ganz fantastisch und abgründig traurig. Das überlange, das grelle und bittere Gelächter in einer Szene, als sie und Manny herausfinden, dass zwei Zeugen für sein mögliches Alibi tot sind, ist einmalig schräg, völlig unerwartet und unterstreicht ihren inneren Zustand, den gesamten Umstand, dass ihr Mann für schuldig betrachtet wird. Sämtliche, meist eher unbekannte Schauspieler überzeugen in den Nebenrollen, alles kreist um das filmische Ehepaar. Für Henry Fonda war es eine subtile und wunderbar akzentuierte Paraderolle, eine nahgehende Sternstunde in seiner ruhmvollen Karriere. Unbegreiflich, dass es dafür keine Preise gab. Unbedingt empfiehlt es sich, Fonda im nuancierten und stimmungsvollen Originalton zu erleben. Fondas Stimme hat Gravitas, die Betonung seiner Zeilen ist ein raues Glanzstück. Er spielt ohne große Gesten, beinahe ohne laute Wut oder grellem Ausbruch. Fondas Auftreten ist das eines unbescholtenen Bürgers, der ganz in der Pflicht seiner Familie steht und alles anständige daran setzt, seine Unschuld allen zu beweisen, auch seiner Frau. Die perspektivisch herausragende und auch mal kreisende Kamera ist immer bei ihm, immer nah an seinem kantigen Gesicht, seinen wachen Augen und seinen verunsicherten Reaktionen auf ein Rechtssystem, welches nur a oder b zu denken scheint, niemals a und b ins Verhältnis zu setzen vermag. Die ungemütliche Intensität dieses Systems und die wie am Fließband gefertigten Inhaftierungsmaßnahmen, die Wirksamkeit der einschüchternden Verhöre wirkt zu keinem Zeitpunkt altbacken und verrostet. Alles untermalt mit einer zutiefst melancholischen, in ruhigen Augenblicken zarten, teils bedrohlichen Filmmusik. Der falsche Mann ist eine präzise Studie dessen, was passiert, wenn einseitiger Verdacht auf einem liegt. Alles zerfällt unweigerlich. Verdacht, der immer Schmutz hinterlässt und nie wieder ganz abgeht, egal was abschließend herauskommt und wie es dann weitergeht. Der Schmutz bleibt auf dieser einst guten Ehe und in den Herzen, wenn auch nur in mikroskopisch kleinen Partikeln, was sich besonders an Rose festmachen lässt. Die Realität meinte es nicht so gut wie Hitchcock und seine Autoren, die diesen ansonsten hervorragenden Film mit zwei Entscheidungen dann doch deutlich genug abwerteten, zumindest in meinen Augen.

Zum einen verzichtete Hitchcock leider auf sein übliches Cameo zugunsten eines an sich schick gefilmten Prologes, in welchem er durch eine totale Aufnahme höchstselbst erklärt, dass es ihm wichtig war, keinen Schaum zu schlagen und die Geschichte nicht unnötig in die Höhe zu dramatisieren, die Handlung, so wie sie sich zugetragen hat, darzustellen und gewiss auch zu kritisieren, was ihm ja auch gelungen ist, ganz ohne Frage. Ich halte diesen Prolog kontextuell und in seiner Einflussnahme auf den Sehenden für ganz schlimm, denn durch die Blume dieses Wegweisers entschuldigt sich der Meister offenbar dafür, solch einen dichten, betrüblichen Film, solch ein urbanes Drama gemacht zu haben. Das Endresultat ist ein meisterlicher Blick auf einen Menschen und sein Umfeld, eine leidvolle Kür in Sachen Tragik, das für keinen einzigen Oscar nominiert worden ist. Wahnsinn! Sich dafür vorauseilend zu entschuldigen oder die Erwartungen zu dämpfen oder eben zu lenken, nun, ich weiß nicht, ob Hitch wirklich voll und ganz hinter dem stand, was er da machte. Vielleicht lag es an den eigenen Erfahrungen von Hitchcock, wie man dem Making Of entnehmen kann. Der ebenfalls renommierte Filmemacher Peter Bogdanovich schildert das anschaulich, denn selbst wer nur fünf Minuten in einem Gefängnis sitzt, wie es Hitch einmal selbst passiert sein soll, bekommt es mit der Angst zu tun. Dennoch, ich hätte den Gastauftritt Hitchcocks als Besucher des Storck Clubs, in welchem Manny als Musiker zu sehen ist, diesem Schmu vorgezogen. Zum anderen ist die Schlusstafel eine ganz ähnliche Scharte im Filmwirken. Manny kommt zwar durch einen glücklichen Zufall davon, weil der richtige Täter auftaucht und verhaftet wird, doch der Schmutz, der über ihn, Rose und die Kinder gekippt wurde, bleibt, wenn auch nur in beinahe unsichtbaren Spuren. Rose ist am Boden und in sich zerstört, eingewiesen in eine Klinik. Gewissermaßen ist sie die einzige, die den Schmutz noch sieht und eben nicht wegschauen kann. Sie ist der Zusammenhang. Diese Ehe ist damit auf alle Zeiten imprägniert. Rose war danach nie wieder das Licht, welches sie vor den Begebenheiten war. Das ist heftig und obendrein ein ziemlich bitterer Schlussmoment, der dann mit einer Tafel geziert wird, auf der Sinngemäß "...und sie überwanden alles mit Freuden und lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage." steht. Das ist falsch, passt einfach nicht und muss schon damals für Verwirrung gesorgt haben. 

Nun ist es wie es ist. Ich kann diese Dinge nicht ausradieren und niemand anderes auch nicht. Diese beiden Makel gehören zu diesem intensiven Film, der seine zehn Punkte absolut verdient gehabt hätte. Denn nicht nur die betörenden Schwarzweißbilder, der im Gewand eines Märchens gefährlich pirschende Score von Bernard Herrmann und die herausragenden Darbietungen begeistern. Vor allem der gesetzte und unausweichliche Tonfall in der tiefen Tragödie, welche auch zu Gericht gipfelt, meistert die Regie. Dass Alfred Hitchcock diesen Film im Voraus einzuordnen versucht, ist glücklicherweise nicht komplett erheblich. Trotz der beiden Kratzer ist Der falsche Mann Pflicht für jeden, der Filme und aus was sie gemacht sind liebt. Ganz klar, Alfred Hitchcock ist der großartigste Regisseur der jemals gelebt hat.

8/10
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Kommentare

09.02.2023 06:40 Uhr - Dissection78
1x
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Lange nicht geschaut. Ist ja seltsamerweise eines von Hitchcocks unbekannteren Werken. Noch seltsamer ist, dass ich den Film bzw. den Titel immer mit "Der Fall Paradin" verwechsele. Warum auch immer... vermutlich aufgrund des Gerichtssettings. Aber "Der falsche Mann" ist in meinen Augen definitiv der stärkere Streifen von beiden. Schöne Besprechung! :)

09.02.2023 13:50 Uhr - Insanity667
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Schöne und ausführliche Besprechung zu einem tollen Film! "Der Falsche Mann" ist irgendwie ein kleiner, vergessener Sonderling in Hitchcocks Schaffensphase zu dieser Zeit, bedenkt man, dass sich der Meister Mitte der 50er bereits mit eher heiteren, romatisierteren und... "bunteren" Thrillern beschäftigte, in denen er seine "Fälle" eher auf eher auf abenteuerlich unkonventionelle Weise verhandelte, nicht vor Gericht. Dieses Werk ist inhaltlich und thematisch, vielleicht auch stilistich - zumindest meiner Meinung nach - näher am von Dir genannten "Im Schatten des Zweifels" oder dem von Dissection genannten "Der Fall Paradin" dran. Trotzdem ein schöner, spannender Film, keine Frage! :)

09.02.2023 17:42 Uhr - lamb
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"Der Falsche Mann" ist irgendwie ein kleiner, vergessener Sonderling in Hitchcocks Schaffensphase zu dieser Zeit


Tatsächlich ist das so, zumindest übergeordnet. Allerdings wundert es, da der Film zu hundert Prozent Hitch ist, wenn auch Prolog und Epilog Murks sind. Ein typisches Highlight, wenn man so will.

Na ja, schön ist jedenfalls, dass es weiterhin Fans von ihm gibt und es lohnt sich ja durch und durch. Es gibt keinen vergleichbaren Filmemacher.

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