Heute nehmen wir mal die neueste Verfilmung eines Tom Clancy-Bestsellers unter die Lupe, und zwar (der Titel wird mal mit und mal ohne den Namen des Autors genannt)
Tom Clancy’s “Gnadenlos”
(“Without Remorse”)
Vorab muss ich anmerken, dass ich ein relativ zwiespältiges Verhältnis zu Clancy-Verfilmungen habe, und teilweise ziemlich lange gebraucht habe, um mich an den einen oder anderen Film zu gewöhnen. Das hängt damit zusammen, dass bei den Filmen teilweise sehr viel Material und wichtige Bestandteile der Bücher unter den Tisch fielen [„Die Jagd auf Roter Oktober“ 1990) oder „Das Kartell“ 1994) und/oder wesentliche Veränderungen an der zugrundeliegenden Story vorgenommen wurden. Beispielsweise wurden bei „Der Anschlag“ (2004) aus arabischen und deutschen, ehemaligen RAF-Terroristen – um niemanden zu sehr auf die Füße zu treten - mal eben Neo-Nazis, die von einem Krieg zwischen den Großmächten profitieren wollen, was schon eine ziemlich beknackte Idee ist. Aber klar, bei dumpfem Faschopack kann sich keiner beschweren. Nun war also „Gnadenlos“ an der Reihe, einer der meiner Meinung nach besten, düstersten und härtesten Romane von Clancy. Hier wird die Vorgeschichte von CIA-Agent John Clark (ehemals Special Forces Soldat John Kelly) erzählt, ursprünglich eine Nebenfigur aus verschiedenen Romanen um den CIA-Analytiker Jack Ryan, die sich hier auf einen im wahrsten Sinne des Wortes gnadenlosen Rachefeldzug begibt.
Kommen wir zur Story des Films: Bei einem geheimen Kommandoeinsatz in Aleppo stoßen Navy SEAL John Kelly und sein Team (versehentlich?) statt auf syrische Freischärler auf russische Soldaten und ein geheimes Waffendepot. Trotz der Überraschung wird die mögliche Gefahr umgehend neutralisiert, allerdings nicht ohne Verluste. Ein paar Monate später. Plötzlich beginnen Unbekannte, die Soldaten aus Kellys Team zu ermorden. Auch Kelly wird in seinem Haus angegriffen. Er kann die meisten Angreifer ausschalten, aber nicht verhindern, dass seine hochschwangere Frau bei dem Anschlag getötet wird. Der Anführer des (wahrscheinliche russischen) Killerteams kann entkommen. Nun wird Kelly nur noch von dem Gedanken an Rache angertrieben. Um den letzten Killer zur Rechenschaft zu ziehen, lässt Kelly sich auf eine von dem zwielichtigen CIA-Agenten Robert Ritter initiierte Kommandooperation in Murmansk ein. Bevor er den Killer zur Strecke bringen kann, erfährt er allerdings, dass dieser auch nur Teil einer größeren Verschwörung ist, deren Hintermänner sogar in Washington D.C. sitzen…
Respekt, was man hier zusammengestümpert hat - das muss man erst einmal schaffen. „Gnadenlos“ ist eine Romanverfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Tom Clancy („Jagd auf Roter Oktober“, „Stunde der Patrioten“, „Der Schattenkrieg“, „Das Echo aller Furcht"). All diese Romane wurden verfilmt als „Jagd auf Roter Oktober“ (1990), „Stunde der Patrioten“ („Patriots Game“ 1992), „Das Kartell“ („Clear and Present Danger“ 1994) und „Der Anschlag“ („The Sum of all Fears“ 2002). Zu „Jack Ryan: Shadow Recruit“ von 2014 gibt es keine Romanvorlage.
Das Problem bei „Gnadenlos“ ist folgendes: Die Verfilmung hat absolut nichts mit dem Buch zu tun! Wäre das Ganze ein Aufsatz in der Schule, könnte das Fazit des Lehrers nur lauten „Thema verfehlt, setzen, sechs!“. Man hat tatsächlich lediglich ein paar Namen („John Kelly“ alias „John Clark“, „Robert Ritter“ und der Nachnamen „Greer“) aus einem von Clancys besten Büchern genommen, und den Rest außen vorgelassen. Im Roman geht es um den Ex-Soldaten Kelly, der sich um eine Frau kümmert, die einem Prostitutions-, Mädchenhändler- und Rauschgiftschmugglerring entkommen möchte. Zwei kaputte Seelen, die sich langsam gegenseitig aufrichten. Als das Mädchen dennoch brutal gefoltert und ermordet wird, beginnt Kelly (neben einer von der CIA geplanten Kommandoaktion) einen gnadenlosen Rachefeldzug gegen die Hintermänner (das Buch ist sicherlich Clancy härtester Roman - ich sage nur "Folter mittels Druckkammer"). Als dann auch noch ein zweites Mädchen, welches gegen die Gangster aussagen wollte, ebenfalls getötet und öffentlich „präsentiert“ wird, dreht Kelly endgültig durch…. Daraus hätte ein wahrer Brocken von Film werden können – tja, wenn man denn das eine oder andere Detail aus dem Buch genutzt hätte. Auch das Austauschen des Vietnamkrieges gegen einen neueren Konflikt wäre kein Problem gewesen. Aber komplette Fehlanzeige. Alleine für diesen unglaublich dreisten Etikettenschwindel, der den Namen „Tom Clancy“ auch noch in vielen Ländern im Titel führt, müsste man den Film mit 0 Punkten abstrafen.
Aber, höre ich nun einige Mahner einwenden, man dürfe nicht jede Romanverfilmung nur streng mit der Vorlage vergleichen, da die Bücher in solchen Fällen meist eh besser abschneiden. Ich habe auch versucht, den Film als reines Popcorn-Actionkino, ohne jegliche Verbindung zu Tom Clancy, zu schauen. Aber selbst hier versagt „Gnadenlos“ (fast) auf ganzer Linie. Ist der Angriff auf Kelly Haus durchaus noch gelungen inszeniert, erreicht der Rest des Films allerhöchstens passables TV-Niveau. Aber selbst das lässt sich problemlos toppen (z.B. bei der russischen Military/ SciFi-Miniserie „The Blackout“ 2019). Zudem gehen auch relativ schnell Logik und rationaler Verstand flöten. Die Idee, ein Auto mit einem verdächtigen russischen Diplomaten zu rammen, mit Benzin zu übergießen, anzuzünden und sich dann ins Auto zu dem Verdächtigen zu setzen, geht schon stramm in Richtung hirnverbrannt. Bevor Kelly den Oberbösewicht mit seinen Taten konfrontiert, kommt es als „Vor-Finale“ zu einem viel zu langen und erstaunlicherweise wenig aufregendem Feuergefecht in einem russischen Häuserblock. Ne nee, das war leider nix. Filme & Serien wie „Thirteen Days“ (2000), „Hunter Killer“ (2018), „Strike Back“ (2010), „Homeland“ (2011) oder „Designated Survivor“ (2018) haben sehr viel mehr mit Tom Clancy zu tun als dieser halbgare Einheitsbrei.
Das ist umso bedauerlicher, da die Regie bei dem Film in den Händen von Stefano Sollima (Sohn von Sergio Sollima) lag, der vorher mit „Gomorrha – Die Serie“ oder „Sicario 2“ bewiesen hatte, dass er es eigentlich besser kann. Man mag auch kaum glauben, dass tatsächlich Taylor Sheridan (Autor von so brillanten Filmen und Serien wie „Sicario“ (2015), „Hell or High Water“ (2016), „Wind River“ (2017) oder „Yellowstone“ (2018)) hier an Story und Drehbuch mitgeschrieben hat.
Als Hauptdarsteller arbeitet sich Michael B. Jordan („Fruitvale Station“ (2013) „Creed“ (2015), „Black Panther“ (2018)) ohne allzu viel Charisma und ohne emotional sonderlich involviert zu sein, mühsam durch den Film. Lediglich als er seine erschossene Frau im Bett findet, blitzt kurz so etwas wie Hilflosigkeit und Trauer auf, ansonsten geht er relativ unbewegt Richtung Finale. Zu keiner Zeit spürt der Zuschauer etwas von der Verzweiflung, dem Durst nach Rache oder den Hass auf die Verbrecher, wie es der Leser des Buches erfährt. Vor mehreren Jahren wurde bei Keanu Reeves wegen der Hauptrolle angefragt, dieser lehnte ab (wobei sein „John Wick“-Charakter gar nicht soo weit von John Kelly entfernt ist). Andere Stars, die für diese Rolle in Betracht gezogen wurden, während das Drehbuch in der Development Hell schmorte, waren Laurence Fishburne, Gary Sinise oder Tom Hardy. Jeder einzelne dieser Darsteller wäre eine bessere Besetzung gewesen als Mr. Jordan. Alle anderen Rollen im Film (Jodie Turner-Smith, Jamie Bell, Guy Pearce, Cam Gigandet) sind eigentlich nicht weiter erwähnenswert. Lediglich Jamie Bell als zwielichtiger CIA-Mann Robert Ritter, bei dem man nie genau weiß, woran man bei ihm eigentlich ist, liefert eine durchaus solide Vorstellung ab. Hinzu kommt dann, dass jeder halbwegs aufmerksame Zuschauer den finsteren Oberbösewicht, der hinter dem Ganzen steckt, bereits zwei Meilen gegen den Wind wittern kann (nicht zuletzt durch die Besetzung). Weitere Aspekte wie Kamera, Filmmusik oder Schnitt sind einfach nur da und fallen nie besonders auf - weder im positiven noch im negativen Sinne.
Als Fazit kann ich allen Tom Clancy-Fans nur raten, den Film wie einen schweren Autounfall zu meiden und weiträumig zu umfahren. Wen es nur nach ein wenig Action gelüstet (und der zufällig Amazon Prime-Abonnent ist), der kann natürlich mal einen vorsichtigen Blick riskieren, würde aber mit dem oben von mit genannten „Strike Back“ oder „Hunter Killer“ weitaus besser fahren. Oder man schnappt sich konsequenterweise gleich einen B-Movie Streifen von Leuten wie Jesse V. Johnson, Isaac Florentine oder Roel Reiné – da bekommt man auch zumeist das, was man erwartet.
3/10 Punkte
3/10