Diva
Herstellungsland: | Frankreich (1981) |
Genre: | Drama, Liebe/Romantik, Thriller |
Bewertung unserer Besucher: |
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Note: 9,50 (2 Stimmen) Details |
Inhaltsangabe:
Der junge Postbote Jules ist ein großer Verehrer der weltberühmten Opernsängerin Cynthia Hawkins. Als es ihm gelingt, einen illegalen Mitschnitt eines ihrer Konzerte zu bekommen, ist er überglücklich - denn die Diva will ihre Opernauftritte nicht aufnehmen und auf Platte veröffentlichen lassen. Jules' Tonbandaufnahme wird jedoch verwechselt mit dem Band eines ehemaligen Callgirls, auf dem Informationen über die Machenschaften einer Gangsterbande zu finden sind. Als die Gangster dieses Band zurück haben wollen, gerät Jules in tödliche Gefahr. (Studiocanal / Arthaus)
Ein Auto hat mithilfe eines Krans den Boden verlassen. Eine Tür des Fahrzeugs ist offen. Liegt da ein kleines Mädchen auf dem Beifahrersitz? Oder eine Puppe? Der Abgrund ist so nah! Nur Zentimeter entscheiden über Leben und Tod. Falls es sich um einen Menschen handelt. Wenn es ein echtes Mädchen wäre. Das, was da auf einem riesigen Kunstwerk abgebildet ist, wahrscheinlich mit Sprühmalerei erschaffen.
Meines Erachtens, ist dieses Bild, welches in dem Quartier des Protagonisten zu sehen ist, exemplarisch, für die vielen kleinen und großen ungewöhnlichen Dinge, die DIVA so berauschend kunstvoll, schwer definierbar, unkonventionell, mutig, eigenartig und so vieles mehr machen. Eine klassische Story und zuverlässig erdachte Figuren sucht man vergebens. David Lynch, Dario Argento, Phil Stevens (Flowers), Gaspar Noé, Jörg Buttgereit, Lars von Trier, Marian Dora, usw., es gibt viele Künstler, die gerade daher so interessante filmische Kunstwerke gestaltet haben, weil sie sich nicht einfach erklärt haben. So ein kreativer Kopf ist auch der im letzten Jahr verstorbene Regisseur Jean-Jacques Beineix (Betty Blue), schon aufgrund seines Spielfilmdebüts, DIVA. Vier Césars gab es dafür. Mit der Zeit stieg die Anzahl der Kritiker, die diesem Unikat verfallen waren, und die Begeisterung prägte das Prädikat KULTFILM. Als ich der Sache nachging, wieder auf der Suche nach dem Ungewöhnlichen, dauerte es eine Weile, bis ich zu erfassen vermochte, warum DIVA in der Regel so beliebt ist. Fast zwei Stunden sowie etwas Nachspielzeit in Geist und Seele brauchte ich dafür. Eine wunderbare Inszenierung, ein Großstadtmärchen, Film Noir, unbändige Kreativität.
Dieses Werk ist auch Daniel Odier zu verdanken. Der Schriftsteller, Drehbuchautor, einen Film lang Akteur (Rock), offizieller Tantra-Maestro und weiß nicht was, hat die Basis dieses Films verfasst. Unter dem Pseudonym Delacorta veröffentlichte er Kriminalromane, die ihm auf einem großen Teil der Welt einen Namen machten. Einer seiner Romane sollte als La voie sauvage verfilmt werden, und von denen, die so charakteristische Titel wie Nana, Lola, Alba, Luna und Vida haben, wurde DIVA auch in Szene gesetzt, wie man unschwer an dieser Stelle erkennen kann. Die Figuren Alba and Gorodish kommen in jedem dieser Romane vor. Beineix und Jean Van Hamme (Largo Winch) fanden eigene Worte, um das Konzept der Verfilmung von DIVA zu ebnen.
Einer dieser Filme, bei denen die Affinität von Bildsprache und Story eine extravagante Suggestivkraft hat. Einige Szenen sind jedoch losgelöst von einer prozessualen Funktion, ihre Effektivität ist ein punktuelles Geschehnis.
Die Detailaufnahme von dem geflügelten Emblem eines Rolls-Royce ist ein guter Anfang, es ziert Jules Schwalbe. Auf der Straße fahren alle Gesellschaftsschichten aneinander vorbei, dieser Postbote ist nicht zu banalisieren. Dem Protagonisten werden Nachrichten, Kontakte und Botschaften anvertraut. Seine Flexibilität im Straßenverkehr leitet noch umwerfende Verfolgungsjagden ein. Bis dahin belächeln ihn ahnungslose Personen dafür, dass er eine angeblich wenig wichtige Position in der Gesellschaft hat, und billige Zweiräder. Wie dieser junge Mann lebt. Sein Heim bietet so gerade eben noch einen Schlafplatz, einen zum Sitzen, oder Kochen. An diesem Ort bewahrt Jules mehrere Oldtimer auf. Zumindest stehen sie dort. Unfälle haben die ausrangierten Fossile stark aus der Form gebracht. Fenster sind kaum auszumachen, aber der Ausblick ist schön. An den Wänden sind nämlich keine Tapeten, sondern riesige Bilder, die darstellen, was mit Oldtimern möglich ist. Theoretisch. Bei Jules können Besucher sogar auf Bildern gehen. Über Freunde, Bekannte, Familie, jegliche Beziehungen, weiß man nichts. Die Hauptfigur geht aber offen auf Menschen zu. Auch auf Cynthia Hawkins, die gefeierte Opernsängerin aus Amerika. Er wird lange dafür gespart haben, um ihre Stimme zu erleben.
Folgt die Kamera der Form eines architektonischen Gebildes, denke ich meistens an Dario Argento. Der wird genossen haben, auf welche Art und Weise es Kameramann Philippe Rousselot (Oscar für Aus der Mitte entspringt ein Fluss) gelungen ist, das Opernhaus in Paris einzufangen, in dem Jules wiederum die Gesangskunst der Diva genießt. Im Publikum fallen bereits ein paar Figuren auf, die zunehmend an Bedeutung gewinnen werden. Stille. Ein großes Orchester beginnt zu spielen. Fond der Sängerin, die viele treu ergeben schweigen lässt, und den Protagonisten ein bisschen in die Richtung eines Stendhal Syndroms schubst, so bewegt ist der. Von Frédéric Andréis (Paris minuit: auch Regie) Mimik ist das gut abzulesen. Den gesunden Stolz und die kraftvolle Stimme hat die Diva von Wilhelmenia Fernandez (Der Mann im Hintergrund), sie beeindruckt u. a. mit "La Wally", Werke von Charles François Gounod († 1893) und "Ave Maria." Fernandez verlieh ihre Stimme mehreren Filmen, wenn auch nur dem Soundtrack. Ein paar Arrangements und Kompositionen, die eher weniger klassisch sind, stammen vom äußerst kompetenten Vladimir Cosma (Bisher 15 Auszeichnungen!). Ich bin dankbar dafür, dass die klassische Musik auch inspiriert von einem meiner Lieblings-Klassiker, dem Pariser Éric Satie (†1925), komponiert wurde. Vor der Bühne kann Julez nur davon träumen, diese Frau, die er nun auch so schön findet, mit Saties unvergänglichen Klavierklängen dazu näher kennenzulernen. Sein Traum wird wahr werden, zugleich ein Albtraum. Cynthia kann seiner Freimütigkeit nicht ganz widerstehen. Ihre Verbindung hat viele Seiten, die von Anfang an entstehen. Der schmale junge Mann mit seiner zaghaften Stimme wirkt neben der energiegeladenen Diva, deren Stimmgewalt bedeutsam ist, spannend divergent.
Die Story besteht aus mehreren äquivalenten Erzählsträngen, deren Abläufe zum Teil zeitgleich dargestellt werden. Das ist jedoch nur der Rahmen, dazwischen findet die Magie dieses Films statt. Das Fundament stellt Jules schicksalhaften Opernbesuch und kurz danach einen Mord als Ausgangspunkt dar, und die Wege dieser Erzählstränge kreuzen sich.
Cynthia gilt als Diva, da sie sagt, dass ihr Gesang nicht verkäuflich ist, immer nur von einem Moment lebt, der jedes Mal anders ist. Etwas, was sie mit Menschen dann teilt. Das würde nicht anders möglich sein, ein Verkauf anderer Art wäre nur dazu da, Geld zu verdienen. Auch daher ist sie einzigartig. Ausgerechnet ihr größter Fan nimmt sie heimlich auf, und das weiß die Sängerin nicht, als dieser ihr langsam ans Herz wächst. Allerdings sind mehrere andere Parteien an dem Tonband, oder an einem anderen mit wichtigen Informationen, interessiert. Diesbezüglich reichen verbrecherische Energien in viele gesellschaftliche Bereiche. Korruption, Menschenhandel, illegale Prostitution, Ausbeutung von Immigranten und Mord vervollständigen das Bild von Paris. Verkäuflichkeit, der Mensch als ästhetisierte Partien verschiedener Maschinerien, diese Prinzipien werden unterschiedlich betrachtet.
Die Figurenkonstellation erinnert an die Überschneidung von Helden, Antihelden und Bösewichten, wie sie Jim Jarmuschs Filme (Ghost Dog, Dead Man, Only Lovers left behind, Reviews vorhanden) häufig offeriert.
Jules hat ein Gespür für außergewöhnliche Menschen. Im Plattenladen spricht er Alba an. Er wird ihr Aussehen mögen, und die Keckheit der jungen Frau bricht das Eis der Richtigen. Den Verkäufer führt Alba an der Nase herum, indem sie in ihrer Mappe mit Aktfotos von sich eine Platte aus dem Laden schmuggelt. Jules: "Warst du das, auf den Fotos?" "Nein, das war ein Krokodil." So ungewöhnlich und gedankenreich, die Anziehungskraft wird erkannt, eine Freundschaft bahnt sich an. Die in Saigon geborene Thuy An Luu (Saigon) hatte genügend Witz für diese Figur. Es ist davon auszugehen, dass nur Alba weiß, warum sie eine großräumige, fast leere Bleibe, mit Serge Gorodish (großartig: Richard Bohringer: C'est beau une ville la nuit: auch Regie und Vorlage!) teilt. Der ihr schließlich mal -wenn auch unernst- damit droht, sie wieder auf die Straße "zum Vietkong" zu schicken. Jules darf sich dazugesellen. Das Miteinander ist ein gelebter Eskapismus, der für das Wesen der Drei nötig ist. Welche berufliche Position jemand hat, ist nicht Thema, die Identifikation und Kategorisierung wird beispielsweise dadurch bestimmt, wer wortgetreu eher Lyriker oder Lyrikerin, Dramatikerin oder Dramatiker ist, was den Sprachgebrauch angeht. Irgendwie besteht da etwas Liebe zu Alba. Das geht nicht nur mir, sondern auch ihren Freunden so, möchte ich meinen. Die Hauptfigur stellt nichts infrage, schenkt Serge, der inmitten des Raumes rauchend in einer gefüllten Badewanne verweilt, etwas von Cynthias Gesang, während Alba um sie herum mit Rollschuhen fährt, eine Mischung aus Obertongesang und Didgeridoo ist danach zu hören. In Richtung Wanne sammelt sich das Licht durch die großen Fenster gleichmäßig auf dem Boden, eine Komposition zum Dahinschmelzen. Geben sich Serges Worte passioniert mit Gusto der Großartigkeit des französischen Baguettes hin, auf dem Kopf eine Tauchermaske mitsamt Schnorchel, ist es wohl wieder jedem selbst überlassen, ob dieser Freiheitsgedanke infantil ist. Bei Jules kann Alba ein Hüpfspiel spielen, ihre nackten Füße landen gekonnt auf den Brustwarzen einer nackten Frau aus Farbe. Serge sei einer, der davon träumt, die Wellen aufzuhalten. Er besitzt ein tatsächliches Perpetuum Mobile, eine Art Waage aus Glas, in der sich eine blaue Flüssigkeit nimmermüde von links nach rechts und umgekehrt bewegt. In Serges Wohnung steht blaues Licht über allem, die sanfte, beruhigende Farbe zieht ihre Kreise. Sie schließt sich Jules an. Betörend, wenn er davon umgeben zusammen mit der Diva in der ruhigen Dämmerung die Schönheit von Paris mitsamt der vielen kulturellen Einflüssen erkundet. Diese Figuren haben ein Lebensgefühl, das seinen eigenen Sinn hat. Manchen Kontrahenten geht es ähnlich, nur ganz anders, sie lassen nicht lange auf sich warten. Und zwei davon, sowie deren Taten, möchte ich näher beschreiben.
Killer. Einer wird von Dominique Pinot gespielt, es handelt sich um sein Debüt. Ich glaube, es waren Jean-Pierre Jeunets Filme, Die fabelhafte Welt der Amelie sowie Alien: Resurrection, durch die ich Pinot das erste Mal sah, und nie vergaß. In DIVA ist er einer, dem wirkliche Freude möglicherweise unbekannt ist. Egal wo, auch in der Nacht, trägt er eine Sonnenbrille, mit eiserner Miene. Der Mann sagt so wenig wie möglich. Dieses einprägsame Aussehen und damit auch die Präsenz, zu fokussieren, obwohl sein Partner (gut: Gérard Darmon: Betty Blue) verschwommen im Hintergrund spricht, einzigartig wirksam. Ihre skrupellose Vorgehensweise kann auch als eine Parabel verstanden werden, die aufzeigt, wie egoistisch und seelenlos Teile der Pariser Gesellschaft sind. So morden sie in einer Szene dürftig verborgen vor den Augen anderer, aber die unmittelbare Umgebung denkt auch dann nur darüber nach, inwiefern sie davon überhaupt betroffen ist. DIVA ist in solchen Szenen überraschend ironisch. Jules versucht den vielen verschiedenen Verfolgern offenkundig wissentlich auf eigene Faust zu entkommen. Rast er mit einem Moped in der Totalen oder Halbtotalen über lange Treppen, und anschließend neben der Untergrundbahn, begleitet von sphärischen Klängen, scheint er wieder nicht von dieser Welt zu sein, aber ebenso merkwürdig unaufhaltsam. Auch an dieser Stelle, ist es eine Freude, wie die Szenenbilder mit höchst anspruchsvollen Licht - und Schattenverhältnissen gemeistert wurden. Solch verschiedenartigen Motive und riskanten Kamerafahrten, die Adrenalin bewirken, verlangten großartige Schnitte. Danke, Monique Prim (Betty Blue) und Marie-Josèphe Yoyotte (1929-2017, Sie küssten und sie schlugen ihn). Das blaue Licht wird kälter, letztendlich verfärbt es riesige, ausgediente Industriehallen, beendete Mechanismen, wo die Figuren klein sowie unkenntlich sind. Und es wird sich noch zeigen, ob blutig darüber entschieden wird, wer oder was als Nächstes endet.
Filmfans, die sich auf einen abstrakten Ideenreichtum ohne Konventionen einlassen können und möchten, sollten DIVA eine Chance geben. Die Story ist ein ertragreicher Nährboden für Philosophien und Interpretationen. Erfreulicherweise kann sich die Ratio aber auch ausruhen, denn die zahlreichen geheimnisvollen Eindrücke haben das Potenzial, unmittelbar effektiv zu sein. Wie ein Konzert.
Kommentare
06.03.2023 14:43 Uhr - Dissection78 |
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06.03.2023 14:53 Uhr - Insanity667 |
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06.03.2023 16:00 Uhr - cecil b |
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06.03.2023 18:43 Uhr - Insanity667 |
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06.03.2023 18:49 Uhr - cecil b |
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YEAP! Hab Lust, mal wieder Tenebre zu sehen. Aber, Filme, die ich noch nicht kenne, drängen mich auch. ;)
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06.03.2023 19:20 Uhr - Dissection78 |
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06.03.2023 19:58 Uhr - cecil b |
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06.03.2023 21:56 Uhr - Insanity667 |
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Stimmt, "Subway"! Wow, jetzt wo Ihr es sagt! :)
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