Abschaum - Scum
Originaltitel: Scum
Herstellungsland: | Großbritannien (1979) |
Standard-Freigabe: | FSK keine Jugendfreigabe |
Genre: | Drama |
Alternativtitel: | Abschaum - Höllenloch der Gewalt |
Bewertung unserer Besucher: |
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Note: 8,40 (5 Stimmen) Details |
Inhaltsangabe:
Carlin, Angel und Davis, drei jugendliche Straftäter, werden in die berüchtigste Erziehungsanstalt Großbritanniens verlegt. Dort herrscht ein brutales System, dass von der Gewalt der Wärter und der Insassen untereinander genährt wird. Carlin erkennt, dass es nur einen Weg für ihn gibt, um in diesem Höllenloch nicht unterzugehen: Er kämpft sich in der Hierarchie der Gefangenen nach oben und wird schließlich zum "Daddy", dem großen Anführer. Doch an der Spitze angekommen, will Carlin nicht nur einfach seine Zeit absitzen, sondern das System innerhalb der Gefängnismauern zerschlagen. Ein blutiger Gefangenenaufstand nimmt seinen Lauf... (I-ON DVD Cover)
Zu wirklichkeitsnah.
Die wilden Siebziger. Wild ? Eine Zeit voller Umbrüche. Der Auflehnung gegen diverse gesellschaftliche sowie politische Gepflogenheiten, erschreckt vom katastrophalen Vietnamkrieg und von politischen Affären, zahlreiche Bürger gingen auf die Barrikaden. Auch die Filmwelt konstatierte und verarbeitete kritische Gesellschaftsbilder. TAXI DRIVER jagte Angst ein, die Verfilmung von EINER FLOG ÜBER DAS KUCKUCKSNEST stellte einen rebellischen Aufschrei gegen zweifelhafte hierarchische Systeme dar. 1977 realisierten Regisseur Alan Clarke (†1990) und Drehbuchautor Roy Minton (Horace) den ähnlich reflektierenden SCUM für das Fernsehen. Da der BBC dieser Film aber zu sehr nach einem Dokumentarfilm aussah, und die Verantwortlichen glaubten, dass die Aufzählung von so vielen schrecklichen Vorfällen fragwürdig fiktional die Realität abbilde, wurde SCUM stark zensiert, und erst 1991 komplett gesendet. Daher beschlossen Clarke und Minton 1979 SCUM mit fast der gleichen Besetzung noch einmal für das Kino umzusetzen. Und diesen Film stelle ich vor, garantiert ungeschnitten.
SCUM ist mehr als ein bestimmtes Zeitbild. Dieses Drama könnte in den Fächern Erziehungswissenschaften, Soziologie und Psychologie gezeigt werden, wenn die Darstellung der Gewalt nicht so hart wäre. Oder? Wenn dieser Film heutzutage im Unterricht zugelassen werden würde, welche Folgen hätte das denn? Mit schwitzenden Händen würde dann wohl manchmal geflüstert werden: "Boah heftig.", bis dann alle gesenkten Hauptes schweigen. Höchstwahrscheinlich könnte man junge Stimmen hören, die vieles mit Humor überspielen wollen, womöglich noch theoretisieren, was die Sender in der dargebotenen Lage gemacht hätten. Ein sogenannter Runterzieher, nach dessen Ende sich jede Person, die die Pädagogik vertritt, dazu bewogen fühlen müsste, zu erwähnen, dass der Drehbuchautor natürlich für das Kino übertrieben habe. Mit dem Bedürfnis, dass dem so ist. Der Film lässt aber auch daher nicht kalt, weil er großenteils realistisch ist. Darüber hinaus ist das Sujet in unterschiedlichen Kontexten wiederzufinden, und somit zeitlos.
Der Protagonist gibt vorerst die Möglichkeit zur Identifikation, dann, was schlichtweg genial ist, verändert er sich so, dass die Figur diese Aufgabe im Normalfall nicht mehr erfüllt. Wünschenswert erschreckend, dass der Stimulus die natürliche Schlussfolgerung erkennen wird, warum er zu einer Bestie wird. Die Hintergründe der 'Insassen', ihr Leben außerhalb der prinzipiellen Gitter, sind nur schemenhaft im Fokus. Sofort sind sie der Situation ausgeliefert, in der die Persönlichkeit von Menschen auf beiden Seiten der Türen von einem System unterjocht und beeinträchtigt oder verändert, sogar gebrochen wird. Die jungen Männer bekommen eine Erkennungsnummer, und Vorgaben, wie sie zu sein haben, der Verbot der individuellen Entfaltung. Es sei denn, sie fügen sich in die Hierarchie ein, die nicht wirklich nach dem Gesetz, Gerechtigkeit oder Hilfe ausgerichtet ist. Wer dort arbeitet, ist gefälligst ein Rädchen im Getriebe, Rassismus, Sadismus und vor allem Machtmissbrauch sind normale Bestandteile der Karriereleiter, wenn auch im Verborgenen. Ein völlig fehlgeleitetes Konzept, das auch dadurch als solches gekennzeichnet ist, dass selbst junge Männer mit geistigen Einschränkungen dort untergebracht werden. Eine Einrichtung, in der es praktisch nichts gibt, was die Sinne angenehm reizt. Wodurch Menschen zusätzlich partiell verfallen, und das soll auch so sein. Ihre Energie wird in der dargestellten Erziehungsanstalt sogar dafür verbraucht. So manches Individuum eifert der einzigen vermeintlich befriedigenden Handlungsweise nach, der Machtdemonstration durch die Unterdrückung anderer.
"Tempo!, Tempo!, Tempo!", das sind noch die harmlosesten Schreie, die auf die Neuzugänge einwirken. Eine Mischung aus Militärschule und Zuchthaus soll nur spekulativ einen Neuanfang bedeuten, das ist Bestrafung, psychische Folter, versteckt hinter dem häufig erwähnten Anglikanismus. Die Strukturen, die die Justizvollzugsbeamten umsetzen, expandieren grundsätzlich, indem zum Teil mit Gefangenen gemeinsame Sache gemacht wird. Eine Erweiterung der pervertierten Führung. SCUM hat seine Figuren offensichtlich eingeteilt. Das ist beispielhaft, sinnbildlich, zweckdienlich für die Botschaft, die Kritik an den umfangreichen Grausamkeiten, die die Realität weitergegeben hat. Die jungen Figuren haben kaum die Möglichkeit, viele Facetten zu zeigen, sie unterliegen einer menschenverachtenden Restriktion.
Carlin, der Neuling, hat die Miene eines eingeschüchterten Jungen. Der ausgeuferten Dominanz der Straftäter, die ihre Strafe absitzen, oder beruflich in der Erziehungsanstalt tätig sind, hat er noch nichts entgegenzusetzen. Seelische und körperliche Gewalt sollen ihm seine Position innerhalb der Hierarchie vor Augen führen. Ich weiß nicht, was ich am Spiel von Ray Winston besser finde. Dieses Kaninchen vor der Schlange, oder der spätere tollwütige Hund, eine der furchteinflößendsten Figuren der realistischen Filme. In SEXY BEAST war Winston auch fundamental. Er kann es einfach. Wer Carlin da gegenübersteht. Einer der vielen Bosse, die nur unterschiedlich fragwürdig vorgehen, und auch anscheinend keine andere Wahl haben, ist Eckersley. Der gesunde Menschenverstand will so eine Person fast nicht wahrhaben. Ray Burdis (Final Cut) hat dafür die nötige Präsenz, auf Augenhöhe mit Sergeant Hartman aus Full Metal Jacket. Sein Befehlston: "Ich werde euch schuften lassen, bis euch das Wasser im Arsch kocht!!!!!" Auch John Blundell (Die Bombe fliegt) überzeugt als fieser "Daddy" mit seinen Lakaien. Alrick Riley (Money Talk) ist Angel, einer der "Bananenfresser." Großartig, wie dieser versucht, nicht den Verstand zu verlieren. Dafür braucht Angel sehr viel Stärke. Davis ist dazu verdammt, ein nicht anerkannter Spielball zu sein. Der kleine, schmächtige Halbwüchsige hat keine Chance, diesem Schicksal zu entgehen. Schwer zu ertragen. Ich werde es Julian Firth (The Last Duel) niemals verzeihen, dass er das so glaubwürdig gespielt hat. Atemberaubend ist auch Mick Ford ( Fernsehserien, u. a. William and Mary), der Archer spielt. Diese Figur, sie ist in meinen Augen an Randle, den Protagonisten aus Einer flog über das Kuckucksnest, gespielt von Jack Nicholson, angelehnt. Archer provoziert die Verantwortlichen, hält ihnen zunehmend vor, dass sie ebenfalls Gefangene eines Systems sind, und er ihnen eigentlich überlegen ist, nicht nur auf der intellektuellen Ebene. Auch diese Figur funktioniert als exemplarische Darstellung eines wesentlichen Aspekts. Und das, ohne festgefahren zu sein. Sie zeigt ihr Selbstbewusstsein mit steigender Tendenz, beruhend auf der Erkenntnis. Im Gegensatz zu einigen anderen vor Ort, kann Archer lesen und schreiben. Bedeutsam, für diejenigen, die die Menschen, die ihnen nahestehen, durch Briefe in Erinnerung behalten wollen. Ich wage es zu behaupten, dass sich Fords Leistung mit Nicholsons besagtem Spiel messen kann. Was auch an Clarkes Regieanweisung liegen wird.
Die szenischen Verläufe sind dank der gut geschnittenen (Michael Bradsell: Heinrich V.) Auswahl von Perspektiven mitreißend. Phil Meheux (James Bond 007: Casino Royal) beeindruckte mich insbesondere aufgrund seiner langen Einstellungen, die doch tatsächlich ebenfalls bei dem langen Gang eine Treppe hinauf Präzisionsarbeit sind. Der junge 'Abschaum' wurde außerhalb des Gebäudes, bei der extrem harten Arbeit, und anderen Schikanen, vorwiegend in der Halbtotalen sowie der Totalen gekonnt festgehalten, untermalt vom verregneten Grau, oder Schnee. Ideenreichtum ersetzt ein hohes Budget oft. Musik existiert hier eigentlich nicht, Filmmusik wäre fehl am Platze. Ein einziges Mal läuft ein Lied aus dem Radio. Zumindest gedanklich kann man sich ein Bild davon machen, was so ein Gerät bedeuten kann. Der Regisseur hat da etwas Besonderes erschaffen. Zwar zeigt er auch Blut, aber die Brutalität ist häufig von anderer Intensität. Während der Szene, in der Carlins wutverzerrtes Gesicht das Bild füllt, und die Imagination sich ausmalen muss, was er gerade mit seinem schreienden Opfer anstellt, biss ich vielleicht etwas die Zähne zusammen, klopften doch wahre Begebenheiten an. Clarke hat solchen Szenen zeitlich viel Raum gegeben, um sie immens wirken zu lassen. Die Aussage einer der Personen aus der obersten Etage dieses Molochs, die besagt, dass traurige und bedauerliche Vorfälle ja überall vorkommen, tritt noch nach.
Ein hervorragender Schlag in die Magengrube.
Kommentare
23.03.2023 08:47 Uhr - Kassiopeia |
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23.03.2023 10:26 Uhr - JasonXtreme |
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![]() DB-Co-Admin ![]() ![]() |
Superbe Rezi, wie immer cecil! Dem kann ich nur beipflichten. Ich kannte den auch sehr lange nicht, bis dann die Beilage der PC-Action am Start war - klasse Streifen!
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23.03.2023 14:23 Uhr - cecil b |
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23.03.2023 16:29 Uhr - dicker Hund |
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25.03.2023 16:46 Uhr - cecil b |
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![]() Moderator ![]() ![]() |
Die Vergleiche ergeben Sinn! Freut mich! Vielleicht lässt du mich es wissen, wenn du den gesehen hast. :) |
28.03.2023 13:21 Uhr - Der Dicke |
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28.03.2023 17:16 Uhr - cecil b |
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