Nur schwerlich kann man sich vorstellen, wie sehr ich es ersehnt habe, einen Satz am Schalter meines Kinos des Vertrauens zu sagen: "Einmal zu John Wick 4 bitte." Seit seinem ersten Abenteuer hat mich Chad Stahelski von Baba Yaga, dem Kinohelden, den sie schicken, um den schwarzen Mann zu richten, restlos überzeugt. Lionsgate denkt derweil schon über ein Sequel nach und dieses fürchte ich...denn nie hatte ich so viel Angst davor, dass John Wick einmal meinen Geschmack verfehlen würde, wie jetzt, nach Teil 4, der alles bisher gesehene maßlos überbietet.
Unser ewig gequälter Protagonist, weiterhin dargestellt durch einen genialen Keanu Reeves, dem man mehrfach Masken aus Schweiß erlaubt,bekommt in John Wick 4 einiges vor die Flinte, das Messer oder, da fürchten sich die Briten, das Nunchaku. Fast wie in sogenannten Musou -Games, strömen pausenlos Massen von schier unaufhaltsamen Gegnern allseitig auf ihn ein und es sind diese Momente, in denen Chad Stahelski sein unvergleichliches Talent zum Kombinieren von Verve, Settings, Kameraperspektiven, Musik und vorallem brillanten Choreographien nutzt, um die Kinnlade des Zuschauers auf dem Grund des Mariannengrabens zu verewigen. Besondere Hingucker sind so nicht nur die legendäre Stairway to Heaven -Sequenz oder der feurigen Hotline Miami -Dragon 's Breath-Top Down -Abschnitt, sondern auch unvergessliche Konfrontationen mit Donnie Yens gewitztem Caine und Scott Adkins ' wuchtigem Killa, der seinem durch einen Fatsuit addierten Gewicht einiges an kämpferischem Können abgewinnt. Was sich hier vor den Augen des Zuschauers durchweg abspielt, habe ich in keinem anderen Actionfilm jemals erleben dürfen und das gilt dann wiederum auch schon für den Rest der ellenlangen aber hammergeilen, brachialen Actionsequenzen von John Wick 4.
Schön, dass da Bill Skarsgard als Obermotz die Franchise -Geschichte mal wieder mit einem memorablen Schuft ausfüllt. Sein Ego und seine Arroganz schenken ihm Präsenz in vielerlei Szenen, besonders, wenn er einem armen Tropf per handgemachtem Effekt die Hand zerschneidet. Zu dem möchte ich auch gleich kommen. Wie alle Figuren im Wickversum, ist Shamier Andersons Tracker eine ziemlich spannende Figur, die gleich mal den Hund des Filmes sponsored. Immer da,immer nah, ist John Wicks mysteriöser Verfolger ein Gamechanger in vielerlei Situationen, was die Dynamik zwischen ihm und Reeves' Figur sehr interessant macht. Das Band zwischen Wick und Ian McShanes perfekt dargestellten Winston besteht derweil immer noch. Und ja, an Winstons Seite wird auch wieder der zu früh verstorbene Lance Reddick stehen, dem man seinen eleganten Charme und seine mysteriöse Ader einfach immer wieder abkauft.
Die Autoren Michael Finch und Shay Hatten treten anfangs in die Fußstapfen von Derek Kolstad und wissen nicht wirklich, was sie zwischen den ausufernden, ungehaltenen Gewaltexplosionen erzählen sollen, aber in den richtigen Momenten treffen sie die richtige Note und darauf kommt es gegen Ende ganz besonders an, wenn das große Finale alte Westernschule abruft. Auditiv war ein Film selten so gut aufgestellt und das Integrieren einer DJane sorgt im dritten Akt noch für seine ganz eigenen, musikalischen Filmweltwunder. Visuell ist John Wick 4 ebenso bahnbrechend aufgestellt, die Umgebungen sind mit ihren neongetränkten Erscheinungen atmosphärisch bombastisch gewählt. Da wechselt man munter zwischen tanzenden, bebenden Rave-Höllen in berliner Clubs, dem Eiffelturm in Paris und den japanischen, natürlichen Schönheiten von Osaka und fängt diese in einem riesigen Farbspektrum mit krassen, geleckten, originellen Kamerafahrten ein. Wenige Kugeltreffer scheinen aus dem Rechner zu stammen, doch an dem zweifellosen Meisterwerk John Wick 4 ist so viel liebevoll mit Hand gemacht, dass es sich lohnt, diesen Umstand hier einfach mal unter den hohen Tisch zu kehren. Allein, wenn wir den blinden Caine erstmals mit seinen ganz eigenen Taktiken in Aktion erleben, fließt pure, heiße Kreativität durch das Nervenkostüm, welche den Puls hochtreibt und nie wieder Grund zur Entspannung geben soll.
Waren John Wick 1-3 noch gnadenlos taktsichere Balletstücke aus Action, ist Chapter 4 eine Oper in drei phänomenalen Akten. Wick 4 ist der beste Eintrag im Wick -Franchise und schlussendlich auch ein geborener Genremeilenstein, der die Konkurrenz vor seiner gewaltigen Messlatte erzittern lässt. Es wird lange dauern,bis wir einen solchen Film mal wieder vorgesetzt bekommen, sollte Ballerina nicht unverhofft noch größere Geschütze auffahren, was fast nicht möglich ist.
Deswegen rate ich jedem, dieses auf Film gebrannte Prestigeobjekt auf der großen Leinwand zu betrachten, denn wem es entgeht, der verpasst etwas. Und mit der Rezension zu John Wick 4 fällt auch der Vorhang meiner Rezensionen. Ich habe einfach gemerkt, dass die offensichtliche Altersdifferenz zwischen mir und der Schnittberichte -Community zu hoch ist, um einen vernünftigen Meinungsaustausch zu ermöglichen. Der Durchschnittswert für Wick 4 auf dieser Seite beträgt 6/10... das übersteigt mein Verständnis.
In diesem Sinne: Be seeing you.
10/10