Man nehme Tarantinos Inglourious Basterds samt seines kapitelartigen Aufbaus, gebe eine gehörige Portion Sergio Leone / Clint Eastwood dazu und vermische das Ergebnis mit einem bärenstarken Einzelkämpfer wie John Rambo. Fertig ist der intensive, streckenweise brutale, kurzweilige, finnische, historische Rache-Actioner Sisu - Rache ist süß (2022), der auf den Pfaden oberer Inspirationsquellen zitierend wandert und daraus auch keinen Hehl macht. Wobei die Macher mit dem gegen die rote Armee kämpfenden finnischen Militärscharfschützen Simo Häjä noch ein weiteres Vorbild genannt haben, was sicherlich auch seinen Einfluss auf die Handlung gehabt hat. Und ist der Film, den ich vor kurzem im örtlichen Lichtspielhaus gesichtet habe, sein Eintrittsgeld wert, bzw. uneingeschränkt empfehlenswert? Nicht ganz, denn obwohl der Streifen tatsächlich fast über die gesamte Laufzeit unterhalten kann, hat mich nach dem Verlassen des Kinosaals der Eindruck eingeholt: "Hej, da wäre noch einiges mehr möglich gewesen!". Mit ein paar Feinjustierungen an der richtigen Stelle hätte Sisu ein richtiger Knaller werden können, so hat es für lediglich befriedigende Unterhaltung gereicht, was ja auch aller Ehren wert ist.
Eigentlich wollte Regisseur Jalmari Helander nach Big Game als nächstes die Science-Fiction-Komödie Jerry und Ms. Universe auf die Beine stellen, doch die Corona-Pandemie ließ ihn umschwenken, so dass er Sisu - Rache ist süß als sein nächstes Projekt in Angriff nahm. Helander schrieb auch das komplette Drehbuch in Eigenverantwortung, bei dem die Handlung im Jahr 1944, kurz vor dem Ende des zweiten Weltkrieges in Lappland spielt: Der einsame ehemalige Kommandant und Goldsucher Aatami Korpi (Jorma Tommila) reitet mit seinem Pferd und seinem Hund durch die Wildnis von Lappland, als er auf den 30 köpfigen Waffen-SS Trupp vom skrupellosen SS-Sturmführer Bruno Helldorf (Aksel Henni). Nachdem die Deutschen sein Gold entdeckt haben, rauben sie Aatami aus und foltern ihn beinahe zu Tode. Doch Aatami ist widerstandsfähiger als gedacht und kämpft bis zum letzten Atemzug gegen die Übermacht, die ihn anscheinend unterschätzt hat, was sich als tödlicher Fehler herausstellt...
Wenn ich ehrlich bin weckt der Titel Sisu - Rache ist süß ein kleines bisschen falsche Erwartungen, denn ein Großteil der Laufzeit behandelt eher die alles entscheidende Frage, wie viel ein Mensch überhaupt einstecken kann, bevor er jämmerlich zu Grunde geht. Aatami wird gedemütigt, gequält, geschunden und gefoltert, doch er steht immer wieder auf, wie ein Stehaufmännchen. Er überlebt Dinge, die nicht zu Überleben sind und sein Durchhaltevermögen ist im übertragenen Sinne nicht von diesem Planeten. An der Spitze des Eisbergs übertreibt es der Film mit dieser Marschroute, wenn sich der gekreuzigte alte Mann sogar selbst befreien kann, was selbst mit Hinblick auf den bewussten Überzeichnungsgedanken zumindest für mich des Guten ein bisschen zu viel war. Dafür schlägt Aatami im etwas kurz geratenen Finale mit mindestens der gleichen Vehemenz zurück und vernichtet seine Feinde blutigst ohne auch nur einen Funken Gnade zu zeigen. Trotzdem kam mir persönlich der Rache-Part an der Geschichte etwas zu kurz, da die Tortur im Vergleich zur Vergeltung deutlich mehr Screentime einnimmt und der Film so gesehen mit der ein oder anderen Länge zu viel zu kämpfen hat. Insgesamt bewegen wir uns vom Spannungslevel her im gesunden Mittelfeld, so dass der Streifen insgesamt ausreichend unterhält.
Vom Handlungsablauf her orientiert sich Helander beim erzählen seiner Geschichte am typischen Kapitelaufbau Tarantinos, der das Geschehen in einzelne benannte Teilbereiche unterteilt. Auch die audiovisuelle Umsetzung orientiert sich am Stil von Robert Rodriguez Busenfreund bzw. Sergio Leone's: Lange Einstellungen in denen Freund und Feind gegenüber gestellt werden sind von einer pompösen Soundkulisse untermalt, ehe ein hammerhartes Gewaltinferno über den Zuschauer hinein bricht. Für die Charakterisierung des schier unkaputtbaren, betagten Einzelkämpfers dienten wohl Stallones One Man Army und Clint Eastwood als Hauptvorbilder: Aatami ist so ruhig und cool wie der Dirty Harry Darsteller in seinen besten Zeiten, während er in heldenhaften "Rambo" Momenten, die offensichtlich nachempfundene Szenen aus den Rambo-Filmen präsentieren, seine Feinde (fast) im Alleingang ausschaltet. Er darf sich beispielsweise wie in Rambo III unter einen fahrenden Panzer hängen oder in der finalen Konfrontation mit seinem Motorrad auf ein Flugzeug zu rasen, was in abgewandelter Form an die Entscheidung vom dritten Rambo-Abenteuer erinnert, als Stallone mit einem Panzer auf den riesigen Boss-Hubschrauber zurast. Doch Sisu - Rache ist süß muss sich für seine eingebauten "Hommagen" in keinster Weise schämen, da man nie den Eindruck gewinnt, dass der nötige Respekt vor der Vorlage verloren gegangen ist.
Mit Jorma Tommila wurde auch genau der richtige Protagonist gecastet, der optisch und mental wie eine Mischung aus Eastwood & Stallone auftritt. Der graue Bart und sein fortgeschrittenes Alter symbolisieren die Erfahrung und seine Gabe niemals aufzugeben, was übrigens auch der finnische Titel Sisu frei übersetzt bedeutet. Er ähnelt den Wesenszügen, die "Mr. Rocky Balboa" in seinen meisten Filmen verkörpert. Im Feindeslager sticht vor allem Aksel Henni hervor. Auch wenn er mit seinem Schauspiel die Intensität von Christopher Waltz aus Inglourious Basterds nicht ganz erreichen kann, gibt er einen verachtungswürdigen und gewissenlosen Nazi-Schurken ab, den das Publikum wegen seiner unbeschreiblichen Eiseskälte nur noch verabscheuen kann. Die restlichen Soldaten seiner Einheit sind ebenfalls mit Akteuren besetzt worden, denen ihre Skrupellosigkeit förmlich ins Gesicht geschrieben steht, so dass es kaum einen Zuschauer geben dürfte, der Aatami bei seiner abschließenden Revenge nicht moralisch unterstützt.
Nichtsdestotrotz hatte ich bei allem Lob für Sisu - Rache ist süß auch ein bisschen das Gefühl, dass hier nicht alle Möglichkeiten konsequent ausgenutzt wurden. Immer wenn ich dachte, dass der gebeutelte Held nun richtig aufdreht und die Feinde nach allen Regeln der Kunst in Grund und Boden ballert, hat Aatami zwar zurückgeschlagen, die letzte graphische Nachhaltigkeit konnte er aber zumindest für mich nur bedingt auf die Leinwand bringen. Für meine persönliche Gesamtwertung heißt das, dass wir uns zwar klar über dem Durchschnitt bewegen, die Genrespitze kann aber leider Gottes nicht erreicht werden, was aber immer noch für einen netten und unterhaltsamen Kinoabend gelangt hat. MovieStar Wertung: 7 von 10 Punkte.
7/10