Nachdem Creed II - Rocky's Legacy (2018) einen weltweiten Kinoumsatz von über 214 Millionen Dollar erzielte und neben den größtenteils positiven Kritikerreaktionen auch von seiner Geschichte her mit den interessanten Verknüpfungen zu Rocky IV und mit der Weiterentwicklung der Hauptfigur Adonis Creed zu überzeugen wusste, tauchten relativ schnell die ersten Gerüchte über einen potenziellen dritten Teil auf. Deontey Wilder sollte Clubber Langs Sohn spielen, um eine weitere Brücke zu einem klassischen Rocky Charakter zu schlagen, woran Sylvester Stallone und Creed Darsteller Michael B. Jordan öffentliches Interesse bekundeten. Doch es kam hinter den Kulissen zu gravierenden Differenzen zwischen Rocky Schauspieler Sylvester Stallone und Produzent Irwin Winkler, so dass Stallone sich öffentlich aus dem Projekt zurück zog und das mir nun vorliegende Sport-Drama Creed III - Rocky's Legacy (2023) ohne den mittlerweile 76 Jährigen Hollywoodstar mit einer neuen Story realisiert wurde. Was, ein Film aus dem Rocky Universum ohne Sylvester Stallone? Ob das wohl gut geht? Die Antwort lautet JEIN, denn finanziell konnte der mit größtenteils lobenden Kritiken bedachte, befriedigend bis ausreichend unterhaltsame und handwerklich solide umgesetzte, zweite Creed Ableger knapp 275 Millionen Dollar globalen Kinoerlös erfolgreich einspielen. Ohne seine Seele Rocky Balboa ist das Ganze aber nur noch halb so viel wert, so dass wir es bei Creed III eigentlich mit einem ganz gewöhnlichen Boxer-Streifen zu tun haben, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
In der Ringecke, also auf dem Regiestuhl, nahm dieses Mal Hauptdarsteller Michael B. Jordan Platz, der mit Creed III ein über weite Strecken brauchbares Regiedebüt gibt, während Ryan Coogler, der den ersten Teil noch eigenverantwortlich inszeniert hatte, das Drehbuch gemeinsam mit Keenan Coogler und Zach Baylin verfasste. In Creed III hat sich der ehemalige Boxweltmeister Adonis Creed (Michael B. Jordan) vom aktiven Sport zurückgezogen um mehr Zeit mit seiner Frau Bianca (Tessa Thompson) und seiner kleinen taubstummen Tochter Amara (Mila Davis-Kent) zu verbringen. Nebenbei organisiert er hochdotierte Kämpfe für die Schützlinge des befreundeten Box-Trainers Little Duke Evers (Wood Harris). Eines Tages taucht sein Jugendfreund, das einstige Box-Talent Dame Anderson (Jonathan Majors) nach einer 18 Jährigen Haftstrafe wieder auf und bittet Adonis, ihm bei der Reaktivierung seiner Boxkarriere zu helfen. Da Adonis an Dames damaliger Verhaftung nicht ganz unschuldig war, sorgt er vom schlechten Gewissen geplagt dafür, dass Dame in Dukes Box-Stall trainieren kann. Nachdem Dame sich mit viel Schweiß und einem schmutzigen Trick einen Titelkampf ergattert hat, den er wider erwartend auch gewinnt, stellt sich Adonis endlich den Schatten seiner Vergangenheit und fordert seinen ehemaligen Weggefährten zum alles entscheidenden Kampf um die Weltmeisterschaft im Ring heraus...
In Creed III haben wir es mit dem typischen "Alte Freunde von früher treten in unser Leben und werden zu Feinden" Plot zu tun, der trotz des ein oder anderen logischen Widerspruchs (gibt es in Amerika für den puren illegalen Waffenbesitz tatsächlich 18 Jahre Knast?) relativ interessant und unterhaltsam vorgetragen wird. Im umfangreichen Rocky-Universum aller bisherigen Filme von 1976 bis heute lässt sich das als Mischung zwischen Rocky V (Der Champ hat sich zur Ruhe gesetzt und muss sich am Ende gegen seinen früheren Weggefährten behaupten) und Rocky III (Ein Großmaul tritt als Herausforderer Nummer 1 an und will den Titel um jeden Preis) einordnen. Dabei widmet sich Creed III dramaturgischen Inhalten wie Adonis Familienleben oder auch den historischen Hintergründen der Männerfreundschaft und deren gegenwärtigen Auswirkungen, so dass gefühlte zwei Drittel der Handlung sich in die Kategorie "Drama mit sportlichen Hintergründen" einordnen lassen. Bei der etwas zu lange geratenen Spielzeit von über 2 Stunden treten vereinzelte Längen auf, da die Figuren und die Geschichte es nicht durchgehend schaffen, dass Publikum zu pausenlos zu fesseln. Die für sich betrachtet ordentlich umgesetzten, aber etwas zu kurz ausgefallenen Trainingsmontagen und die unterhaltsame, actionreiche, finale, spektakuläre Ringschlacht, die Michael B. Jordan bei seinem Debüt bildgewaltig und mit dem ein oder anderen Kniff (Stichwort temporäre Kampfdarstellung ohne Zuschauer) inszeniert hat, erfahren nicht ganz die Beachtung, die sich der Action- bzw. Sportfan wünscht, oder anders ausgedrückt: Die Verteilung von Drama und Action ist in Creed III nicht ganz optimal ausgefallen.
Schenkt man unterschiedlichen medialen Berichten glauben, führten inhaltliche und rechtliche Streitereien zum zerschnittenen Tischtuch zwischen Sylvester Stallone und Irwin Winkler. Die Konsequenzen muss auch die Filmhandlung in Creed III ausbaden, die lückenhaft und unvollständig wirkt, wenn man sich die gesamte Story von Teil 1 bis 3 vor Augen führt. Was ist mit Rocky Balboa passiert? Ist er gestorben? Oder lebt er glücklich bei seinem Sohn? Wenn Stallone schon nicht mehr mit an Bord ist, hätte man zumindest kleinere Erwähnungen einbauen können, wie zum Beispiel eine Unterhaltung oder ein nebenbei geführtes Telefonat. Aber so zu tun, als hätte es Rocky nie gegeben, bzw. ihn komplett zu verschweigen, hinterlässt einen mehr als faden Beigeschmack, zumindest für Rocky Anhänger der ersten Stunde wie ich es einer bin, der alle vorangegangenen Filme des gesamten (Doppel)Franchises auswendig um 3 Uhr nachts mit verbundenen Augen herunterbeten kann. Den schlimmsten Fauxpas leistet sich Creed III jedoch am Schluss in der letzten Runde des Boxkampfes, als doch tatsächlich nach fast 115 vergangenen Minuten und ansonsten grauenvoller Hip-Hop Musik auf einmal die Rocky Melodie ertönt. Nein Adonis Creed, DU bist nicht Rocky und DU wirst auch nie so sein wie er. Rocky Balboa ist ein einzigartiger Filmcharakter, von dem die Leute auch in 50 Jahren noch sprechen werden, deinen Film hier kann man einmal problemlos ansehen, danach ist die ganze Chose auch schon wieder vergessen. Hier passt eine Aussage von Rockys Filmfrau Adrian wie die Faust aufs Auge: "Rocky deine ganzen Kämpfe hast Du nicht durch deine Muskeln gewonnen, sondern durch dein Herz" Und genau diese Einzigartigkeit fehlt Creed.
Dass soll jetzt aber nicht heißen, dass Michael B. Jordan darstellerisch einen schlechten Job abliefert, im Gegenteil, er spielt seine Rolle wie schon in den beiden Vorgängern authentisch und besticht vor allem durch seine enorme Ausdrucksstärke, so dass er in den Kampfszenen und auch in den rührseligen Momenten, wie beispielsweise mit seinem süßen Filmtöchterchen, gleichermaßen überzeugen kann. Tessa Thompson (Thor - Tag der Entscheidung) gefällt erneut als seine bessere Hälfte und große Liebe Bianca, während Phylicia Rashad (Jean-Claude Van Johnson) als seine Filmmutter und Apollos Witwe in den traurigsten Augenblicken des Films eine tragende Rolle spielt. Die wohl beeindruckendste Performance liefert allerdings Jonathan Majors als Freund und späterer Hauptwidersacher Damien ab, der den unbändigen Ehrgeiz und die langsam steigernde Aggressivität seiner Figur stichhaltig verkörpert und dafür sorgt, dass zwischen den beiden Hauptfiguren stets eine besondere Chemie herrscht.
Vielleicht hätte es Creed III gut getan, wenn man schon auf Rocky verzichtet, auch von der Story her mal etwas komplett neues zu wagen und nicht einfach nur Inhalte der alten Streifen mit neuen Darstellern nach zuspielen. So bleibt ein leicht überdurchschnittliches 0815 Boxer-Drama übrig, bei dem Stärken und Schwächen je nach Betrachtungsweise und Gewichtung ungefähr gleich ausfallen und das einen ausreichenden Unterhaltungswert für eine einzige Sichtung besitzt. Gegen die alten Rocky Filme stinkt Creed III aber gewaltig ab und den Zusatztitel Rocky's Legacy trägt der Film meines Erachtens nur spazieren. MovieStar Wertung: 6 von 10 Punkte.
6/10