Der drogensüchtige Jugendliche Peter liest seiner kleinen Schwester "Gute-Nacht"-Geschichten vor - das ist im Groben der Plot von Olaf Ittenbachs zweitem Film "The Burning Moon". Dabei werden die beiden schaurigen Geschichten "Julia`s Love" und "The Purity" für den Zuschauer detailliert visualisiert: In "Julia`s Love" geht es um einen entsprungenen Irren, der sich in das Mädchen Julia verliebt, was selbstredend kein gutes Ende nehmen kann - vor allem nicht für Julias Familie; "The Purity" handelt von einem satanistischen Pfarrer, der seine Gemeinde (bevorzugt den weiblichen Anteil) für Opfergaben an den Teufel dezimiert. Die Rahmenhandlung (ACHTUNG: üüübler Spoiler!) endet damit, dass Peter seine Schwester ersticht und anschließend Selbstmord begeht.
Olaf Ittenbach ist, nicht zuletzt seiner Frühwerke wegen, in der internationalen Horrorgemeinde zum Synonym für "blutiges Gematsche" geworden. Bereits mit seinem ersten Streifen "Black Past" untermauerte er seine Zeigefreudigkeit in Sachen Splatter und brachte - zusammen mit einem gewissen Herrn Buttgereit ("Nekromantik") - der deutschen Underground-Horrorfilm-Szene starken Aufwind (Anm.: was zu mal mehr, mal weniger ansehnlichen Auswüchsen führte, u.a. durch Filmemacher wie Schnaas, Bethmann oder Taubert). Wohingegen sein Erstling und sein dritter Film "Premutos" aber (zumindest teilweise) dem Fun-Splatter zuzuordnen sind, nimmt "The Burning Moon" doch eher eine ernstere Position ein: Die Inszenierung ist komplett humorlos, kompromisslos brutal und v.a. mit dem dargelegten Ende (s.o.) obendrein sehr düster und deprimierend. Diese Machart sollte sich auch in späteren Werken wieder zeigen, etwa "Riverplay", "Dard Divorce" oder "Beyond the Limits", während andere Arbeiten wie "Legion of the Dead" oder die beiden "Familienradgeber" wieder mehr Richtung Fun-Splatter bzw. Splatstick tendierten.
Die schauspielerische Leistung ist von einem professionellen Standpunkt aus sicher nur als schlecht zu bewerten - allerdings muss man sich dazu vergegenwärtigen, dass es sich hier um einem Amateurfilm mit absoluten Laiendarstellern handelt. Behält man dies im Hinterkopf, muss man sagen, dass die Akteure ihre Sache ganz okay machen. Natürlich wirkt alles etwas hölzern, Over- und Underacting gehören zum "guten Ton", aber insgesamt ist es für Laienverhältnisse wirklich annehmbar.
Die Story - oder viel mehr Stories - ist bzw. sind recht gut geschrieben, allerdings weist das Drehbuch doch einige Längen auf, die durch besagte Laiendarsteller sowie die z.T. etwas unglückliche Nachsynchronisation der Dialoge nicht gerade kurzweiliger werden. An manchen Stellen hätte eine geringfügige Straffung der Erzählstruktur sicherlich gut getan - aber wie schon gesagt: Es ist ein Amateurfilm. Möglicherweise steckte dahinter auch das Bestreben, der Story etwas mehr Tiefe zu verleihen - was in einer derartigen Schlachtplatte von Film allerdings generell eher mäßig funktioniert.
Somit komme ich zu den (wie der geschätzte Kollege sonyericssohn mal sehr treffend formulierte) "heimlichen Hauptdarstellern" des Films: den Splatter-Effekten. Mag auch die gesamte Inszenierung amateur- und die Schauspielleistung laienhaft sein, so müssen sich die SFX wahrlich nicht hinter solchen professioneller Produktionen verstecken. Das, was Ittenbach hier ablieferte, kann schon fast als detailliert-realistische Anatomiestudie des Mordens bezeichnet werden. Was seine großen Vorbilder Fulci, Argento, Romero und Raimi ihm vormachten, kopierte er sehr akribisch, machte es z.T. sogar besser und fügte dem ganzen auch noch einen extremen Schuss Brutalität hinzu. Besonders ins Auge stechen die Folterungen und Verstümmelungen während einer sehr ausgedehnten Höllenszene in "The Purity" (Anm.: eine Sequenz, die zum wiederkehrenden Markenzeichen in diversen Ittenbach-Filmen werden sollte) sowie die professionellen Gebisse einiger Höllenwesen (Anm.: auch diese wurden von Ittenbach, seines Zeichens gelernter Zahntechniker, höchstselbst angefertigt). Wenn man dazu bedenkt, dass der Itti sich das alles (bis auf die Herstellung von Gebissprothesen) autodidaktisch aneignete, kann man sich fast nur in Ehrfurcht vor solch Grauen erregender Kreativität verneigen.
Wie gesagt machte Ittenbach erste Erfahrungen mit "Black Past", bzw. erste Gehversuche mit selbst gestalteten Splatter- und Gore-Effekten in den Jahren 1985 bis 1987 in Probeaufnahmen, die dann als der Film "Tödliche Nacht" aneinandergereiht und im Freundeskreis gezeigt wurden. Auch "Black Past" war eigentlich nur für private Zwecke gedacht gewesen; nachdem aber die Resonanz in der Horrorgemeinde immer größere Wellen schlug und der Ruf nach einer Veröffentlichung laut wurde, fasste sich Olaf Ittenbach ein Herz und gründete die Firma IMAS. Beflügelt vom unerwarteten Erfolg kratzte man sämtliches Geld, das man aufbringen konnte, zusammen und produzierte mit einem Budget von ca. 50.000,- DM den Nachfolger "The Burning Moon". Während die Horror-Szene begeistert war, machten jedoch die deutschen Zensurbehörden dem damals aufstrebenden Jungtalent einen Strich durch die Rechnung: Ohne vorangegangene Indizierung (!) wurde der Film bereits ein halbes Jahr nach Veröffentlichung beschlagnahmt, ein weiteres halbes Jahr später folgte der Einziehungsbeschluss. Begründet wurde das Urteil mit der extremst expliziten Gewaltdarstellung in Verbindung mit kirchlicher Symbolik. Da der Film ungeprüft released worden war, war der Verursacher angreifbar und bekam die volle Breitseite juristischer Sanktionen zu spüren: So kam es nach der Beschlagnahme zur Hausdurchsuchung im Hause Ittenbach sowie später zur Gerichtsverhandlung, währenddessen der Regisseur nach §131 StGB (Gewaltverherrlichung) zu einer Zahlung von 5000,- DM verurteilt wurde (Anm.: dies ist der bislang restriktivste Eingriff in die künstlerische Freiheit eines deutschen Regisseurs, der mir persönlich bekannt ist).
Fazit:
Nachdem ich diesen Film das erste Mal gesehen hatte, war ich gleichermaßen begeistert wie auch verstört. Verstört wegen der nihilistischen Grundstimmung und der völlig teilnahmslos dargestellten Grausamkeiten (u.a. auch eine recht brutale Vergewaltigung und ein Kindermord); begeistert hingegen von den detaillierten Splatter-FX, die ich in dieser Form bis dahin noch nicht mal in einem professionellen Streifen gesehen hatte. Insofern kann ich nicht mal behaupten, dass mich das schlechte Kamerabild oder die Laiendarsteller irgendwie gestört hätten, weil es gar nicht das war, worum es ging! Und auch wenn ich damals noch nicht mit dem Finger drauf zeigen konnte, würde ich, nach mehrmaliger Sichtung, heute behaupten: In "The Burning Moon" geht es m.E. einfach um ein tragisches Familiendrama, während die Horror-Geschichten - Fiktion in der Fiktion - nur Mittel zum Zweck sind, um die beispiellosen Splattersequenzen unterzubringen. Das Drama in der Rahmenhandlung, der drogensüchtige Jugendliche mit Kindheitstrauma, der seine kleine Schwester ermordet, wird zwar etwas plakativ vermittelt, ist aber durchaus realitätsnah.
... möglicherweise interpretiere ich ja auch zuviel da hinein, aber wie auch immer: Für einen Amateurfilm ist "The Burning Moon" wirklich ein überaus gelungenes Machwerk, und für das Splatter-Genre war er eine der größten Bereicherungen und der wichtigsten Triebfedern der 90er Jahre.
Schlaf gut, mein Kleines.
8/10