Es gibt Filme, die es im Allgemeinen bei der Fachpresse und auch dem Publikum nicht leicht haben, da sie meist eine Geschichte hinter dem eigentlich Gezeigten erzählen und einzeln betrachtet allein das Gezeigte im Endeffekt keinen wirklichen Sinn ergibt. Der im letzten Jahr im Kino und auf DVD/Blu-ray veröffentlichte Enemy von Regisseur Denis Villeneuve ist genau so ein Film.
Es geht um den College-Lehrer Adam Bell (Jake Gyllenhaal), der in Toronto Geschichte lehrt. Eines Tages sieht er einen Film, in dem er in einer Komparsenrolle ein vollständiges Ebenbild von sich entdeckt. Er forscht nach und findet diesen Schauspieler namens Anthony Claire (ebenfalls Jake Gyllenhaal) in Toronto, womit die Ereignisse des Films in Gang kommen und sich eine Art Verwirrspiel zwischen den beiden und den jeweiligen Partnerinnen entspannt.
Da der Film eigentlich ausschließlich in diesem kleinen Mikrokosmos spielt, ist der Cast sehr klein. Er besteht im Wesentlichen aus Jake Gyllenhaal, der wie schon erwähnt in gleich zwei Rollen zu sehen ist, Mélanie Laurent (Inglourious Basterds) als Lebensgefährtin von Adam Bell, Sarah Gadon als schwangere Ehefrau von Anthony Claire und in einem Kurzauftritt Isabella Rossellini (u.a. Blue Velvet und Wild at Heart) als Mutter von Adam Bell.
Die SchauspielerInnen liefern ausnahmslos eine sehr gute Performance ab, wobei Isabella Rossellinis Screentime eigentlich wirklich nicht der Rede wert ist. Was allerdings sehr wohl der Rede wert ist, ist die herausragende Performance von Jake Gyllenhaal. Ich muss mich hier direkt als kleiner Fan von Jake Gyllenhaal outen, aber diese Bewunderung für sein Schauspiel resultiert aus genau solchen Leistungen wie in diesem Film. Da er hier beide Hauptrollen spielt, muss er natürlich den Großteil des Films alleine tragen und das gelingt ihm wirklich außerordentlich gut. Er spielt die beiden Figuren als echte Charaktere und gibt ihnen durch sein Schauspiel jeweils eine echte Persönlichkeit. So weiß der Zuschauer immer sofort, welche von beiden Figuren man gerade vor sich hat: den nervösen, leicht gebeugt gehenden und stehenden, fahrigen und sogar leicht zitternden Geschichtslehrer Adam Bell; oder aber den energisch und selbstbewusst auftretenden und forsch agierenden Schauspieler Anthony Claire.
Das Budget von Enemy muss natürlich im Vergleich zu anderen Produktionen verschwindend gering gewesen sein, trotzdem ist die Inszenierung für diese Art von Film völlig treffend gewählt und unterstreicht die in der Handlung immer mehr zu spürende Bedrohung, vor allem durch die bedeutungsschwangere musikalische Untermalung, die immer wieder die sonst sehr ruhige, sehr in Sepia gehaltene Atmosphäre aufreißt und auf ein nahendes Unheil innerhalb dieses Mikrokosmos hindeutet.
Wie schon eingangs erwähnt, ist Enemy ein Film, der das Gezeigte und das eigentlich Erzählte auf unterschiedlichen Ebenen ablaufen lässt. So gibt es immer wieder sehr surreale Elemente und man wird mit einem Knalleffekt aus dem Film geworfen, und wenn dann der Abspann erscheint, wird wohl bei den Meisten die erste Reaktion ein „Hä?“ sein. Diese Verwirrung legt sich aber schnell, wenn man interpretativ tätig wird und gewisse Schlüsse zieht. Für einen Gedankenanstoß (den ich auch benötigte), der das grobe Mysterium dann relativ klar deutlich macht und sehr angenehm weitere Interpretationen der im Film auftauchenden Motive zulässt, sei hier das Interview mit dem Regisseur im Bonusmaterial der Blu-ray (und wahrscheinlich auch auf der DVD) empfohlen. Wenn man sich dann den Film noch einmal ansieht, erkennt man (ich zumindest) auch erst, wie viele Andeutungen wirklich innerhalb des Films platziert sind und man fragt sich, wie man diese beim ersten Durchlauf übersehen/überhört haben kann.
Allen Liebhabern dieser Art von Film kann ich Enemy uneingeschränkt empfehlen. Es ist kein allzu komplizierter oder langer Film, hat man einmal die Prämisse durchschaut, fällt also auch das Verstehen nicht schwer; man muss keine Angst haben, es könnte ein Inland Empire (den Lynch wahrscheinlich selbst nur zur Hälfte erklären kann) sein. Der Film hat mich insgesamt sehr fasziniert und seit ich ihn vor einem guten halben Jahr gesehen habe, gedanklich nicht mehr losgelassen. Wer sich allerdings von der grandios gewählten Werbung auf dem Cover „vom Regisseur von Prisoners“ zum Kauf oder zum Kinobesuch hat verleiten lassen und auf einen ähnlichen straightforward Thriller in erneuter Zusammenarbeit von Jake Gyllenhaal und Denis Villeneuve gehofft hat, kann nur enttäuscht werden.
8/10