„Und da es das vierte Siegel auftat, hörte ich die Stimme des vierten Tiers sagen: Komm!
Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war Der Tod, und die Hölle folgte ihm nach.“ (Offenbarung des Johannes, Kapitel 6)
Mitte der 80er Jahre lag der Western (mal wieder) im Sterben und röchelte, im dreckigen Wüstenstaub darnieder liegend, gerade seine letzten Atemzüge. Zu sehr hatte sich das finanzielle Desaster von „Heaven’s Gate“ (1980), welches zum Untergang der alteingesessenen Firma „United Artists“ geführt hatte, in die Köpfe eingebrannt und bis zu Kevin Costners „Der mit dem Wolf tanzt“ sollten auch noch 5 Jahre vergehen. Der ebenfalls 1985 startende „Silverado“ ließ noch auf sich warten und sollte zudem zumindest in finanzieller Hinsicht gleichfalls Schiffbruch erleiden. Wem anderes als Clint Eastwood (der demnächst seinen 85. Geburtstag feiert – Happy Birthday!) hätte man also zu diesem Zeitpunkt zugetraut, dem Western eine ordentliche Frischzellen-Kur zu verpassen, noch dazu mit einem Remake? Und Eastwood, der sich in der Vergangenheit schon oft erfolgreich eher auf sein Näschen als auf seine Berater verließ, ließ sich nicht beirren und schuf einen echten Hit mit
„Pale Rider“
Irgendwo in einem Canyon in Kalifornien fristet eine kleine Gemeinschaft von Goldsuchern ihr eher tristes Dasein. Unter ihnen auch die junge Megan Wheeler (Sydney Penny) mit ihrer Mutter Sarah (Carrie Snodgrass) und deren Freund/Verlobten Hull Barrett (Michael Moriarty) zusammenlebt. Aber wie so oft gibt es einen bösen Nachbarn, dem das Ganze nicht gefällt. In diesem Fall ist es der mächtige Minenbesitzer Coy LaHood (Richard Dysart), der ein Auge auf den Canyon geworfen hat, den er vermutet dort eine gewaltige Goldader, die er mit industriellen Methoden ausbeuten möchte. Aus diesem Grund lässt er nichts unversucht, die Goldgräber zu schikanieren und zu bedrängen, damit sie ihre Claims an ihn abtreten. Bei einem neuerlichen Angriff auf das Camp wird auch Megans kleiner Hund von LaHoods Banditen-Trupp getötet. Als sie das Tier später beerdigt, schickt sie ein kleines Stoßgebet gen Himmel und bittet um ein Wunder, denn nur ein Wunder kann den letzten verbliebenen Goldgräbern jetzt noch helfen. Parallel dazu nähert sich ein fremder Reiter dem Tal (Clint Eastwood), der sich fast wie ein Geist aus den verschneiten Bergen der Umgebung materialisiert. Am nächsten Tag reitet er auf seinem weißgescheckten Pferd in die kleine Stadt ein. Während Hull sich um die Vorräte kümmert, liest Megan just in diesem Moment in der Bibel aus der Offenbarung des Johannes vor (siehe oben). Und tatsächlich, als Hull gerade wieder einmal von LaHoods Schlägern verprügelt werden soll, schreitet der Fremde ein und erteilt den Männern eine Lektion. Zum Dank bietet ihm Hull bei sich und Sarah eine Unterkunft an. Sarah ist zunächst wenig begeistert, einen offensichtlichen Revolvermann bei sich aufzunehmen. Umso größer ist die Überraschung, als der Fremde sich als Priester herausstellt (nachfolgend nur noch „Prediger“ genannt). Der Prediger beschließt, eine Weile bei den Goldsuchern zu bleiben. Durch seine Anwesenheit, beginnt sich die Gemeinschaft zu verändern. Eine weitere Schikane LaHoods blockt der Fremde problemlos ab. Nach und nach fangen die Siedler an, wieder neuen Mut und Hoffnung zu fassen und auch Megan verliert sich ein wenig in jugendlicher Schwärmerei für den Fremden. Als die Goldsucher, bestärkt durch die Anwesenheit des Predigers, bald darauf ein letztes Kaufangebot Lahood’s ablehnen, reißt diesem der Geduldsfaden. Er engagiert den berüchtigten „Marshall“ Stockburn (John Russel) und seine „Deputies“, nichts anderes als ein bezahlter Killer mit seinen Handlangern, um ein für alle Mal mit die „Goldgräber-Pack aufzuräumen. Gerade als es für diese besonders brenzlig zu werden droht, reitet der Prediger davon. Doch dies tut er nur um seinen Priesterkragen abzulegen und sich den in einer anderen Stadt hinterlegten Colt ein letztes Mal umzuschnallen. Der „Fremde ohne Namen“ kehrt zurück und rechnet gnadenlos mit sowohl mit LaHoods Schlägern als auch Stockburn und seinen Deputies ab. Und Stockburn muss ebenfalls erkennen, dass ihm der Fremde seltsam bekannt vorkommt...
Vom Start weg erwies sich „Pale Rider“ als echter Überraschungshit .Wieder einmal konnte sich Eastwood auf sein Gespür verlassen, wann das Publikum bereit war für einen neuen Western. Wobei „neu“ ja eigentlich nur bedingt zutrifft. Zum einen ist „Pale Rider“ natürlich ein eindeutiges Remake (was Eastwood ja auch selber zugibt) von George Stevens‘ Klassiker „Mein großer Freund Shane“ („Shane“ 1953), welcher wiederum auf dem gleichnamigen Roman von Jack Schaefer basiert. Die Story ist in beiden Fällen (fast) dieselbe. Eine kleine, relativ geschlossene Gemeinschaft wird von einem mächtigen Nachbarn ausgebeutet oder schikaniert. Ein geheimnisvoller Fremder (ein ehemaliger Revolverheld oder auch Killer) kommt den Leuten zu Hilfe. Er findet Unterschlupf bei einer alleinstehenden Mutter oder Witwe und ihrem Kind. Aus dem kleinen Jungen in „Shane“ wurde bei Eastwood der (weibliche) Teenager Megan. Wenn der mächtige „Bad Guy“ keinen Ausweg mehr sieht und auch seine Handlanger sich als nutzlos erweisen, engagiert er einen Profikiller, der dieses Problem für ihn lösen soll. In „Pale Rider“ ist dies Marshall Stockburn, in „Shane“ der Killer Jack Wilson, dargestellt von Jack Palance. Des Weiteren bedient sich Eastwood auch bei seinem eigenen, zwölf Jahre zuvor gedrehten Film „High Plains Drifter“ („Ein Fremder ohne Namen“ 1973), welcher suggeriert, dass es sich bei dem namenlosen Fremden gar nicht um eine normale Person handelt, sondern vielmehr um einen Geist, der zurückgekehrt ist, um sich an seinen Mördern zu rächen. In „Pale Rider“ geschieht das allerdings ein ganzes Stück subtiler als in „Ein Fremder ohne Namen“, will heißen, der Zuschauer kann das Ganze als (neuerliche) Geistergeschichte sehen oder eben nur als simple Rachestory. Und natürlich, wie sollte es in einem Eastwood-Western auch anders ein, lugen natürlich auch die Werke seines ersten Mentors Sergio Leone um die Ecke, in denen er den „man with no name“ verkörperte (auch wenn Eastwood, strenggenommen, in den Dollar-Filmen durchaus Namen hatte, aber das führt jetzt zu weit). Insbesondere der Showdown in „Pale Rider“, gegen Stockburn und seine Marshalls, erinnert zumindest vom Aufbau und der ausgefeilten Kameraarbeit doch mehr an den Italo-Western als an seine amerikanischen Verwandten. Lediglich die Figur des Predigers ist anders konzipiert als seine Gegenstücke. Der Prediger mag vielleicht vom Aussehen und seinen Fähigkeiten mit dem Colt an die Figuren Leones oder den „High Plains Drifter“ erinnern, ist allerdings vielmehr ein Teil der Gesellschaft, jemand der sich einordnet, den Gepflogenheiten anpasst, anstatt nur zynisch aus seiner Umgebung Profit zu schlagen oder sie sogar nach seinen Vorstellungen radikal zu verändern (wie z.B. der „Fremde ohne Namen“ das kleine Städtchen „Lago“).
Eastwoods zwölfte Arbeit als Regisseur, sein dritter Western nach „High Plains Drifter“ („Ein Fremder ohne Namen“ 1973) und „The Outlaw Josey Wales“(„Der Texaner“ 1976) ist insgesamt ein etwas zweischneidiges Schwert. Für Westernfans ist der Film natürlich ein unverzichtbares „Must-see“ (insbesondere, wenn man, wie ich, einen Narren an dieser „Shane“-Story gefressen hat). Andere Zuschauer hingegen, die dem Western vielleicht nicht so zugetan sind und eher auf packende Action hoffen, könnten sich mit „Pale Rider“ etwas schwer tun. Bewusst entscheidet Eastwood für eine eher ruhige Erzählweise und lässt die Story (trotz des Überfalls gleich zu Beginn) relativ langsam angehen. Auch typische „Eastwood-Momente“ sind eher selten, also solche, in denen der Protagonist seinen Gegnern eine kurze aber heftige (vielleicht sogar tödliche) Lektion erteilt,möglicherweise auch noch begleitet vom sardonischen Humor des „Mannes ohne Namen“. Auch wenn die Story sicherlich eine andere ist als bei Eastwoods sieben Jahre später gedrehten „The Unforgiven“ (1992), so ähneln sich die Filme dennoch in ihrem Look und ihrem alles andere als hektischen Erzählrhythmus. In blassen Herbstfarben erzählt Eastwood vom mühsamen Leben in der Goldsucher-Kolonie. Und doch hängt über dem gesamten Film die bedrohliche Ahnung, dass sich der angesprochene Konflikt unvermeidlich zu einer mörderischen Konfrontation hochschaukeln wird. Spätestens dann, wenn einer der Goldsucher als notwendiges „Opfer“ erschossen wird (um das spätere Töten des Predigers zu rechtfertigen) und auch der Prediger seinen Priesterkragen ablegt, steigt die Anzahl der Leichen.
Zur schauspielerischen Leistung lässt sich folgendes sagen: Natürlich beherrscht es kein anderer (heute noch lebender) Schauspieler, eine Western-Rolle so perfekt zu verkörpern wie Clint Eastwood. Egal ob er als „Prediger“ die Männer LaHoods vermöbelt ohne einmal außer Atem zu geraten, sich mit Megan darüber unterhält, was wirklich im Leben zählt oder mit geradezu tödlicher Gelassenheit zum finalen Showdown schreitet – niemand ist hier überzeugender. Michael Moriarty als „Hull Barrett“ bleibt, möglicherweise auch wegen seiner Rolle, etwas blass, dafür hinterlässt die hinreißende Sidney Penny, welche vorher nur im Fernsehen aufgetreten war (und der man als männlicher Teenager damals umgehend verfallen war) einen durchaus überzeugenden Eindruck als „Megan Wheeler“. Ihr blieb zwar in den folgenden Jahren der große Durchbruch an den Kinokassen verwehrt, allerdings taucht sie bis heute regelmäßig im US-TV auf. Ein Wink an die Westernfreunde ist die Besetzung des bezahlten „Killer-Marshalls“ Stockburn durch John Russell. Der Film- und TV-Veteran tauchte u. a. auch in „Rio Bravo“ (1959) auf und hatte (in den USA) großen Erfolg mit seiner Western-Serie „Lawman“ (!!!) die 156 Episoden lang von 1958 bis 1962 lief. Die Rolle des skrupellosen Coy LaHood spielt Richard Dyson, den einige ältere hier vielleicht noch als Kopf der Kanzlei „McKenzie, Brackman, Chaney und Kuzak“ aus der US-Serie „L.A. Law“(1986-1994) kennen.
Der dem ruhigen Tonfall des Films angepasste, stimmungsvolle Soundtrack stammt von Eastwoods bevorzugten Komponisten Lennie Niehaus, welcher vorher schon „City Heat“ (1984) und „Tightrope“ („Der Wolf hetzt die Meute“ 1984) vertont hatte und auch in den folgenden Jahren noch ein gutes Dutzend Mal mit Eastwood zusammen arbeiten sollte, so auch bei Eastwoods Oscar-preisgekrönten Filmen „The Unforgiven“ („Erbarmungslos“ 1992) und „Million Dollar Baby“ (2004).
Nach „Pale Rider“ zogen viele neuere Actionfilme in den achtziger und neunziger Jahren nach und präsentierten sich ebenfalls als mehr oder weniger verkappte Remakes dieser klassischen Story. Hierzu zählen u.a. „Malone“ (1987, mit Burt Reynolds), Jean-Claude Van Damme in „Ohne „Ausweg“ („Nowhere To Run“ 1993), Kurt Russel in „Soldier“ („Star Force Soldier“, 1988), Steven Seagal in „Fire Down Below“ (1997), Patrick Swayze sogar zweimal in „Steel Dawn“ (1987, ein sehr offensichtliches Remake) und „Road House“(1989), Val Kilmer in „Conspiracy“ (2008, einschließlich weiterer Parallelen zu „Stadt in Angst“ 1955 und „First Blood“ /“Rambo“ 1982) und als letzter Dolph Lundgren in seinem Film „Missionary Man“ von 2007. Lundgren ging sogar so weit, aus seinem Fremden (der auf einem Motorrad statt einem Pferd „reitet“) ebenfalls einen Prediger zu machen. Auch die Schlussszene, wenn das Mädchen dem entschwindenden Fremden „Prediger! PREDIGER!“ hinterher ruft, ist eins zu eins von Eastwood, bzw. George Stevens übernommen.
Abschließend würde ich sagen, dass „Pale Rider“ ein sehr guter, stimmungsvoller Western klassischen Zuschnitts mit einem hervorragenden Finale ist, den ich Genre-Freunden uneingeschränkt empfehlen kann. Diejenigen, die jedoch eher ein strafferes Tempo oder etwas mehr Action bevorzugen, würde ich vorzugsweise an Eastwoods Film „The Outlaw Josey Wales“ („Der Texaner“ 1976) verweisen. Und wer ohnehin keinen Bezug zum Genre hat, der wird sich sicherlich auch mit „Pale Rider“ nicht überzeugen lassen. Deshalb bleiben mir als Wertung immer noch sehr gute 8 von 10 Punkten.
8/10