Sei mein Opfer, Leser...
Nachdem die etablierten Schlitzergrössen der 80er ihren Zenit schon seit geraumer Zeit überschritten hatten, schickte der Regisseur Bernhard Rose (Ludwig van B. 1994, Der Teufelsgeiger 2013) 1992 einen neuen Carakter ins Rennen, der eigentlich garnicht mehr so neu war. Der "Bonbonverkäufer" wie der Candyman in der Kurzgeschichte "The Forbidden" zu deutsch heisst, wurde bereits 1985 von Clive Barker (Hellraiser 1987, Cabal 1990) geschaffen, und durfte "Das fünfte Buch des Blutes" eröffnen.
Helen Lyle (Virginia Madsen, Gods Army 1995, Das Geisterschloss 1999) recherchiert für ihre Doktorarbeit über eine Mordserie in einem heruntergekommen Wohnkomplex für schwarze, Namens Caprini Green. Dort stößt sie auf die urbane Legende des Candyman (Tony Todd, Candyman 2&3 1995/99, zig Nebenrollen in anderen Horrorfilmen...). Ein schwarzer Künstler, der im 17. Jahrhundert wegen seiner Liebe zu einer weissen auf grausame Weise ermordet wurde und den man, durch fünfmaliges aussprechen seines Names in einen Spiegel, herbeibeschwören kann.
Ich habe es mir auf die Fahne geschrieben, das ich nur Reviews zu verfilmten Buchvorlagen schreibe, wenn ich auch das Buch, oder wie in diesem Fall, die Kurzgeschichte gelesen habe. Also habe ich einen Sprung von "Das erste Buch des Blutes " zum vierten Ableger der Reihe gemacht, und ich muss sagen, das mir der Film in diesem seltenen Fall, wesentlich besser gefällt als die Vorlage. Aber wo ordnet man "Candyman´s Fluch", so der deutsche Titel, ein? Der Film siedelt sich eher im Slasherbereich an, dennoch ohne die klassischen Elemente wie ein Final Girl, maskierter Killer oder Teens, Twens, oder sonstige halbstarke. Der Film nimmt sich viel Zeit um die Caraktere und die Geschehnisse die sich in dem Gebäudekomplex abgespielt haben einzuführen, und es dauert eine ganze Weile, bis der Candyman in Erscheinung tritt. Allgemein wird hier eher ein ruhiges Tempo vorgelegt. Das Augenmerk liegt hier nicht auf den ohnehin sehr rar gesähten Blut-Taten, sondern darauf wie Helen immer mehr glaubt den Verstand zu verlieren und in den Bann des Candyman gezogen wird.
Die Hintergrundgeschichte um den Candyman, der als schwarzer, verbotener Weise eine Liebschaft mit einem weissen Mädchen einging und dann von einem Lynchmob, den der Vater des Mädchens beauftragte, zuerst die rechte Hand abgesägt kriegt und anschließend von tausenden Bienen zu Tode gestochen wird, verleiht ihm im Film etwas tragisches. Im Buch hingegen ist der Bonbonverkäufer ein weisser mit aschfahler Haut, bunten, zerlumpten Klamotten und ohne Hintergrund, der nur auftaucht, wenn jemand an seiner Existenz zweifelt. Da gefällt mir die Idee, das man den Candyman heraufbeschwören kann, wesentlich besser.
Tony Todd spielt hier die Rolle seines Lebens. Durch seine Größe und seine Stimme (in deutsch sowie im O-Ton), wirkt der Candyman nicht nur bedrohlich, er wirkt dabei elegant, fast schon majestätisch. Auch wenn man sich damit vieleicht etwas zu weit von der Buchvorlage entfernt hätte, fehlt mir bei ihm noch ein Fünkchen Boshaftigkeit. Sein Erscheinungsbild finde ich gut gewählt. Der lange Mantel, der seinen zersetzen und mit Bienen gefüllten Leib bedeckt, lässt Todd noch grösser erscheinen und der berühmte Haken, der schief und blutverschmiert auf seinem Armstumpf sitzt, nur mit ein paar Nägeln im Fleisch befestigt, bildet einen "schönen" Kontrast zum sonst sauberen und gepflegten Auftreten des Candyman. Virgina Madsen spielt die Rolle der Doktorantin, die immer tiefer in den Sog der "urbanen Legenden" und dem Molloch des Gebäudekomplexes Caprini Green gezogen wird, hervoragend und hat am Ende noch ihren grossen Auftritt. Bei ihr weicht der Film auch leicht vom Buch ab. Im Film ahnt Helen nur kurz, das ihr Ehemann Roger sie betrügt. Im Buch weiss sie von zahlreichen Affären, nimmt diese aber fast schon gleichgültig hin, und ihr Schicksal ist ein anderes.
Dir grosse Stärke von "Candyman´s Fluch" ist die Atmosphäre. Die dunklen Flure und verwarlosten Wohnungen der Wohnanlage wo durch Graffiti an den Wänden dem Candyman gehuldigt wird, wie z.B. dem im Film toll umgesetzten, obskuren Graffiti-Antlitz des Bonbonverkäufer, oder das aufsuchen von Tatorten wie ein versifftes, öffentliches Klo, wo man erfährt, das dort ein kleiner Junge kastriert und ermordet wurde, lassen zu keiner Sekunde nette Stimmung aufkommen. Untermalt wird das ganze von einem tollen Score, der meist aus tiefen, plötzlich auftretenden Chören besteht und die jeweilige Szene wesentlich stärker und bedrückender wirken lässt.
Wie schon erwähnt, mit Goreszenen hält man sich weitestgehend bedeckt. Das meiste wird angedeutet oder passiert im Off. Dennoch gibt es ein paar kurze, aber heftige Morde. Zwar sind diese nicht sonderlich detailreich, fallen aber trotzdem schön blutig aus und wirken durch die plötzlichkeit ihres Geschehens wesentlich härter. Für mich persönlich fällt die bildliche Gewalt doch leider etwas mau aus. Schön schaurig anzusehen hingegen ist der verweste und mit einem Bienenschwarm gefüllte Oberkörper des Candyman samt freiliegenden Rippen und Brustkorb. Verantwortlich für die F/X war Effektmeister Bob Keen (Cabal 1990, Hellraiser 3 1992).
Fazit: Candyman´s Fluch kann man durchaus als kleinen Klassiker bezeichnen. Warum nur klein? Man erfährt (zumindest in Teil 1) zu wenig über den Leidensweg des Candyman zu Lebzeiten. Wenn er auftritt, wirkt er zwar übermächtig und raumausfüllend, diese Momente kommen nur leider zu selten vor. Deswegen reiht sich der Candyman für mich nicht neben Freddy, Jason und co. ein, sondern eine Reihe dahinter. Neben Tony Todd wird der Film von den Schauplätzen und der Musik getragen, die stets die Bedrohlichkeit im Vordergrund stehen lassen. Das Make up und die Splattereffekte sind gut und wirken hart, was zum Teil aber eine Illusion ist, hervorgerufen durch den wirklich guten Score. Ein paar kleine (oder grössere) Gewaltspitzen hätten das ganze sicher abgerundet. Trotzdem bleibt Candyman´s Fluch ein guter Horrorfilm, der leider die Chance, ein richtiger Klassiker des modernen Horrorkinos zu werden, durch Kleinigkeiten vertan hat.
Danke, das ihr meine Opfer wart, liebe Leser.
Härte: 7 Atmosphäre: 8 Splatter: 3
7/10