Mit „Opera“, der in Deutschland unter dem Titel „Terror In der Oper“ veröffentlicht wurde, hat Dario Argento 1987 die im rein performativen Stil fungierenden Filme in seinem Hauptwerk abgeschlossen. Gleichzeitig war es eine der letzten Großproduktion eines Genrefilms innerhalb des italienischen Kinos, wenn ich mich da jetzt nicht täusche. Freigeister die gerne ihre eigenen Schlüsse aus dem Geschehen ziehen möchten, haben mehr als genug Spielraum, um ihre Interpretationen rauszulassen.
Die Story dreht sich um die Opernsängerin Betty, die als Ersatz für den ursprünglichen Star in der Inszenierung von Verdis „Macbeth“ die Hauptrolle spielen soll. Diese findet unter der Regie eines jungen Horrorregisseurs Marco statt. An dem Ruf der angeblich verfluchten Oper scheint doch mehr dran zu sein: „Ein Mörder treibt sein Unwesen und sorgt durch blutige Taten für Terror…“
Der Cast besteht aus Christina Marsillach, die den Part der Hauptprotagonistin Betty verkörpert. Zur Seite steht ihr Mira, die von Daria Nicolodi gespielte Managerin. Der Teil des ermittelnden Inspektor Alan Santini übernimmt Urbano Barberini. In „Dämonen“ war er einer der letzten Überlebenden, der die Attacke von besessenen Kinobesuchern standhalten konnte. Die in „Tenebrae – der kalte Hauch des Todes“ nachforschende Detektiven, die von Carola Stagnaro gespielt wurde, ist wieder vertreten. Dann wäre da noch Ian Charleson, der die Rolle von Marco, dem Horrorregisseur bekommen hat. Bekannt ist er anderem aus der Miniserie „100 Karat“ aka „Master Oft he Game“. Bevor Dieser mit 40 Jahren zu früh im Jahr 1990 meines Wissens nach an Aids gestorben ist, trat er unter anderem in „Die Stunde Des Siegers (1981)“, „Gandhi (1982)“ und „Greystoke (1984)“ auf. Er war ebenfalls bei der Royal Shakespeare Company beschäftigt und gilt neben Ian McKellen und Laurence Olivier als einer der besten Darsteller in dessen Werken. Zu erwähnen sind da zum Beispiel „Hamlet“, „Der Widerspenstigen Zähmung“, „Der Sturm“ und „Verlorene Liebesmüh“. Die Performance ist klasse und betont die darstellerischen Fähigkeiten der Besetzung, selbst wenn die Figuren wie es üblich ist, nichts anderes als Schablonen sind, die den Verlauf der Handlung vorantreiben und eine untergeordnete Rolle einnehmen. Die theatralische Inszenierung macht keinen Hehl daraus, die Künstlichkeit bloßzustellen.
In seiner zwölften Regiearbeit vereint Dario Argento alle Stilismen und errichtet eines der größten und aufwendigsten Kunststücke in seinem Gesamtwerk. Das Grundgerüst dieses innovativen Streifens hebt Die Eigenschaften seiner Gialli, welche sich durch den psychosexuell angetriebenen Killer, der mit einer Rasierklinge bewaffnet ist und die Alptraumhaften Szenarien seiner Horrorfilme, wie man sie zum Beispiel aus „Inferno“ oder „Suspiria“ kennt, hervor. Entscheidende Differenz ist, dass der Aspekt der Unisexkleidung wegfällt und das Geschlecht des Killers zuzuordnen ist. Die verschachtelten Räumlichkeiten in den Traumsequenzen geben dem rational agierenden Geschehen einen irrationalen Touch, der beide Aspekte parallel verknüpft. Die Übergänge zwischen den einzelnen Set – Pieces verlaufen ungestört in einem fließenden Fluss. Die Ausschmückung der ausgewählten Locations ist perfekt und unterstreicht die im Theater gefangenen Figuren und die Ereignisse. Der signifikanteste Ort des Geschehens, die Oper selbst, ist ein wahrer Genuss. Die Größe des Innenlebens liefert dem Zuschauer einen Einblick in eine auf dem ersten Blick organisierte Welt. Mit einem präzise eingebauten Wechsel hinter den chaotischen Kulissen wird der zuvor erweckte Eindruck in Sekunden wieder eingerissen.
Dario Argentos größte Stärke liegt darin, eine visuell packende Welt voller Terror, Schönheit und faszinierenden Farbenspiel auf die Leinwand zu projektieren, die einem mit genau pointierten Sinnesangriffen konfrontieren. Diese ausgeprägten Talente werden eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Von düster und abstrakt konnotierten Räumen, die an „Inferno“ erinnern, gibt es die auf die Spitze getriebene expressionistische Farbausleuchtung von „Suspiria“. Natürlich werden ebenfalls die Einflüsse seiner Giallo Thriller herangezogen und verleihen dem Endergebnis in Kombination mit der Ideenvielfalt eine einzigartige Aura.
Die Gefahr vor dem Killer ist stets präsent und kommt durch die kreative Farbdramaturgie zum Vorschein. Der Spannungsbogen ist sauber in die Filmstruktur integriert. Die markanten Schlüsselmomente werden so mit der nötigen Tiefe versehen. Was die Suspense in diesem Meisterwerk ausmacht ist der Fakt, dass die Position des Täters zu keinem Zeitpunkt lokalisierbar ist. Die beabsichtigte Verwirrung durch mehreren Betrachtungsmöglichkeiten ist einer von mehreren Gründen für das Erfolgsrezept. Bei Betrachtung des voluminösen Raumes kommt die berühmte Blickdramaturgie ins Spiel, mit der „Opera“ dem Zuschauer in die Enge führt. In der ersten Aufnahmen sieht man durch das Auge des Raben das Spiegelbild der monströsen Oper. Das Auge des Vogels ist stellvertretend für die Kameralinse oder als Spiegel, der uns am Ende dabei hilft, den wahren Mörder auszumachen. Sie helfen dabei den richtigen Weg, durch ein schwer zugängliches Geflecht voller Blicke zu finden. Der von Augen umzingelnde Ort symbolisiert, dass man nirgendwo unbeobachtet ist, ganz egal wo sich die Person aufhält.
Den Genrefan eine Auflösung zu geben, mit der er selber nicht rechnet ist besonders im Giallo ein wichtiger Bestandteil. Die vorgegebene Basis in Argentos Debüt „Das Geheimnis der Schwarzen Handschuhe“ oder in „Tenebrae – der kalte Hauch des Todes“ wird nicht nur ansatzweise aufgerollt, sondern weitergeführt. Die in der Vergangenheit auffindbaren Ursprünge der Person, die zum abwegigen Verhalten des Killers beigetragen, werden hier auf in Verbindung stehende Personen übertragen. Das sorgt neben dem frischen Wind auch für eine Fortführung der psychologischen Charakterzeichnung, die ein entscheidender Faktor für deren Aufklärung am Ende sind.
Zweifelsohne gehört dieser Beitrag zu den brutalsten Ergüssen Argentos. Die sexualisierten Gewalteinlagen werden hier auf ein neues Level gebracht. Die masochistische Ader der Gedankenabläufe trägt einen großen Teil dazu. Die Inszenierung der psychologisch sowie sexuell konnotierten Morde löst bei der Betrachtung eine schockierende aber gleichzeitig brachiale Wucht aus, die der zur Schaustellung gerecht wird. Die Subjektivierung der Opfer aus der Perspektive des Mörders ist packend in Szene gesetzt und weist auf die ausweglose Situation hin, in der sich die potenziellen Opfer befinden. Genauer betrachtet wird das Gesamtbild durch den Aspekt der Opferung erweitert. Das ist damit begründet, dass der Täter die Auserwählten in einem religiös ausartenden Akt für sein Objekt der Begierde umbringt. Sie betonen die verstörende sowie auch die ästhetische Natur der intensiven Augenblicke. Das phallusgeformte Messer darf natürlich nicht ausgelassen werden. Eines der Bilder, die sich sofort ins Gehirn brennen werden sind die, in denen der Killer auf Klebestreifen eingebettete Nadeln vor bzw. unter Bettys Augen platziert. Sie gehört zu den ikonischsten Bildern, mit denen Argento assoziiert werden kann. Er wollte den Kritikern, die ständig die Augen vor seinen Schaffenswerken verschließen auf metaphorische Ebene signalisieren, dass Diese sich genauer mit damit befassen sollten, bevor Diese pauschal als gewaltverherrlichend oder misogyn bezeichnet werden.
Auch Eigenschaften seiner „Tiertrilogie“ in Form der Raben kommen zum Vorschein. Die Verbrechen der Menschen an der Natur können aus der Szene gelesen werden, wo der Killer einige der Raben mit dem herzgeformten Messer ersticht. Eine Szene, die die Unversehrtheit der Tiere über die der Menschen stellt. Der nächste Bezug geht in Richtung „Phenomena“, wo die Natur als Ort des Friedens gedeutet wird, wo man ein von Vorurteilen befreites Leben führen kann und es nicht nötig ist, sich für seine Kunst zu rechtfertigen. Es ist eines der letzten Arbeiten, die seine berühmte Handschrift eines Style over Substance Prinzips trägt und die Grenze zur rein performativen Visualisierung ein letztes Mal bis zum äußersten auslotet, bevor der klassische Stil in den nachfolgenden Werken mit einem prozentual höheren Anteil an narrativen Elementen gemischt wird. Für viele seiner Anhänger fängt der qualitative Verfall der danach folgenden Schaffenswerke an, weil Argento seinen Fokus verstärkt auf eine erzählerische Struktur legt.
Das ist nicht der einzige Punkt, der für die Metareflexe in „Opera“ spricht. In der Geschichte selber geht es um einen Horrorregisseur, der eine Oper aufführen möchte und von den restlichen Bühnenleuten gesagt bekommt, dass er doch besser bei seinen billigen Horrorschund bleiben sollte. Das spiegelt Argentos eigene Erlebnisse wieder, mit denen er sich rumschlagen musste. Der andere Verweis handelt von der Beziehung zwischen Betty und Stefano, was gewisser Maßen auf Unstimmigkeiten zwischen Ihm und seiner damaligen Frau Daria hinweisen könnte.
Für die Kameraarbeit ist eine wahre Hollywood Größe am Start. Die Rede ist von Ronnie Taylor, der schon bei „Krieg der Sterne (1977)“ und „Gandhi (1982)“ mitgewirkt hat. Wie erwartet, ist die Führung der Kamera erstklassig in Szene gesetzt und überzeugt durch ein professionelles Ergebnis, die Dario Argentos künstlerische Visionen in einem fabelhaften Licht wiederspiegeln. Die verselbstständigenden Kamerafahrten über Flure, wunderbar designten Set – Pieces sowie fabelhaft auf Filmlinse gebannten Shots der äußeren Ortschaften und signifikante Einzelheiten, die den weiteren Verlauf des Geschehens fortsetzen, ist ein Highlight, welches „Opera“ zu einem unvergesslichen Filmerlebnis machen. Die Aufnahme der Raben, die über die Besucher der Opfer fliegen werden durch die zirkulierend funktionierende Kranfahrt von der Decke in voller Pracht und mit viel Liebe zum Detail präsentiert.
Die größtenteils ernste Grundstimmung, die durch vereinzelt humoristische Einlagen aufgelockert ist, wird durch die musikalische Untermalung fantastisch eingerahmt. Die einfühlsame Komposition von Claudio Simonetti passt sich hervorragend an den Ablauf der Erzählung an. Die Atmosphäre in dem Opernhaus selbst als auch die intensivsten Augenblicke fusionieren fließend mit der Musik zu einer Einheit. Daneben gibt es unter anderem den rockigen Score von „Steel Grave“, was daraus resultiert, dass auch die letzten Anstriche an diesem Gemälde punktgenau platziert sind. Die Abstimmung von Ton, Sound und Bild sind durch Argentos Abfolge perfekt und verschmelzen nahtlos mit den restlichen Aspekten.
Fazit: „Opera“ ist einer der letzten größer angelegten Produktionen von Argento und ein würdiger Abschluss seines Gesamtwerkes, das noch einmal das maximale Potenzial aus dem zur Verfügung stehenden Budget rausholt, um den Fans ein unvergessliches Meisterwerk zu präsentieren, bevor er sich stilistisch auf einem leicht veränderten Pfad bewegt. Von der Story, den Schauspielern, der Kompositionen und der gesamten Inszenierung stimmt einfach alles. Für diesen Klassiker gibt es wohlverdiente 10/10 Raben.
*Der Begriff Performativ ist den Büchern von Prof. Dr. Marcus Stiglegger entnommen.
10/10