Der Nachtmahr
Herstellungsland: | Deutschland (2015) |
Standard-Freigabe: | FSK 12 |
Genre: | Drama, Mystery |
Alternativtitel: | The Nightmare |
Bewertung unserer Besucher:
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Note: 7,09 (11 Stimmen)
Details
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Inhaltsangabe:
Tina ist 16 Jahre alt und hat scheinbar alles, was sich ein Mädchen in ihrem Alter wünscht, doch nach einer Party erlebt sie massive Albträume in denen sie Nacht für Nacht von einem abgrundtief hässlichen Wesen heimgesucht wird. Ihre Eltern glauben ihr nicht. Der Einzige, mit dem sie über ihre Ängste spricht, ist ihr Psychiater. Er rät ihr Kontakt mit diesem Wesen aufzunehmen. Zunächst weigert sich Tina, doch als sie mitkriegt, dass sich ihre Eltern ernsthaft überlegen, sie in eine Klinik einzuweisen, überwindet sie ihre Angst und geht auf das Wesen zu. Doch anders als erwartet, stellt Tina fest, dass dieses Wesen als Verkörperung ihrer Ängste real existiert und dass es die gleichen Gefühle und Empfindungen spürt wie sie selbst. Aus Angst vor ihren Freundinnen und Eltern als Freak zu gelten, versteckt sie das Wesen in ihrem Zimmer. Mit der Zeit verliert sie langsam den Ekel vor ihm. Es entsteht ein zutrauliches Verhältnis wie zu einem zugelaufenen, wilden Tier. Im Umgang mit ihm erkennt man Tinas Wahres Ich. Doch dann sehen ihre Eltern und schließlich auch ihre Freunde dieses Wesen mit eigenen Augen... (dernachtmahr.com)
Wie ein Albtraum - ein Albtraum in rot und blau. Die Bässe zerreißen die Trommelfelle der tanzenden Jugendlichen. Es ist Nacht, ein Nebelschleier zieht über das Schwimmbecken. Tina steht ständig unter Spannung, kann keine Gelassenheit aufbauen, so wie ihre Freunde. Sie zieht sich zurück und entdeckt etwas im Gebüsch. Es wird ihr Leben verändern. Auf der Straße findet sie die Kette, die sie verloren hatte - ein Auto!
Akiz. Eigentlich Achim Bornhak. Er hat das Wesen erfunden, das nun Tina begleitet. Akiz ist visueller Künstler und Regisseur und erfand den titelgebenden Nachtmahr vor über zehn Jahren. Damals begann er mit Skizzen und ersten Skulpturen, die er immer weiter verfeinerte. Er stieg auf eine bewegliche Variante aus Gummi um, bei der man sogar Adern unter der Haut sieht und spionierte irgendwann in "Jim Henson´s Creature Shop" um zu schauen, wie man den Nachtmahr zum Leben erwecken kann. Bis zum fertigen Film dauerte es aber noch lange - zuletzt lebte Akiz mit seiner Familie ohne Geld in einem umgebauten LKW. Dank einiger mutiger Produzenten ist der Film aber nun fertig.
Mutig - "Der Nachtmahr" ist ein sich fließend bewegender Traum. Sehgewohnheiten werden konsequent ignoriert, es wird nichts erklärt. Immer wieder gibt es Szenen die nicht wieder aufgegriffen werden, die am Ende diskutiert werden wollen, selbst zum Schluss wird nochmal der gesamte Film in Frage gestellt. Akiz schafft es aber gerade das zum Erlebnis zu machen. Man legt den Film nicht frustriert weg, das radikal Andere regt zum Nachdenken an. Der Film ist keine von A nach Z erzählte Geschichte sondern ein im Moment zu erlebendes Kunstwerk, mit vielen Interpretationsmöglichkeiten.
Diese Interpretationsmöglichkeiten entstehen durch die intelligenten Bilder von Akiz, die immer wieder (gewollt oder ungewollt) metaphorisch aufgeladen sind. Aber selbst wer darüber nicht noch stundenlang nachdenken will und den Sinn suchen will, den es vielleicht dann doch nicht gibt, sollte sich wenigstens auf den Rausch einlassen. Laute, wummernde und kratzende Musik zu blinkenden Lichtern (epileptische Anfälle im Kino gab es schon, also vorsicht) wechseln sich an den richtigen Stellen ab mit Ruhe zu Argento-ähnlicher Farbsymbolik in rot und blau. Dazwischen gibt es Schnitte und Szenenwechsel, die teilweise brilliant sind. Zwischen zwei Szenen wird während des Wechsels mehrfach vor und zurück geschnitten und auch innerhalb einiger Szenen blinken einzelne Abschnitte zwischen Schwarzbildern auf. Das sorgt für eine ganz spezielle Stimmung und bringt etwas unwirkliches mit sich. Verstärkt wird das Unwirkliche durch den durchgängigen Einsatz weitwinkliger Bilder. Die Räume wirken sehr breit, die Figuren irgendwie verloren in diesen Räumen.
Figuren - Auch für sie hat Akiz ein gewisses Gespür bewiesen. Verletzlichkeit, Unsicherheit, Verzweiflung, wir können mit jeder Figur mitfühlen, auch wenn das nicht immer angenehm ist. Gerade bei den Eltern: Sie versuchen Tina zu helfen, machen damit aber alles schlimmer. Aber wir verstehen das trotzdem. Jede Figur zieht den Zuschauer an und stößt ihn teilweise wieder ab, man ist auf jeder Seite aber doch auf keiner. Menschlich und nachvollziehbar sind sie aber alle. Auch Tina, deren Darstellerin Carolyn Genzkow hier zum ersten Mal einen Kinofilm tragen muss, was sie mit Bravour schafft. Sie hat die Vision von Akiz vollkommen verstanden, ihre Darbietung ist ebenso fieberhaft wie der Film selbst und schafft es die auffallendeste Figur neben dem Nachtmahr zu sein. Der einzige kleine Kritikpunkt ist, dass manche Figuren ein bisschen zu sehr in den Hintergrund rücken. Vor Allem die Beziehung zu Adam hätte noch etwas deutlicher dargestellt werden können.
Dargestellt - Der Nachtmahr bekommt glücklicherweise mehr Screentime und das in verschiedenen Darstellungsformen. Als gebaute Puppe und als CGI-Figur. CGI in Filmen ist generell so eine Sache, aber gerade in Deutschland sehen die meisten Animationen nicht so toll aus. Der Nachtmahr hingegen ist fast perfekt gelungen. Das Design von Akiz ist sowieso großartig, zwischen niedlichem Kindchenschema und surrealem Wesen angelegt, aber die Computer-Animatoren hauchen diesem Design in den Szenen Leben ein, in denen CGI unumgänglich war. Sie ballern aber nicht zu viele Effekte ins Bild sondern konzentrieren sich auf einen authentischen Look und die richtigen Lichtspiegelungen. So ist die CGI-Figur von der realen Puppe kaum zu unterscheiden.
"Der Nachtmahr" ergibt so ein interessantes Gesamtbild. Der Zuschauer wird in einen dröhnenden Rausch geworfen, gefilmt in einer surrealen Direktheit mit menschlichen Figuren an die er sich halten kann, um nicht im bunten Blinken verloren zu gehen. Und das tut er nicht, auch wenn sich Akiz alle Mühe gibt uns schwindelig werden zu lassen. Man bleibt aber dabei und akzeptiert was passiert - solange man sich überhaupt darauf einlassen will. Eine hübsche Geschichte mit zufriedenstellenden Punkten sollte man aber nicht erwarten, Träume erklären sich schließlich nicht. Und "Der Nachtmahr" ist nichts anderes als ein Traum, eine wirre Mischung aus David Lynch und E.T. und das unerwarteter Weise aus Deutschland.
Wer jetzt mehr davon will muss in diesem Land aber leider enttäuscht werden. Akiz hat Anfragen aus Amerika bekommen, in Deutschland interessiert sich aber keiner für dieses mehr als gelungene Werk - eine Schande. Wer sich also noch fragt, was in der Deutschen Filmindustrie schief läuft: Genau DAS läuft schief.
Aber neben den Produzenten sollten sich auch die Zuschauer auf Neues einlassen. Ja, Wilson Gonzales Ochsenknecht spielt mit, aber er passt wunderbar in seine Rolle und fügt sich wie alle Anderen sehr gut in den Film ein. Ja, der Film ist wirr und eher "Arthouse" aber man merkt, dass sich Akiz Gedanken gemacht hat beim Drehbuch schreiben. Man muss es nicht mögen aber handwerklich wurde "Der Nachtmahr" hervorragend ausgeführt - gerade für eine deutsche No Budget-Produktion.
9/10
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Kommentare
  6  568 |
Danke Herbert für die Empfehlung! :) Wurde mir auch schon aus dem Bekanntenkreis nahegelegt. Bin auf jeden Fall interessiert und werde ihn mir bei Gelegenheit zulegen. Hab jetzt doch schon die ein oder andere positive Stimme zu dem Teil gehört, das wirklich ganz schön untergegangen ist.
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  14  3.122 |
Danke fürs sehr ansprechende Review. Hab den hier liegen, aber bis jetzt noch nicht die Stimmung gehabt, ihn anzusehen. Das werde ich nach deinem Appetiser aber jetzt ändern...
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 DB-Helfer  23  12.137 |
Sehr ambitionierte Kritik, Herb. Echt erfreulich, dass du in letzter Zeit mal wieder häufiger einen Text springen lässt.
Leider hat mir der Trailer zu viel Vorgeschmack auf Dinge gegeben, die ich definitiv NICHT sehen will: unprofessionelles Kameragewackel, Dialoge auf Soapniveau und unterirdische Promis der Marke Ochsenknecht. Es ist durchaus möglich, dass der komplette Film mehr hergibt, aber Arthouse sieht für mich anders aus als das, was der Trailer verspricht.
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  4  278 |
Danke an euch :)
@NoCutsPlease: Es entstehen leider immer große zeitliche Lücken zwischen meinen Reviews, da ich an eigenen Kurzfilmen und Drehbüchern arbeite (die leider noch nicht so spektakulär sind...). Deshalb nicht wundern, wenn ich was neues sehe, wird die Review dazu irgendwann hier erscheinen :) (Die Review zu Room hab ich auch noch nicht geschrieben fällt mir da gerade ein...)
Zu deinen Kritikpunkten: Die verstehe ich vollkommen, aber ich verstehe auch den Filmemacher. Bei Herrn Ochsenknecht bin ich der Meinung, dass er ne Chance verdient hat, sich als Schauspieler abseits der Wilden Kerle zu etablieren, aber ich mag auch nicht jeden Schauspieler. Der Cast ist übrigens neben dem notwendigen Casting dadurch zustande gekommen, dass sie bereit waren für umsonst zu spielen. Mit dieser Mentalität und sehr mageren 80.000 Euro Budget ist der Film gedreht worden.
Zu den Dialogen: Die klingen tatsächlich im gesamten Film etwas merkwürdig. Ich habe sie aber nicht negativ in der Review angeführt, da sie ihren Zweck definitiv erfüllen. Jede Emotion, die der Regisseur erreichen wollte kam bei mir an und ich glaube, die Dialoge tragen ihren Teil dazu bei.
Aber ich verstehe auch wenn man sagt, dass einen das trotzdem nervt. Nur die Kritik an der Kamera finde ich etwas hart. Sie bewegt sich ständig, aber wackeln tut sie nur minimal und das aus inszenatorischen Gründen. Die dynamischen Bilder sind wichtig für den Film. Ich will damit nicht sagen, dass dir das gefallen muss, aber "unprofessionell" ist ein sehr hartes Wort ;)
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