Mit seiner 1984-1985 erschienenen sechsbändigen Kurzgeschichtensammlung Books of Blood landete der britische Autor Clive Barker einen Überraschungserfolg der Horrorfans auf der ganzen Welt dank hoher Qualität, sowie kreativen und abwechslungsreichen Ideen für sich einnehmen konnte und so frischen Wind in die Horrorliteratur brachte. Wenig überraschend folgte mit Rawhead Rex 1986 bereits die erste Verfilmung, welche allerdings der zugrundeliegenden Geschichte leider qualitativ nicht gerecht wurde und auch finanziell enttäuschte. Es sollte ganze 6 Jahre dauern bis 1992 mit dem Horrorthriller Candyman auf Basis der im fünften Buch des Blutes enthaltenen Kurzgeschichte The Forbidden die nächste Spielfilmadaption aus Barkers Debutwerk folgte (zwischenzeitlich wurde The Yattering and Jack 1987 als Episode der Serie Tales from the Darkside filmisch umgesetzt). Die Handlung dreht sich um die junge Helen, die für ihre Doktorarbeit über urbane Mythen Recherchen zur Legende des Candyman anstellt. Zu ihrem Pech ist der Hakenbewehrte Bösewicht realer als vermutet...
Barker selbst ist lediglich als Produzent beteiligt, für Drehbuch und Regie zeichnete sich Bernard Rose (Frankenstein, The Devil’s Violinist) verantwortlich. Für die Adaption wurden einige gravierende Änderungen im Vergleich zur literarischen Vorlage vorgenommen, da Grundidee, einige Storyelemente und die Figuren(namen) übernommen wurden, die Handlung aber von Liverpool nach Chicago verlegt wurde und Helens Recherchen nicht im Milieu der weißen Unterschicht sondern in einem Afro-amerikanischen Ghetto stattfinden. Hinzukommen einige, der geringen Länge des Originalstoffs geschuldete neu eingefügte Handlungselemente, so u.a. eine Nebengeschichte über die Kriminalität in den Projects und die Verdächtigungen der Protagonistin vonseiten der Polizei. Glücklicherweise fügen sich diese Elemente nahtlos in die Erzählung ein und sorgen teils sogar für eine erhöhte Spannung.
Ein großer Pluspunkt ist, dass die Dreharbeiten tatsächlich zu einem Großteil im echten Cabrini Green stattfanden, was aufgrund der Darstellung der Originalgebäude und echter Graffiti für eine erhöhte Authentizität sorgt. Zudem wurden auch die echten Bewohner mit in den Film eingebunden und sogar einige lokale Gangmitglieder bekamen Nebenrollen (v.a. um die Filmcrew vor möglichen Übergriffen zu schützen) was das Ganze noch realer erscheinen lässt.
Auch allgemein schafft es Rose die Beschäftigung mit urbanen Legenden, sowie den fließenden Übergang zwischen Fiktion und Realität exzellent darzustellen. Auch Spannung und Dramatik sind zur Genüge vorhanden, da auch neben den effektiv in Szene gesetzten Auftritten der Titelfigur durch den Gangplot und einige überraschende Wendungen keine Langeweile aufkommt. Des Weiteren ist positiv anzumerken, dass genügend Zeit auf die Figureneinführung- und Entwicklung verwendet wird, so dass der Zuschauer mit ihnen Mitfühlen kann und sich für ihr Schicksal interessiert (was für einen Horrorfilm nicht immer selbstverständlich ist).
Optisch liefert Kameramann Anthony B. Richmond (Ravenous, Authopsy) wunderschöne aufnahmen welche perfekt den Kontrast zwischen dem heruntergewirtschafteten Armutsviertel Cabrini Green und den säuberlichen Nobelvierteln einfangen. Ansonsten fällt noch die gelungene Verwendung verschiedener Kamerawinkel und Kameraperspektiven auf, wobei ich besonders mehrfach verwendete Luftaufnahmen großartig ausgeführt finde. Auch musikalisch liefert Komponist Philip Glass (Watchmen, The Illusionist) eine epochale musikalische Untermalung, welche von sakralen Rhythmen dominiert wird welche die Dramatik der Geschichte perfekt unterstreichen.
Auch vor der Kamera konnte auf einige fähige Mimen zurückgegriffen werden, allen voran Candyman Darsteller Tony Todd (Final Destination Reihe, Platoon), welcher dem Antagonisten eine vornehme und charmante Ausstrahlung verleiht und ihn durchaus verführerisch erscheinen lässt. Die Boshaftigkeit und Bedrohlichkeit der Figur schafft er subtil zu verkörpern wobei zum Großteil auf vordergründige Aggressivität verzichtet wird und er eine angenehm ruhige Darstellung abliefert. Die Protagonistin Helen Lyle wird von Virginia Madsen (God’s Army, Dune), Schwester von B-Movie Legende Michael Madsen, verkörpert. Es gelingt ihr eine nuancierte Darstellung zu liefern und sowohl den anfänglichen Arbeitseifer und Optimismus ihrer Figur, als auch den späteren Abstieg in Verzweiflung und Todesangst perfekt darzustellen. Aufgrund des relativ intelligenten Verhaltens des Charakters (abgesehen von der recht dämlichen Aktion eine Mordwaffe zu berühren) fällt es auch recht leicht mit ihr mit zu fiebern. Ansonsten ist noch Xander Berkley (Terminator 2, Kick Ass) als betrügerischer Ehemann Trevor erwähnenswert. Berkley stellt seine Figur größtenteils als schmierigen und verräterischen Unsympathen dar. Auch mit dabei ist Ted Raimi (Nebendarsteller in etlichen Horrorfilmen, u.a. Midnight Meat Train, Wishmaster), der kleine Bruder von Sam „Evil Dead“ Raimi, in einer Nebenrolle als paarungswilliger Jungspund in einer der bereits obenerwähnten Mythen.
Gorehounds dürften etwas enttäuscht sein, da der Fokus hier weniger auf extremen Gore- Effekten als mehr auf subtilerem Schrecken liegt. Einige blutige Szenen sind dennoch vorhanden, da der Candyman seine Hakenhand mehrfach einsetzen darf, dies wird allerdings nie unnötig breit gewälzt und ist recht effektiv umgesetzt worden. Bemerkenswert sind davon abgesehen vor allem mit lebenden Bienen gedrehte Szenen unter Involvierung der tatsächlichen Schauspieler und die recht eklige Darstellung des knöchernen Brustkorbs des Candyman.
In Deutschland erhielt die ungekürzte R-Rated Fassung eine FSK 18 Freigabe und wurde anders als viele Genrekollegen nie indiziert. Ebenfalls erschienen ist eine um etwa eine halbe Minute längere Unratedfassung welche in einer Gewaltszene leicht erweitert wurde, in Deutschland aber nur auf VHS erschienen ist.
Candyman kommt zwar nicht an Barkers Meisterwerk Hellraiser heran, ist aber trotzdem ein enorm unterhaltsamer und atmosphärischer Genrefilm der gelungen Motive aus der literarischen Erzählung mit eigenen Ideen kombiniert. Dafür vergebe ich 8/10 Haken.
Zusatzinfos: Für die Bienenszenen wurden ausschließlich extra gezüchtete Jungbienen verwendet, da diese noch nicht stechen können.
Insgesamt kamen 200.000 Bienen zum Einsatz.
Für Tony Todd wurde extra ein an seinen Mund angepasster Korb gefertigt, um mit echten Bienen in seinem Mund drehen zu können.
Um die Sicherheit von Cast und Crew zu garantieren wurde nur tagsüber, unter Überwachung durch örtliche Polizeibeamten in Cabrini Green gedreht.
Während die Außenaufnahmen in Chicago gefilmt wurden, fanden die Innendrehs größtenteils in L.A. statt.
Unterschiede Kurzgeschichte und Film (WARNUNG KANN SPOILER ENTHALTEN)
In Barkers Kurzgeschichte ist Helen sich von Anfang an über die Affären ihres Mannes bewusst und stört sich nicht sonderlich daran, während sie im Film erst im Laufe der Handlung davon erfährt (und entsprechend wütend ist).
Anders als im Film ist der Candyman ursprünglich ein Weißer. Barker beschreibt ihn folgendermaßen: „Er war bunt bis zur Geschmackslosigkeit: sein Fleisch ein wächsernes Gelb, seine schmalen Lippen blass blau, seine irren Augen funkelten, als ob ihre Iris mit Rubinen besetzt wäre.“
Die Rolle der Bernadette war ursprünglich weitaus kleiner: Während sie im Film eine tragende Rolle spielt wird sie im Buch nur in einer Szene kurz erwähnt.
Das Ende weicht in beiden Varianten stark voneinander ab, u.a. stirbt bei Barker das Baby während es bei Rose überlebt.
8/10