Die lebenden Toten
Herstellungsland: | Deutschland (2017) |
Genre: | Horror, Drama, Komödie |
Alternativtitel: | Monsters of Reality lebenden Toten oder: Monsters of Reality, Die |
Bewertung unserer Besucher: |
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Note: 8,00 (1 Stimme) Details |
Inhaltsangabe:
Eine Theateraufführung im Schauspiel Essen.
Drei Zombies bewegen sich auf die Bühne. Langsam werden ihre Laute zu Worten, und sie beginnen sich zu unterhalten. Sie fühlen sich als Figuren eines Films, und suchen danach eine Anweisung zu bekommen, die ihnen ermöglicht einen Zombiefilm zu drehen, der ihre politischen und gesellschaftlichen Ängste thematisiert. Sie unterhalten sich darüber, welche Ängste dadurch geschürt werden, dass viele Flüchtlinge Zuflucht in europäischen Staaten suchen. Zwischen den Zombies entsteht eine Diskussion darüber wie Politiker aber auch Bürger mit dieser Problematik umgehen. Und damit sprechen sie auch darüber, dass ihre Gier nicht nach Menschenfleisch dürstet, sondern nach dem Erhalt der Wohlstandsgesellschaft, in der sie geboren sind. Sie verzweifeln bitter, und stellen sich die Frage, was Menschen zu Zombies macht. ()
Die Zombies sprechen? Ihre Themen gehen weit über den Appetit auf "Gehirn" (Return of the Living Dead) hinaus? Nun, der Horrorfan weiß seit Romeros Dawn of the Dead, dass Zombies mehr sein können, als eine Fiktion zum gruseln. Sie können ein Spiegel von gesellschaftlichen Verhältnissen sein, eine bitter blutige Satire auf die Wohlstandsgesellschaft und die hirnlosen Massen. In DIE LEBENDEN TOTEN fangen die willenlosen Zombies wieder an zu denken. Und tatsächlich ist es dem für seine Theaterstücke mehrfach ausgezeichneten Christian Lollike gelungen, mit der Hilfe des Film- und Theaterregisseurs Jörg Buttgereit (DER TODESKING, MONSTERS OF ARTHOUSE) eine Idee auf die Bühne zu bringen, die diese Bereicherung der Kunst und ein aktuelles Thema aufgreift, welches mehr oder weniger durch all unsere Köpfe geht. Es geht in erster Linie darum wie Bürger der Wohlstandsgesellschaft versuchen damit umzugehen, dass seit Jahren Flüchtlinge Zuflucht in Europa suchen. In der Realität herrscht in mehreren Ländern Krieg, der sogenannte islamische Staat terrorisiert Menschen mehrerer Länder, und Millionen von Menschen fliehen vor diesem Grauen, auf der Suche danach, in Frieden ihr Leben zu leben. Eine Masse von Menschen, die oft nur mit Krieg und Elend in Verbindung gebracht wird, der existentiellen Angst, mit dem Tod. In DIE LEBENDEN TOTEN unterhalten sich die Zombies darüber, und sie stellen verschiedene Gedanken und Gefühle von europäischen Bürgern und Politikern dar. Es ist schier unglaublich, wie es Lollike und Buttgereit geschafft haben, eine Gesellschaftskritik mit der Aufforderung zum Humanismus und dem eigenständigen Denken zu präsentieren, und alles mit einer guten Portion befreienden Lachens zu verbinden!
Schauspiel Essen. Die Tore gehen auf, das Publikum - zu dem ich gehöre- betritt einen dunklen Raum, in dem die Zombies lauern.
DIE SZENERIE
Es ist düster, die Lichter präsentieren stückweise welche Eindrücke auf das Publikum warten. Ein Schaufenster, hinter dem sich ein Elektrogeschäft verbirgt, in dem ständig Sprecher stumm aus alten Fernsehern plappern. Die Darstellung von Medien, die Information über die Welt aus dritter Hand geben, und alle Gedanken anregen können. Hinter einem weiteren Schaufenster steht eine Schaufensterpuppen-Familie. Puppen des Kapitalismus, im Kaufhaus beheimatet, welches schon in Dawn of the Dead ein Magnet einer blutigen Auseinandersetzung war. Oben links neben den Schaufenstern ist eine Leinwand angebracht, auf der während der Aufführung zeitweise satirische Titelseiten fiktiver Blätter und Karikaturen von diversen Filmcovern abgebildet werden, sowie Comics von FuFu Frauenwahl (u. a. Illustrator der von Kafka und H.P. Lovecraft inspirierten Comicserie „Ray Murphy – Detective of Dreams). Auf der Bühne befinden sich ein paar einfache Maschinen, Werkzeuge, ein Einkaufswagen, ein Kaugummiautomat, und einige Dinge, die erst im Finale bedeutsam werden. Rote Lichter, Dunkelheit und gelegentlich Nebel gestalten die Horroratmosphäre mit. Das Bühnenbild von Susanne Priebs, die schon oft mit Buttgereit zusammengearbeitet hat, unterstützt das Stück gut durchdacht als Anlehnung an DAWN OF THE DEAD. Vor den Schaufenstern steht eine Palme, und aus dem gigantischen Kübel, aus der sie schaut, graben sich die Zombies. Die Maskierung von Susanne Priebs gleicht der, die man schon in Dawn of the Dead gesehen hat, die Augen sind durch Linsen getrübt.
DIE LEBENDEN TOTEN
Silvia Weiskopf (Ein Sommernachtstraum) tritt im Kleid auf, sie nutzt gerne ihre langen blonden Haare, um ihr Gesicht geheimnisvoll zu verdecken. Sie wird wirklich gruselig und leidend über die Bühne wandern, Hut ab! Der älteste Zombie, der große schwere Axel Holst (auf dem NRW Theatertreffen 2012 als bester Schauspieler in NORA ausgezeichnet), erscheint im Anzug. Seine Darstellung von Ambivalenz zwischen Hoffnung und Schmerz ist tragend, seine Darstellung von Funktionären ist gewichtig. Der sportliche 27 jährige Alexey Ekimov (Die Räuber, festes Mitglied des esseners Ensembles) trägt eine Bomberjacke und Springerstiefel. Seine Beschäftigung damit, was er als einfacher Mann im Bezug auf das Elend der Welt tun kann, will und möchte, wird die gelungene Darstellung purer Verzweiflung, die wohl fast jeden Bürger Deutschlands anspricht. Den Schauspielern gelingt der gelegentliche Wechsel zwischen Drama und Humor wahrlich spielend, Dramaturg Florian Heller (Pussy Riots, Parsifal) hat sie gut leiten können.
ZOMBIES IM DIALOG
Die ersten Dialoge verdeutlichen das Konzept des Stücks: "Ich liebe Zombie- und Vampirfilme, durch die Probleme für mich deutlich gezeichnet werden." Ein lebender Toter sagt, man könne sich durch die Fiktion mit Gefühlen beschäftigen, und brauche diese so nicht in der Realität leben. Der folgende Vergleich mit Pornofilmen ist ein gutes Beispiel dafür, dass bei diesem Stück Drama und die Ironie des Lebens fast die selben Worte sind. Ein Zombie spricht davon, dass Zombiefilme seine eigenen Ängste ausdrücken. Schon an dieser Stelle funktioniert das Stück auf mehreren Ebenen. Die Darstellung spricht die Fiktion und deren Auswirkung auf die Realität an, sie ist nichts weiter als ein Spiegel der realen Gefühle. Und das wichtigste Gefühl dieses Stücks ist Angst.
"Wovor hast du Angst?". "Ich weiß nicht. Vor den Fremden, Islamisten, Schwarzen.....". Die Angst vor dem Ungewissen, dem Unbekannten macht die Massen von Flüchtlingen zur Projektionsfläche der Angst. Eine ansteckende Angst, ein Virus. Dramatisch und mit heftigen Dialogen sowie Hörspiel-Fragmenten wird thematisiert, welches Leid viele Flüchtlinge erleben, wie z. B. die Gefahr auf der Flucht auf dem Meer zu ertrinken und eine aussichtslose Zukunft zu haben. Die Perspektivlosigkeit der Bürger, hier in Form unser drei Zombies, und deren eingefahrene Gefangenschaft in einem teilweise unmenschlichen System, wird diesem Leiden gegenüber gestellt. Die Flüchtlinge, die kaum die Möglichkeit bekommen, ein humanes Leben zu leben, werden als lebende Tote beschrieben. Die Bürger, die in Flüchtlingen nur die Masse des Elends sehen, und nicht mehr Menschen mit Gefühlen wie du und ich, stecken sich mit Angst an, statt das Hirn zu nutzen. Sie haben den Virus, sie werden ebenfalls als lebende Tote beschrieben. Die Zombies der Wohlstandsgesellschaft schreien kläglich nach einem Regisseur für ihren Zombiefilm, einer Führung, die ihnen dabei hilft, mit dem Elend der Welt umzugehen. Und sie suchen damit auch nach einer politischen Führung, nach jemanden, der kompetent die Verantwortung übernimmt und die kapitalistische Illusion von Glück aufrecht erhält.
Holst spielt eine führende Person, den "EU-Kommissar". Der Kommissar ist ein besonderer lebender Toter, ein Vampir. Er saugt Personen das Leben aus, die in ihm dann wörtlich dargestellt devot und schon sexuell untergeben einen Herren und Meister sehen. Der Kommissar kann politisch nur ein vermeintlich kontrolliertes Leiden versprechen. Die Antwort darauf ist eine weitere bittere Ironie, wenn ausgerechnet ein Zombie danach fragt: "Was ist denn mit den Menschenrechten?". Den Zombies bleibt anscheinend nur über aufgrund der Überforderung in Selbstmitleid zu verfallen. Was kann unseren Bürgern noch helfen? Die Geborgenheit des Wohlstands, der Konsumrausch? Der Wohlstand ist anhand der nicht mehr funktionstüchtigen Güter, die die Bühne zieren, nichts, was das Gemüt jemals wirklich befriedigen kann. Der Wohlstand wird als eine vermeintliche Sicherheit dargestellt, die bewahrt werden möchte. Eine Perspektive, die in einem Blick auf das Elend nur den möglichen Verlust des Wohlstands sieht. Die Politik und die Luftblase der Wohlstandsgesellschaft beruhigen unsere Bürger nicht, sie schüren sogar eher die Verlustangst. Sie verbreiten schnell den Virus, der Menschen zu lebenden Toten macht. Auch das Verzehren einer Ratte aus Mett bleibt eine kurzfristige Befriedigung, als ironische Szene funktioniert es für das Publikum allerdings bestens.
Die Zombies suchen einen Weg, ihren Gefühlen anders Luft zu machen, und auf anderen Ebenen Zugang zu ihnen zu finden. Kann der knüppelharte, wütende Trash-Metal von SLAYER (God hates us all) genug Frust herauslassen, wenn man diese kunstvolle Wut samt auf der Leinwand abgebildeten Text, mit Strobo und Headbangen, genießt? Zu kurzfristig, zu fiktiv. Kann die Liebe den Virus bekämpfen? Sie wird nur tragikomisch zu einer Farce, dargestellt durch die beste Susi und Strolch-Parodie die es gibt. Die Zombies stellen sich die Frage, was ist, wenn man sich auf die Erfolgsprinzipien unserer Wohlstandsgesellschaft besinnt. Leistung macht frei? Auch die Befriedigung durch den Erfolg innerhalb einer Leistungsgesellschaft scheint das individuelle Bedürfniss nicht zu befriedigen. Es wird deutlich formuliert, dass dieser Erfolg den Menschen nur zu einem Modell, zu einem lebenden Toten formt. Kann die Rebellion helfen? Die rechte Seite der Verzweiflung? Oder liegt die Lösung im kompletten Ausbruch aus den vorhandenen Gesellschaftssystemen? Alles wird diskutiert oder versucht, um den Virus zu entkommen, ohne das Bewusstsein dafür, dass man bereits infiziert ist. "....ich kann nicht helfen, wenn ich selbst in der Scheiße stecke!"
In manchen Augen ist es vielleicht geschmacklos, pietätlos und pseudophilosophisch, was DIE LEBENDEN TOTEN darstellt und vermittelt. Ich hingegen, und so wie es aussah war ich da nicht der Einzige, bin davon beeindruckt, wie es gelungen ist, mit einfachen Mitteln und so dialoglastig gleichermaßen dramatisch, klug, aber auch entwaffnet ironisch ein bedrückendes Stück Zeitgeschichte darzustellen!
Kommentare
20.04.2017 10:06 Uhr - NoCutsPlease |
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20.04.2017 10:22 Uhr - cecil b |
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20.04.2017 11:38 Uhr - TheRealAsh |
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20.04.2017 12:01 Uhr - NoCutsPlease |
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20.04.2017 12:21 Uhr - cecil b |
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20.04.2017 12:45 Uhr - JasonXtreme |
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21.04.2017 00:13 Uhr - Punisher77 |
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![]() DB-Helfer ![]() ![]() |
Hervorragendes, wortgewaltiges Review - Hut ab!
Schade, dass ich das Stück verpasst habe. Hätte ich mir angesehen, obwohl ich noch nie ein gelungenes Theaterstück gesehen habe... |
21.04.2017 03:24 Uhr - naSum |
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21.04.2017 06:32 Uhr - cecil b |
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24.04.2017 00:25 Uhr - Deathking |
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24.04.2017 16:08 Uhr - cecil b |
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27.04.2017 00:38 Uhr - Deathking |
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Gerne doch,natürlich bin ich präsent, dann und wann,wie auch im Hintergrund.
Kritik ist nicht rechts/links einzuordnen ,sondern ist diese kritisch halt :-) KRITIK ROCKT111 sTAY SICK111 |
27.04.2017 09:07 Uhr - Dissection78 |
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27.04.2017 10:47 Uhr - cecil b |
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