Montana Sacra - Der heilige Berg
Originaltitel: The Holy Mountain
Herstellungsland: | Mexiko, Großbritannien, USA (1973) |
Standard-Freigabe: | FSK keine Jugendfreigabe |
Genre: | Drama, Fantasy |
Alternativtitel: | Montana Sacra Montaña sagrada, La Sacred Mountain, The Subida al Monte Carmelo |
Bewertung unserer Besucher: |
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Note: 9,79 (14 Stimmen) Details |
Inhaltsangabe:
Der Dieb irrt ziellos durch eine verkommene, verdorbene Stadt. Auf der Spitze eines Turms trifft er den Alchimisten. Der Erleuchtete versammelt gerade eine Gruppe mystischer Wesen um sich. Gemeinsam mit ihnen will er sich auf die Suche nach dem sagenumwobenen Heiligen Berg machen, denn auf dessen Gipfel sollen neun Unsterbliche das Geheimnis des ewigen Lebens hüten. Neun mächtige Herausforderer sind vonnöten, um es mit den Hütern aufzunehmen und ihnen das Geheimnis zu entreißen. Mit dem Dieb ist die Gruppe endlich komplett… (www.bildstoerung.tv)
Willkommen in der Dunkelheit! Willkommen im Wahn! Willkommen im Licht!
Der schwarze Magier zelebriert seine Messe. Er schert zwei Frauen den Kopf und wir als Zuschauer werden sofort mit psychedelischen Formen, Schnitten und Bewegungen in den Abgrund der filmischen Gedankenwelt und Kreativität von Alejandro Jodorowsky gesogen. Jodorowsky ist so eng mit der surrealen Kunst des 20. Jahrhunderts verbunden und so selbst einzelstehender Künstler, dass seine Vorreiterrolle und sein Einfluss auf den Film des 21. Jahrhunderts erst jetzt langsam allgemein bekannter wird.
Aber eins nach dem anderen. Jodorowskys Wurzeln liegen sicherlich im Zirkus und im Theater. Das ist seinem Werk auch bis heute anzumerken. Dass er den Schritt zum Film vollzogen hat, der Anfangs noch sehr theaterhaftig war, ist wirklich ein Glücksfall. Denn in gewisser Weise hat er eine verlorene Kunst in den Film transformiert hat, die heute ja zugegebenermaßen nur noch Feuilletonisten rezipieren, die etwas auf sich halten und sich dabei gut vorkommen, ist eine große Leistung. Aber damit hat sich Jodo (wie wir ihn vielleicht jetzt liebevoll nennen) nicht zufrieden gegeben. Warum auch? Der wahre Künstler strebt ständig nach Höherem. Und was ist größer als ein Berg? Doofe Frage, natürlich ein heiliger Berg.
Während Jodo also das Theater in den Film (mit anderen Kollegen wie Fernando Arrabal, um nur einen für Jodo selbst bekannten zu nennen) gerettet hat, erfand er gleich noch den Midnight Movie mit, der so prägend für das Kino jenseits des Mainstreams wurde. Jodos Talent brachte ihn bald recht weit und so wurde sein Steckenpferd bald eine ihm aus der Hand gerissene Verfilmung von Frank Herberts Dune - Der Wüstenplanet, der auch sein persönlicher Untergang werden sollte und ihn erst einmal vom Film zwangsweise entfernte. Dieser letztlich von nicht von Jodo gedrehte, sondern nur erdachte Film, der als andere Version von David Lynch in die Kinos kam, wurde allerdings ebenso einflussreich für das Kino, das da noch kommen würde, dass man wiederum heute erst bemerkt, was Jodo da alles geschaffen hat, während er sein ganzes Leben unermüdlich scheinbar weitergemacht hat.
Denn von der Bildfläche und der Kunst war Jodo nie verschwunden. Wenn es eben kein Geld mehr für Filme gab, erzählte Jodo seine Geschichten und Visionen einfach weiter und wechselte ins Comic-Genre, wo er mit dem phänomenalen Zeichner Moebius (aka Jean Giraud) einen der Meilensteine des Comic-Genres schuf, der da wäre L'Incal (oder zu deutsch John Difool), der ebenfalls noch einer Verfilmung harrt.
Man könnte noch so viel mehr zu Jodo sagen, da er wirklich ein Allround-Künstler ist. Auch sein Engagement für andere Künstler und heute vor allem jüngere Kollegen (am bekanntesten wohl Nicolas Winding Refn) beweist die Offenheit und den weiten Horizont, den Jodo hat. Seine Biographie ist wohl mitunter eine der interessanteren Biographien des zweiten Teils des 20. Jahrhunderts und des beginnenden ersten Teils des 21. Jahrhunderts. Denn nach langer Regiepause von über 20 Jahren hat sich Jodo in seinen Achtzigern nochmal voll ins Filmgeschäft begeben und ein Alterswerk begonnen (La danza de la realidad, Poesía sin fin), das endlich (ein wenig) von der Anerkennung erhält, die er eigentlich verdient hätte.
Außerdem anzumerken ist, dass Jodo wohl einer der größten Fans des Tarots ist, jenes Kartendecks, von dem nachgesagt wird, es habe magische Kräfte. Selbst war er auch dafür verantwortlich, dass das Tarot de Marseille im Stile des Originals für heute wiederhergestellt wurde. Ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen also.
Für Montana Sacre, diesen heiligen Berg der Filmkunst, den Jodo für sich und uns erstiegen ist, spielt das Tarot ebenfalls eine Hauptrolle, wie natürlich auch für El Topo (hier unbedingt Cecils klasse Review lesen) und sein restliches Werk. Dennoch sorgt das Tarot mit seinen verschiedenen Kartencharakteren in Montana Sacra für einen besonderen Inhalt. Alle Figuren und Ereignisse aus der großen Arkana (den Trümpfen) haben im Film ihren Auftritt (der Narr, der Magier, das Gericht, die Liebenden, die Sonne, der Mond, etc.). Es scheint fast so, als hätte Jodo die Story des Films in einem der vielen Legesysteme des Tarot gelegt und daraufhin sein Drehbuch verfasst.
Denn zur Story, einer Handlung und einem einheitlichen Ganzen kann man in Montana Sacra wenig bis gar nichts sagen. Auch ein handlungstragender Hauptdarsteller, der von A nach B geht, fehlt. Vielmehr bietet der Film Situationen, Charaktere, Ideen, Abscheulichkeiten, Grausamkeiten, Sex, Wahnsinn und Megalomanie.
Ich möchte allerdings trotzdem einen kurzen Abriss der Stationen bringen. In der ersten Quasiepisode lernen wir einen heruntergekommenen Jesusklon kennen, in den sich immerhin ein ganz hübsches Freudenmädchen (man denke an Maria Magdalena) verliebt. Jesus außer Dienst besteigt schließlich fast nackend wie Gott ihn schuf einen psychedelischen Turm, in den er wie in den Himmel zu Gottvater entschwindet und lernen muss, dass nicht jede Scheiße sich zu Gold verwandeln lässt. Denn die Moral von der Geschichte ist eher eine höhere Ebene des Bewusstseins, wie anzunehmen ist.
Diese erste Episode bietet gleichzeitig ein allgemeines Rahmenmotiv für den Rest und einen Quasi-Haupthelden. Dann lernen wir verscheidene Planetencharaktere kennen, die uns erzählen, was sie so alles erlebt und gemacht haben. Da ist Fon vom Planeten Venus, wo es wie nicht anders zu erwarten um Sex geht; da ist Isla vom Mars, die in kriegerischen Aktivitäten macht; da ist Klen vom Jupiter, der mit Kunst und Kommerz zu tun hat; da ist Sel vom Saturn, die die Jugend verroht; da ist Axon vom Neptun, der seine Armee entmannt; da ist Berg, der Staatsfinanzen und soziale Säuberungen miteinander verbindet und zuletzt ist da Lut vom Pluto, der sich mit Architektur und Wohnraum beschäftigt. Ein illusterer Haufen also, oder vielmehr wahrscheinlich Projektionen unseres Jesusklons oder Erweiterungen von ihm, böse Spiegelbilder und Variationen.
Jodorowsky selbst spielt den Magier oder Alchimisten, der diese Gruppe auf der Suche nach dem heiligen Berg zusammenhält. Sie irren mit ihm dabei durch die Jahrhunderte, Zukünfte und Parallelwelten, Mythologien und Visionen, bis ans Ende des Bewusstseins oder vielleicht auch in dessen Kern. Hier gilt es Tempel zu säubern, falsche Idole zu verbrennen und auch sonst einiges an mystischem Krimskrams zu tun, nur um am Ende ein bisschen mit psychoaktiven Substanzen zu experimentieren.
Schließlich gehts mit dieser lustigen Partytruppe zu einem realen Berg, wo wirklich schöne Landschaftsaufnahmen auf einen warten und der realen Crew und Jodo nachgesagt wird, dass sie damals selbst auf LSD waren, als sie das gedreht haben. Das ist wahre Hingabe an die Kunst des Schauspiels!
Der Jesusklon findet am Ende der Geschichte noch sein Glück mit dem netten Freudenmädchen, das sich zu Beginn in ihn verliebt hat, während der Magier sich vor den anderen, die sich in Puppen verwandeln, als Regisseur Jodorowsky in der Geschichte zu erkennen gibt, der ja gerade den Film Montana Sacra dreht und mitteilt, dass Realität und Fiktion doch durchaus manchmal schwer zu trennen sind, unvereinbar und doch einen gemeinsamen Kern haben (Ingmar Bergman macht so etwas ähnliches bei Persona sieben Jahre zuvor). Am Ende triumpiert allerdings doch eine frohe Botschaft von der wahren Kreativität, die nur im eigenen Selbst auf einen wartet.
Wie gesagt, das kann am Ende verstehen, wer will. Absolut packend ist das schickende Moment dieses Filmtrips, der ähnlich wie Kubricks 2001 einen ulimate trip bietet, der das Bewusstsein und den Körper, das Gehirn und alles, was man so Leben nennt, in seinen Grundfesten auseinanderreißen möchte, um es neu und unverbraucht zu rekonstruieren. Damit steht Jodo natürlich durchaus in der Tradition der fröhlichen Siebziger, die eine zeitlang als etwas lächerlich abgetan wurde. Jodo allerdings bietet hier Bilder und Stationen von Wert, die man immer wieder ansehen kann. Verstehen wird man es am Ende sicher nicht. Muss auch nicht sein.
Montana Sacra bietet Interpretationsmöglichkeiten auf tausend verschiedenen Ebenen. Sicher sind auch politische und soziale Auseinandersetzungen mit der Geschichte Amerikas eingearbeitet, die mich sehr interessieren würden. Auch die Gewalt, die von Menschen, totalitären Systemen und auch Religionen ausgeübt werden, bleibt ein ewiger Kreislauf, den der Film verdeutlicht. Insgesamt aber ist Montana Sacra ein Midnight-Monster - oder eben ein Berg - von einem Film, der mich zumindest immer wieder packt. Man kann sich hier mit Dingen beschäftigen, mit denen man sich in nur einem Menschenleben alleine wohl gar nicht beschäftigen kann, außer man ist Jodorowsky selbst, von der Kabbalah, über die Bibel, bis hin zu fernöstlichem Gedankengut und darüber hinaus.
Bevor ich allerdings allzu esoterisch werde, was mir eigentlich fern liegt, verabschiede ich mich mit den Worten des edelsten Vulkaniers, der da lebte:
"Live long and prosper!"
IVI,
Kommentare
23.05.2017 00:55 Uhr - DriesVanHegen |
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23.05.2017 07:07 Uhr - naSum |
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23.05.2017 09:55 Uhr - NoCutsPlease |
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23.05.2017 10:16 Uhr - TheRealAsh |
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23.05.2017 10:28 Uhr - DriesVanHegen |
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23.05.2017 10:56 Uhr - naSum |
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23.05.2017 11:32 Uhr - TheRealAsh |
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ok, dann noch mal danke naSum :-D
@dries: ja, die Bildstörung-Box ist natürlich genial, hab ich auch weggelassen, genauso wie den Soundtrack, ach ach ach |
23.05.2017 11:40 Uhr - JasonXtreme |
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![]() DB-Co-Admin ![]() ![]() |
Ich hab bisher keinen Jodo gesehen, weil ich denke die sind mir zu experimentell - aber mir hast das Ding zumindest richtig gut nahe gebracht :D
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23.05.2017 17:39 Uhr - Intofilms |
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23.05.2017 18:57 Uhr - TheRealAsh |
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