„Für jemanden, der so etwas tut, ersetzt das Messer seinen Penis.“
„Dirty Harry“ Charles Bronson goes Slasher?!
Ich mag den knorrigen US-Haudegen litauisch-tatarischer Abstammung, der von sich selbst vermutete, er sähe aus wie ein Steinblock, der in die Luft gesprengt wurde. Nach einer harten, entbehrungsreichen Kindheit und Jugend, zwei Gefängnisaufenthalten, seinem Dienst als Bordschütze bei der US-Air-Force während des 2. Weltkriegs, dem Ausüben des Boxsports und einem Kunststudium, arbeitete er sich über etwa zwei Jahrzehnte in Nebenrollen im Filmgeschäft nach oben, bis er mit „Spiel mir das Lied vom Tod“ 1968 in Europa und schließlich mit „Death Wish - Ein Mann sieht rot“ 1974 in den USA seinen späten Durchbruch feierte. Wohlverdient, möchte ich meinen. Also, ein sehr interessanter, vielseitiger Charakter, dieses „heilige Monster“, wie die Franzosen Bronson erfurchtsvoll nannten und nennen. Jedenfalls ziehe ich die Actionstreifen jener Leinwandlegende, sowie die der anderen Legenden Clint Eastwood und Steve McQueen, den Actionspektakeln eines Stallone (Ausnahme: der erste „Rambo“) oder eines Schwarzenegger vor, deren Figuren wie Karikaturen der realistischer wirkenden Rollencharaktere Bronsons, Eastwoods oder McQueens scheinen. Und nein, das ist nicht despektierlich gemeint! Mir liegt einfach dieser Older-Old-School-Charme einen Tick mehr. Gerade habe ich einen etwas größeren Bronson-Filmmarathon hinter mich gebracht und möchte deshalb für „Ein Mann wie Dynamit“ (Originaltitel: „10 to Midnight“) eine Lanze brechen (die allerdings schon etwas altersschwach und morsch ist).
Gedreht wurde „10 to Midnight“ 1982/83 für etwa viereinhalb Millionen Dollar im sonnigen Kalifornien unter der routinierten Regie von John Lee Thompson, einem Filmemacher, der seit 1937 so ziemlich alle Genres beackerte, die im Bereich Film existieren. Seine bekanntesten Werke dürften wohl der Kriegsactioner „Die Kanonen von Navarone“ („The Guns of Navarone“, 1961) und der Psychothriller „Ein Köder für die Bestie“ („Cape Fear“, 1962) sein. Nach einem Skript von William Roberts („Die glorreichen Sieben“, „Die Brücke von Remagen“) drehte er hier nun seine vierte Arbeit mit Bronson und lieferte damit gleichzeitig dessen Einstand bei der Cannon Group von Menahem Golan und Yoram Globus ab (Cannon firmierte bei „Death Wish II“ noch unter dem American-European-Productions-Banner). Fünf weitere Thompson/Bronson-Kollaborationen sollten bis 1989 folgen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Geneigte Zuschauer, die einen Actionkracher erwarten, werden vermutlich sehr, sehr enttäuscht sein, denn Action gibt es hier kaum bis gar nicht zu sehen. Vorliegender Streifen ist sogar eine eher ruhige, langsame Mischung aus Großstadtcop-Krimi und Slasher bzw. Serienkiller-Thriller. Leichte Assoziationen zu „Maniac“, „Don’t Answer the Phone!“, „Nightmares in a Damaged Brain“ oder „Don’t Go in the House“, die einige Jahre zuvor die Runde machten, werden geweckt. Doch wird hier das Hauptaugenmerk auf die Polizeiarbeit gelegt, und der schäbige Schmuddelfaktor sowie das Ausschlachten der Mordtaten fällt weit zahmer aus.
Das „Actionhero-meets-Schlitzer“-Crossover war in den 80er übrigens gar nicht mal so oft im Mainstream anzutreffen. Wirklich unüblich war es allerdings auch nicht, hatte Chuck Norris doch schon 1982 in „Das stumme Ungeheuer“ („Silent Rage“) mit einer (über-)menschlichen Mordmaschine alle Hände voll zu tun. Clint Eastwood folgte mit „Der Wolf hetzt die Meute“ („Tightrope“, 1984), und Sly Stallone geriet in „Die City-Cobra“ („Cobra“, 1986) gar ins Visier einer ganzen Killersekte (bzw. geriet die Killersekte ins Visier von Sly).
Parallelen zu realen Serienkillern sind dabei beabsichtigt. Die Macher ließen im vorliegenden Fall die Taten von Richard Speck und Ted Bundy in die Handlung einfließen. Speck überfiel in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli 1966 ein Schwesternwohnheim und tötete acht Krankenschwesterschülerinnen. Bundy wiederum ermordete zwischen 1974 und 1978 mindestens 30 junge Frauen, darunter zwei Mitglieder der weiblichen Chi-Omega-Studentenverbindung, in deren Verbindungshaus er vom 14. auf den 15. Januar 1978 eindrang. Bundy wurde später der beigefarbene VW Käfer, den er nutzte, zum Verhängnis. Ein Auto gleichen Typs fährt der Mörder Wayne Stacy im Film (und wen der Figurenname Wayne Stacy in Verbindung mit Serienkillern aufhorchen lässt, der denkt wohl an John Wayne Gacy, selbst wenn der Rollenname von Hollywoodstar Warren Beatty inspiriert wurde).
Wie Ted Bundy ist auch Stacy ein gutaussehender, junger Mann. Doch während der reale Verbrecher mit seinem Charme junge Frauen einwickeln konnte, ist der Täter im Film von vornherein durch sein seltsames Verhalten als Außenseiter gebrandmarkt. Ein zum Scheitern verurteilter, sexuell frustrierter Sonderling, der bewusst unsympathisch und abschreckend dargestellt wird, damit das Publikum keine Empathie für ihn entwickeln kann. Anhand einiger Zitate, kann man sich vom liebreizenden Flair Wayne Stacys selbst überzeugen: „Schäm dich, du Schlampe.“ “Ich möchte deine Pussy lecken. Und ich möchte, dass du mir einen bläst. Und dann spritze ich dir in den Arsch.“ „Wir fahren zu einem Hotel. Dann bums ich dich nach Strich und Faden, wie du’s gern magst. Von vorn und von hinten.“ „Du hältst mich wohl für’n Idioten. Du willst mich wohl verarschen, du Miststück.“ „Ach, leck mich am Arsch, du Sau. Ich stoß ihn dir rein, dass er dir oben wieder rauskommt.“ „Auf dich würd ich nicht mal pissen, selbst wenn du mich auf Knien darum bitten würdest.“ Aufschlussreich ist, der Gute wird immer dann besonders obszön, wenn eine Dame ihn nicht von vornherein zurückweist, sondern durchaus aufgeschlossen scheint. Dass er die Morde splitterfasernackt begeht, kann natürlich sexuell konnotiert sein, oder es ist schlicht und ergreifend so, dass Stacy Blut an seiner Kleidung vermeiden möchte. Scharfsinnig vermutet: Es ist beides.
Anhand des abstoßenden Auftretens des Wüstlings, kann man umso befreiter mit dem von Bronson typisch dargestellten Vigilanten, Detective Leo Kessler, einem so erfahrenen wie ruppigen und desillusionierten Cop, mitfiebern, selbst wenn er Gesetze bewusst überschreitet (oder gerade dann erst recht). SPOILER! Dass das Publikum zum Ende hin Beifall klatscht, mag wohl nicht von der Hand zu weisen sein. Doch unter einem POSITIVEN Schluss stelle ich mir doch was anderes vor. Kessler ist schließlich durch seine fingierten Beweise suspendiert, und eine Mordanklage würde ebenfalls nicht verwundern. SPOILER Ende!
Bronson stellt dabei seine gewohnte Minimalmimik zur Schau, wobei ich ihn als durchaus talentiert in diesem Bereich ansehe, da er, wie Eastwood, schweigend mit einem einzigen Blick und kleinsten Nuancen mehr aussagt und darstellt, als es overactende HB-Männchen mit tausend Worten ausdrücken könnten. Ein tierisches Charisma hat der Mann sowieso.
Den sexuell abartigen Serienkiller gibt Gene Davis überaus beeindruckend. Die unterdrückte Wut, seinen Hass bis zur schlussendlichen Explosion, bringt Davis äußerst bedrohlich rüber. Er ging in seiner Rolle dermaßen auf, dass er während des Drehs den Arm einer Darstellerin versehentlich auskugelte. Davis, der jüngere Bruder des früh verstorbenen „Midnight Express“-Stars Brad Davis, spielte zuvor in William Friedkins „Cruising“ (1980), war einige Jahre später in „Das Gesetz ist der Tod“ („Messenger of Death“, 1988), einem weiteren Bronson/Thompson-Vehikel, als Killer zu sehen und hatte kleinere Rollen in „Hitcher – Der Highwaykiller“, „Universal Soldier“ oder „Das Relikt“.
Weiterhin agieren vor der Kamera u.a.:
Andrew Stevens als Paul McAnn, Kesslers junger, noch nicht ganz stubenreiner Partner, der im weiteren Handlungsverlauf in arge Gewissenskonflikte gerät, welche zwar storytechnisch reichlich oberflächlich abgehandelt, von Stevens jedoch halbwegs glaubwürdig dem Zuschauer nahegebracht werden. In seiner späteren Karriere trat er vornehmlich als Produzent von B- bis C-Ware der Herren Fred Olen Ray, Jim Wynorski, Steven Seagal und Dolph Lundgren in Erscheinung. Andererseits stehen auch bekanntere Sachen wie „Der blutige Pfad Gottes“ und „Keine halben Sachen“ in seinem Œuvre; Lisa Eilbacher („Ein Offizier und Gentleman“, „Beverly Hills Cop“, „Leviathan“) als entzückende Krankenschwester und Kesslers Tochter Laurie; Wilford Brimley (Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“, „Harte Ziele“, „Remo – Unbewaffnet und gefährlich“) als Kesslers grummeliger Vorgesetzter Captain Malone; Geoffrey Lewis (diverse Eastwood-Streifen wie „Ein Fremder ohne Namen“ oder „Der Mann aus San Fernando“, aber auch „Mein Name ist Nobody“ und „The Devil’s Rejects“) als schmieriger Winkeladvokat Dave Dante. In einer kleinen Nebenrolle ist die spätere John-Travolta-Gattin Kelly Preston („Jerry Maguire“, „Twins“, „Death Sentence“) unter ihrem Alias Kelly Palzis zu sehen. Sie treten allesamt professionell auf und liefern im begrenzten Rahmen der dramaturgischen Möglichkeiten einen sehr ordentlichen Job ab. Ausfälle gibt’s von mir jedenfalls keine zu vermerken.
Die Inszenierung ist, wie man es von einem erfahrenen Regisseur erwarten darf, zumindest solide und routiniert. Thompson war ja seit jeher für sein geradliniges, effizientes Arbeiten bekannt. Große Kunst und Visionen sollte man nicht erwarten. Muss auch nicht! Der von Robert O. Ragland („Grizzly“, „American Monster“, „Mörderhaie greifen an“) beigesteuerte Score ist ansprechend und untermalt das Geschehen effektiv, aber nicht zu aufdringlich. Die Kameraführung mag vielleicht nicht herausragend sein, ist jedoch zielorientiert filmdienlich. Keine Mätzchen. Keine störenden Wackeleien. Verantwortlich hierfür war Adam Greenberg („Terminator“, „Terminator 2 – Tag der Abrechnung“, „Near Dark“). Der Filmschnitt von J. Lee Thompsons Sohnemann Peter Lee-Thompson („Death Wish IV“, „American Fighter“, „Der Exorzist III“) ist ebenfalls ordentlich und kann durch eine gewisse Dynamik, vor allem bei den Verhör- und Gerichtssequenzen, punkten.
„Blutrünstiger, ideologisch fragwürdiger und technisch dürftiger Selbstjustizfilm.“, urteilt das Lexikon des internationalen Films. Blutrünstig? Nee, nicht wirklich, obwohl Blut natürlich fließt. Ideologisch fragwürdig? Das schon eher. Ist halt ein Selbstjustizfilm. Technisch dürftig? Sehe ich ganz und gar nicht so. Da ist alles im noch-grünen Bereich. Von der Kritik ungeliebt und an den Kinokassen moderat erfolgreich, konnte „10 to Midnight“ im Lauf der Jahre eine kleine Kultgemeinde hinter sich versammeln. Im Endeffekt ist es eine leicht überdurchschnittliche Produktion und um einiges besser als der mittelmäßige TV-Einheitsbrei, den uns das Ami-Fernsehen Mitte der 80er so oft bescherte. Allerdings darf man das wohl von einer Kinoproduktion, wenn auch einer relativ preisgünstigen, wenigstens halbwegs erwarten. Gut, im Mittelteil leidet der Streifen an einigen Hängern und Längen, die vor allem aus dem Familienkonflikt zwischen Vater und Tochter Kessler heraus entstehen, doch meist ist er schnörkellos, eine gewisse Grundspannung ist latent vorhanden, diese steigert sich besonders im Finale erheblich. Action gibt es kaum zu bestaunen, der Bodycount sowie Blut und Gekröse halten sich in Grenzen. Nacktheit von Männlein und Weiblein ist vorhanden. Hauptsächlich werden weibliche Brüste und männliche Hintern in die Kamera gehalten, ansatzweise auch der frontale Intimbereich. Das verleiht dem Film in Verbindung mit der dargestellten Gewalt und der verbalen Rohheit einen leichten Hauch von schlicht-exploitativer Schmuddeligkeit. 1984 wurde „10 to Midnight“ indiziert, heute ist er ungeschnitten ab 16 Jahren freigegeben. Obwohl ein etwas schwächerer Bronson-Titel, schaue ich ihn gerne ab und an und schwanke zwischen 6 und 7 Punkten. Letztendlich vergebe ich 6 mit Tendenz nach oben.
6/10