Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen...
Der Sommer ist vorüber und der Urlaub auch. Da muss ich eines meiner schönsten Erlebnisse noch schildern, das ich bei einem Museumsbesuch erlebt habe. Normalerweise sind Filme, die in Museen laufen entweder zu lang, zu langweilig oder einfach nur schlecht. Hier allerdings füllte sich ein abgedunkelter Raum mit immer mehr Interessenten und auch ich selbst blieb gebannt sitzen und schaute die ganze halbe Stunde dem Treiben auf der Leinwand zu.
Höhepunkt dieses Museumskinoerlebnisses war ein kleiner gelangweilter Junge, der mir schon zuvor als verhaltensauffällig aufgrund seiner uninteressierten Eltern aufgefallen war. Er legte sich quer über den Boden, als wäre er im heimischen Wohnzimmer und kommentierte den Film mit großen "Ohhhhs", "Ahhhhs" und Gelächter. Auf Nachfrage seiner Mutter wollte er nicht gehen, sondern sich den Film bis zum Ende ansehen. Recht hatte er!
Ach ja, es wurde tatsächlich gelacht, wenn wieder eine der komplizierten Konstruktionen des schweizerischen Künstlerduos Peter Fischli und David Weiss ihre Bestimmung erreicht hatte. Auch ungewöhnlich in Museen. Peter Fischli und David Weiss haben hier wirklich ein absolut geniales Werk geschaffen, das auf der documenta 8 zurecht ein Riesenerfolg war. Die Zeitung The Independent verglich den Film damals mit der Spannung eines Hitchcock-Films, nur ohne Menschen, sondern mit Gegenständen. Und damit hatten sie einen treffenden Vergleich.
Insgesamt bekommt der geneigte Zuschauer einen halbstündigen Kurzfilm zu sehen, in dem verschiedene Gegenstände (Autoreifen, Müllsäcke, Leitern, Wippen, Luftballons, Flüssigkeiten, etc.) in einem Dominoeffekt aufeinander einwirken und so eine Kettenreaktion erschaffen, die erst am Ende des Films beschlossen wird.
Kommen wir wieder mal zu einem USERFRIENDLYSPOILER und damit zu ein paar Impressionen dieses Films, in dem es ja keine Personen gibt:
Ein Müllsack kreist verschwörerisch über einem alten Autoreifen. Der Müllsack wurde in sich verdreht, sodass er immer tiefer sinkt. Dann: es passiert! Der Müllsack streift den Autoreifen und dieser beginnt zu rollen (Übereinstimmungen mit dem Film Rubber sind eher zufällig und sollten nicht ernst genommen werden). Der Reifen betätigt eine Wippe, eine Leiter gleitet herab, dann ein Tisch, ein Holzscheit (keine Verbindungen zu Twin Peaks, oder doch?) berührt eine Luftmatratze. Eine Kugel an einem Faden dreht sich um eine Stange (keine Verbindung zu The Bling Ring). Wieder ein Müllsack. Die Ereignisse nehmen keinen Abbruch.
Wieder ist er da (unser Hauptdarsteller): der Müllsack. Wieder dreht er sich. Wieder der Autoreifen (ist doch er der Protagonist?). Und Zack! Er rollt wieder und stößt an einen Tisch. Dort gerät nun ein seltsamer Schaum in Bewegung. Die Farbe aus dem All? Der Blob? Oder noch schlimmer? The Stuff? Der Schaum kippt und eine Flüssigkeit rinnt in einen Behälter. Dampf steigt auf. Die Chemie des Todes! Wieder ein Reifen. Diesmal mit einer Gießkanne. Wieder bewegt er sich auf magisch-chemisch-physikalische Weise und endlich kommt der Orgasmus. Lauter Sperma, das wieder hinabfließt. Zwei Teekerzen: die Katastrophe?
Und ja: Schaum und Feuer gehen eine unheilvolle Verbindung ein: es brennt!!! Leben? Die Spannung ist am Höhepunkt. Die Kamera aber ganz still. Wir beobachten das Geschehen und erwarten, was nun kommt. Eine Zündschnur und dann die Exlosion. Ein Luftballon füllt sich. Wieder haben wir Zeit, beobachten den Lauf der Dinge. Wieder fließt eine Flüssigkeit. Vieleicht diesmal Wasser. Ein Stuhl kippt. Ist es der Stuhl des Mörders? Der Stuhl des Opfers? Dann Zack! Die Kaffekanne fällt. Der Mord ist geschehen. Wieder Rauch. Kein CGI! Alles handgemacht. Keine Transformers, die um die Ecke lugen. Alles echt! Der Dampf ist wie der Kosmos. Er zerstört alles und erschafft alles zugleich. Schwarze Löcher und Weiße Zwerge.
Ein roter Teppich wird entrollt. Oder ist es nicht vielmehr der Teppich, der sich selbst entrollt (F = m * g)? Ein wackeliges Pult. Wieder die ruhige Beobachtung. Eine Verschnaufpause. Ein umgestoßener Becher. Was passiert als nächstes? Die Kamera verrät uns nichts. Sie konzentriert sich nur auf den Moment. Dann erscheint eine Apparatur mit liegender Kerze (wie sich das schon anhört). Ja, das ist wirklich große Kunst. Die Kerze rollt. Die Zündschnur. Der Luftballon. Peng. Explosion. Wieder dreht sich etwas, verliert Luft und es fällt. Wieder eine Wippe, die einen schwarzen Schaum beherbergt und hinabbefördert. Doch der Kerzenwagen rollt und entzündet eine weitere Zündschnur. Ein Raktenwagen. Peng! Er schießt förmlich auf den Schienen entlang. Ein bunter Lufballon. Und Platsch! Im Topf macht man Feuer. Und dann ein schwarzes Ölfass? Ökohorror? Tropf tropf tropf...
Schnee? Irgendein chemischer Stoff. Ein Glühdraht leuchtet. Es brutzelt. Elektrizität. Wieder unser Freund der Reifen. Was will er nur von Marion Crane? Er dröppelt eine Treppe herab, stößt an einen größeren Reifen, der wieder Feuer entfacht. Am Reifen sind Feuerwerkskörper befestigt, die ihn fast zu einem Raketenreifen machen. Nein, Norman, tu's nicht!!!
Der Lauf der Dinge ist wie ein Comic. Nur besser: in echt! Besser noch: er zeigt die Genialität der Dinge und lässt mich wieder zum staunenden Kind werden.
Ich ende jetzt mal mit der Handlung. Wir sind kanpp bei der Hälfte und Der Lauf der Dinge geht natürlich weiter. Erstaunlich bei all dem ist die Konsequenz und Kunstfertigkeit, wie all dies gemacht hist. Dafür muss man gegenüber Fischli/Weiss wirklich den Hut ziehen. Das ist nicht einfach runtergerotzte Kunst. Hierin steckt Liebe, Schweiß und kindliche Faszination. Außerdem haben die zwei Humor. Das ist keine Langweilerkunst. Auch wenn es atemlos bleibt. Es gibt zwar Verschnaufpausen und ich sage mal "unsichtbare Schnitte" (vor allem bei den Schaumszenen). Aber das darf man dem Film wirklich nicht vorwerfen. Immerhin haben wir es hier nicht mit einem Tom-&-Jerry-Cartoon zu tun, sondern mit einem Realfilm.
Am beeindruckendsten für mich ist ein brennender Ball, der an einer Stange langsam im Kreis herabfliegt, auf einer unsichtbaren, aber vorgeschriebenen Bahn, dass man nur an das Universum, Sonnensysteme und Planeten denken kann, an einen sterbende Mond vielleicht, in Flammen. Es ist nicht nur der Lauf der Dinge, sondern der Lauf des Kosmos, das Getriebe der Welt, das Leben, das Universum, der Rest und vor allem: Keine Panik!
Insgesamt nennt man solche Apparaturen und Konstruktionen Rube-Goldberg-Maschinen. Rube Goldberg war ein US-amerikanischer Comiczeichner, dessen Figur Professor Lucifer Gorgonzola Butts immer wieder komplizierteste Maschinerien erfindet, um die einfachsten Dinge zu erledigen. Der Einfluss von Goldberg ist deshalb enorm und geht von der Sesamstraße zu Bugs Bunny, den schon erwähnten Tom & Jerry und etlichen anderen Cartoons. Das Computerspiel The Incredible Machine basiert darauf und der Einfluss dieser Unendlichkeitsmaschinen lässt sich filmisch lange nachverfolgen, angefangen bei Kevin - Allein zu Haus, Gremlins, Die Goonies, bis zu Zurück in die Zukunft, Final Destination oder Saw.
Kurz und gut, Der Lauf der Dinge ist ein realer Hammer, den jeder Tüftler ansehen sollte. Außerdem ist er jedem zu empfehlen, der das Staunen der Kindheit noch einmal erleben möchte. Versprochen!
Ach ja, ein paar Messer sind auch noch Teil der Handlung. Denn wo ein Mord, da meist ein Messer.
Wie soll ich sagen: sind nicht alle Dinge mit ein bisschen Fantasie Grundlage für einen Slasher?
Den Killerreifenfilm habe ich ja schon erwähnt. Und den Blob ebenfalls.
Demnächst kommt ja die neue Es-Verfilmung: Der Luftballon des Todes?
Abschließend sei gesagt, dass Der Lauf der Dinge ein Film über alles und nichts ist.
Ein Film für das Alles und das Nichts.
10/10