Blue Ruin
Gucke ich meine Liste der geguckten Filme/gehe ich meine Erinnerungen an die letzten paar Streifen durch auf meiner Suche nach neuen Reviews, gibt es da einige Kriterien zu beachten/erfüllen, die die Schreibentscheidung dann schließlich ausmachen: Wie bekannt/beliebt ist der Film? Wie außergewöhnlich oder extrem ist meine Meinung, weiche ich von der Norm ab, oder gehe ich konform mit dem ohnehin bereits verschriftlichten? Gibt es bereits viele Reviews zu dem Titel, oder nicht? Wenn ja, auf welche Punkte wurde eingegangen?
Mit diesen und anderen Fragen im Kopf habe ich mir dann mal wieder meine letzten Titel angesehen und bin mit vier Finalisten auf die Suche gegangen, nur um festzustellen dass ein Film bereits ziemlich deckungsgleich mit meiner Einschätzng präsentiert wurde und nicht unbedingt mehr Hype bedarf, zwei der Titel imo fälschlicherweise abgestraft wurde und nur einer davon tatsächlich noch nicht eine müde Review hier stehen hat, obwohl er der wohl beste Streifen der Auswahl ist - Blue fucking Ruin von Jeremy Saulnier, der vorher die amüsante, kurze sowie kurzweilige schwarze Halloweenkomödie "Murder Party", danach den imo guten, aber auch überhypen "Green Room" zur Welt gebracht hat. Das stärkste und intensivste Werk seiner bisherigen Filmographie ist dabei definitiv in der Mitte zwischen Comedy und Nazibelagerung und nennt sich "Blue Ruin", ein wunderschön fotografierter Indie-Rachedramathriller mit einer überragenden Darstellung von so ziemlich allen Beteiligten, allen voran aber Macon Blair, den man sonst aber vermutlich auch nur aus Saulniers anderen Werken kennt - hoffentlich bringt ers groß raus!
Und während die imdb schon VOLL ist mit Lob und Hype und positiven Reviews, mache ich hier dann mal den Anfang: Rachefilme gibt es viele, kaum ein anderes Grundkonzept wurde so oft benutzt oder nur marginal abgewandelt im Genrekino, kaum eine Revanche hat man nicht schon einmal so oder so ähnlich gesehen - und auch "Blue Ruin" handelt rein inhaltlich "nur" von Rache und hat Handlungsabläuft bzw. eine Storyline, die man in wenigen Sätzen beschreiben könnte - und trotzdem sticht der Film eindeutig heraus, ist anders, ist eigen, ist besonders.
Und das liegt im Endeffekt an Realismus, Minimalismus, Menschlichkeit, Stringenz und Tempodrosselung, denn wenn es ruhig und leise ist, der Film sich Zeit lässt und langsam nach vorne schreitet, sind plötzliche Events, Gewaltausbrüche oder Szenen dafür umso intensiver und beeindruckender, wenn man nicht viel bis auf seinen eigenen Herzschlag und das Atmen des gepeinigten Protagonisten hört, können die poetischen Einstellungen der Landschaft und Autos und Settings, unter wunderbarer Verwendung von natürlichem Licht, viel besser einsacken.
Unser Protagonist ist kein großer Kämpfer oder Auftragskiller der aus Rache zurück kommt, kein "bad boy" oder sonstiges Klischee, sondern ein ganz ohne Voiceover oder nervige Expositionsszenen fein gezeichneter, verstörter und kaputter Mensch der einen erschreckend realistischen und dramaturgisch höchst interessanten Akt der Rache vollführt, lange vorm Finale des Films. Und das erinnert teils an eher an Retrofilter, Naturaufnahmen mit Lens Flare oder toll komponierten, kadrierten Einstellungen in die Vintage-Richtung, statt zwanghaft zu versuchen ein bestimmtes Jahrzehnt, Genre oder Nostalgie-Gefühl zu erwecken: "Blue Ruin" ist erfrischend spartanisch und unabhängig, sieht verzaubernd schön aus und schafft es eben dadurch nicht etwa über seine minimalistische Story "hinweg zu täuschen" oder abzulenken, sondern sie nur so nuanciert, minuziös durchkomponiert und nah am Geschehen zu erzählen, dass die Spannungsschwerpunkte ganz anders gesetzt werden.
Während drei bewaffnete Gegner beim Finale anderer Revengefilme eine Nebensächlichkeit von wenigen Sekunden wären, kann hier ein einzelner Feind - oder Pfeil! - schon den Garaus bedeuten und schmerzhaft intensiv mehrere Minuten thematisiert werden.
Von der Kargheit, nebensächlichen Poesie und herausragenden Regie nach, zudem durchaus mit leicht sardonischen, schwarzhumorigen Nebenszenen versehen, hagelt es in den restlichen Kritiken zudem Coen-Vergleiche, allen voran "Blood Simple" und "No country for old men", andere sprechen von Tarantino. Und während Tarantino wohl allenfalls hier und da ganz selten durchschimmert - die ersten 20 Minuten fesseln einen ohne Dialog an den Bildschirm, allgemein sind Dialoge schwer verständlich und äußerst selten - so sehe ich den anderen Vergleich doch deutlich. Die hemmungslos realistische und explizite Gewalt, die Saulnier ja auch im grünen Raum benutzt hat, funktioniert in "Blue Ruin" imo übrigens trotz weniger Drastik und Masse besser, da man einfach auf einen einzelnen Charakter fokussiert und gespannt ist, was wann wie wo geschieht - vorhersehbar ist das durchaus doch noch twistreiche und clevere Script dann nämlich doch nicht, gerade das Finale ist verdammt geschickt eingefädelt.
Weniger überinszeniert, "episch" oder pompös als z.B. ein Demolisher oder My father die, dafür aber deutlich intensiver, näher und realistischer geschildert sowie geschrieben, ist "Blue Ruin" also eine Indie-Filmerfahrung mit Nachdruck, mit posterreifen Bildern, voller Tragik und Verzweiflung, Schönheit und selten durchblitzendem, schwarzen Humor. Audiovisuell sowie schauspielerisch quasi makellos, inhaltlich simpel aber clever, geradlinig und höchst menschlich, nah und dramatisch kann man "Blue Ruin" nur jedem Freund von Rache-, Drama- oder Indiefilmen ans Herz legen - auf maxdome im O-Ton zu finden übrigens.
9/10
9/10